Sonstiges: Das Wunder von Leverkusen – Halbfinale gegen Bremen – 35 Jahre danach

Am 6. April steigt vor 14.000 Zuschauern auf der Baustelle Ulrich-Haberland-Stadion das UEFA-Cup-Halbfinale gegen Werder Bremen. Die UEFA hat keine Sicherheitsbedenken, was uns als Spieler sehr freut. Denn noch einmal ins Müngersdorfer Stadion zu ziehen, wie zuvor gegen den FC Barcelona, wäre des Guten zu viel gewesen. So bereitet sich unser Klub auf das bis dahin wichtigste Heimspiel seiner Vereinsgeschichte vor.
crop_19880420_01_Mannschaft_.jpg

Wir sollen mit einer großen Leistung und einem guten Ergebnis die Weichen für das Rückspiel stellen. Aber was ist gegen Werder Bremen zu dieser Zeit schon ein gutes Ergebnis? Gegen eine Mannschaft, die die Tabelle der Bundesliga anführt, die in der zweiten Runde ein 1:4 gegen Spartak Moskau wettgemacht hat und die bekanntermaßen zu Hause einen immensen Druck auf den Gegner ausüben kann. Auf jeden Fall ist es ein Nachteil, zuerst in Leverkusen zu spielen. Als wir dann am Abend des Spiels mit dem Bus zum Stadion fahren, ist die Anspannung schon sehr groß, obwohl irgendwie nicht die rechte Europapokalstimmung aufkommen will. Wir bereiten uns auf einen zähen Kampf vor. Und der wird es dann auch.

In der ersten Halbzeit ist auf beiden Seiten zu spüren, dass man keinen Gegentreffer bekommen will. Vor allem wir sind darauf erpicht, das Tor sauber zu halten, denn ein „zu Null“ ist aufgrund der Auswärtstorregel im Europapokal eminent wichtig. Bremen nimmt zwar das Heft in die Hand und hat auch zwei Torchancen, aber so richtig in Not bringen sie uns nicht. In der zweiten Halbzeit wird es besser, auf beiden Seiten. Die Abwehrreihen werden zwar nicht entblößt, doch beide Mannschaften versuchen jetzt wenigstens, etwas offensiver zu agieren. In der 61. Minute läuft auf der rechten Seite ein Konter über Christian Schreier, der vom Bremer Uli Borowka gefoult wird. Schreier zieht sich dabei eine Leistenverletzung zu und fällt einige Wochen aus. Erst im Rückspiel des Finales gegen Espanyol wird er dann wieder auflaufen, kann aber leider aufgrund mangelnder Spielpraxis nicht die gleiche Qualität auf den Platz bringen wie in den Wochen zuvor. Doch zurück zum Bremen-Spiel: Den nach dem Foul an Schreier fälligen Freistoß bringt Florian Hinterberger in den Strafraum. Irgendwie findet der Ball seinen Weg vor die Füße von Alois Reinhardt. Und der drischt den Ball an den Innenpfosten, von wo die Kugel zum 1:0 ins Tor knallt.

Wir haben dann noch eine lange halbe Stunde zu überstehen – mit einigen hochkarätigen Chancen für Werder Bremen. Aber diese bleiben ungenutzt. Wir gewinnen am Ende mit 1:0, aber alle wissen: Das wird ein schwerer Gang in Bremen.

Zwischen den beiden Spielen gegen die Norddeutschen finden noch zwei Bundesligapartien statt. Der Karlsruher SC ist zu Besuch im Ulrich-Haberland-Stadion, wir kommen vor 7.000 Zuschauern nicht über ein 0:0 hinaus. Eine Woche später geht es nach Kaiserslautern auf den Betzenberg. Das Spiel findet an einem Freitagabend statt, und Trainer Erich Ribbeck lässt in der für das UEFA-Cup-Halbfinale vorgesehenen Taktik spielen: defensiv sicher stehen und kontern. Nach Toren von Herbert Waas, Klaus Täuber und Falko Götz können wir das Spiel mit 3:1 gewinnen und fühlen uns bereit für das Rückspiel in Bremen. Am Dienstag darauf machen wir uns auf den Weg in den Norden. Dort angekommen, erfreut uns die Hotel-Rezeption mit der Nachricht, dass das Haus gerade umgebaut wird. Nein, sie werden selbstverständlich die Mittagspause einhalten. Und ja, natürlich auch lange genug. Raaaaaaaaaaattaaaaaaatttaaaaaaaattaaaaa. Die Bohrmaschinen hämmern morgens um 7:30 Uhr durch die Hotelwände. Wir sind locker eine Stunde früher auf den Beinen als sonst. Am Vormittag absolvieren wir noch ein lockeres Training, wobei die Bauarbeiter die Bohrmaschinen von 8:30 Uhr bis zum Mittagessen natürlich nicht mehr benutzen. Da wir morgens zu früh geweckt wurden, sehnen wir uns nach einem ausgiebigen Nachmittagsschlaf. Leider packen die Handwerker ihre nervtötenden Arbeitsgeräte um Punkt 14:30 Uhr wieder aus. Wer da Absicht unterstellt, hat wahrscheinlich recht …

Trotzdem setzen wir uns abends gut gutgelaunt und mit der für so ein Spiel nötigen Mischung aus Anspannung und Lockerheit in den Bus und fahren zum Stadion. Uns fehlen allerdings drei sehr wichtige Spieler. Libero Thomas Hörster fällt wegen einer Leistenoperation für den Rest der Saison aus, die Position übernimmt Kapitän Wolfgang Rolff. Auch die verletzten Christian Schreier und Tita können uns nicht helfen. Schon nach 12 Minuten muss auch noch Herbert Waas verletzt den Platz verlassen und wird durch Marcus Feinbier ersetzt.

crop_19880406_Wolfgang_Rolff_1.jpg

Es entwickelt sich eine Partie, in der die 3.000 mitgereisten Bayer 04-Fans und die Mannschaft sich mit vereinten Kräften gegen eine Niederlage stemmen. Von Anfang an berennt Werder unser Tor, aber wir wehren uns leidenschaftlich, und die Gastgeber können sich keine großen Torchancen herausspielen. Zur Halbzeit bleibt es beim 0:0. Wir stehen sehr gut in der Defensive, haben aber nach vorne zu wenig versucht. Das soll sich im zweiten Durchgang ändern. Und so bekommen wir auf einmal unsere Torchancen. Marcus Feinbier hat kurz nach der Halbzeit (52.) eine große Möglichkeit, aber Pech mit einem Volleyschuss aus elf Metern – der Ball streicht knapp über den Querbalken. Werder erhöht den Druck und hat durch einen Kopfball von Manni Burgsmüller die größte Möglichkeit, aber dessen Aufsetzer geht über das Tor. Mit fortschreitender Spieldauer werden Bremens Versuche hektischer, unkontrollierter und wir können uns öfter befreien. Zwei Großchancen durch Andrzej Buncol und Jean-Pierre de Keyser in der 84. und 85. Minute bleiben ungenutzt, so dass bis zur 90. Minute und darüber hinaus gezittert werden muss. In den letzten Minuten der Nachspielzeit hält eine Kamera auf Trainer Erich Ribbeck und dieser ist nicht begeistert:

„Ist doch Sch… immer diese Nachspielerei. Mann du, das kostet nur Nerven.“

„Ist schon wieder die 47., möcht‘ mal wissen, was der da nachspielen lässt.“ (laut schreiend) „Mach‘ doch Schluss, Mann, HEY.“

„Ist doch unverschämt, möcht‘ mal wissen, was der nachspielen lässt.“

„Jetzt muss mal Schluss sein, guck mal, 48. Minute du, das ist nicht zu glauben, DAS IST NICHT ZU GLAUBEN, DU.“

„Das ist ‘ne Sauerei, ist das, erste Halbzeit auch.“

Und dann die Erlösung mit einem lauten und langem „Jaaa!“.

Finale, Bayer 04, unglaublich.

Wir feiern mit den Fans in der Kurve. Unbeschreiblich das Gefühl für alle. Eine Mischung aus Euphorie und Ungläubigkeit. Die Bundesliga wird zweitrangig. Es folgen ein 0:0 zu Hause gegen den VfL Bochum und ein furchtbares 1:4 beim anderen Werksklub Bayer 05 Uerdingen. Endlich kommt der 4. Mai und das erste Finale bei Espanyol Barcelona. An diesem Tag passiert etwas, dass wir uns in unseren schlimmsten Albträumen nicht hätten vorstellen können. Doch dazu mehr im Mai.

Ähnliche News

Ulf Kirsten – Eine Legende wird 60 | Geburtstagskind des Monats Dezember
Bayer 04 - 01.12.2025

Geburtstagskind des Monats: Ulf Kirsten – Eine Legende wird 60

Ulf Kirsten wird am 4. Dezember 1965 in Riesa (Sachsen) geboren. Bereits im Alter von sechs Jahren beginnt er beim BSG Stahl Riesa Fußball zu spielen und legt dort die Grundlagen für seine beeindruckende Karriere. Sein außergewöhnliches Talent bleibt nicht lange unentdeckt – schon bald wechselt er in den Nachwuchs des DDR-Spitzenvereins Dynamo Dresden.

Mehr zeigen
10. Dezember 1950
Bayer 04 - 01.12.2025

Geschichte: Vor 75 Jahren – Die Saison 1950/51 (Dezember)

Der Tabellenführer aus der Farbenstadt fährt am 3. Dezember 1950 zum Auswärtsspiel nach Köln. Gegner ist der VfL 99, Spielort der Weidenpescher Park. Beim ältesten Verein der Stadt Köln soll die Erfolgsserie fortgesetzt werden. Dort, wo am Wochenende teilweise über 10.000 Zuschauer beim Galopprennen zuschauen, verlieren sich diesmal nur knapp 2.000 Fußballbegeisterte.

Mehr zeigen
Von Vöge bis Wirtz | Tore des Monats Dezember
Bayer 04 - 01.12.2025

Tore des Monats: Von Vöge bis Wirtz

Im Video seht ihr eindrucksvolle und wichtige Tore der Bayer 04-Geschichte aus dem Monat Dezember. Es geht dabei nicht immer um die Schönheit der Tore, sondern es sollen euch auch besondere Spiele und Spieler in Erinnerung gerufen werden.

Mehr zeigen
Vor 25 Jahren – Spitzenspiel in der BayArena | Spiel des Monats Dezember
Bayer 04 - 01.12.2025

Spiel des Monats: Vor 25 Jahren – Spitzenspiel in der BayArena

Am 16. Spieltag der Saison 2000/01 kommt der aktuelle Tabellenführer der 1. Bundesliga, Hertha BSC, zu Besuch in die BayArena. Die Mannschaft von Bayer 04-Trainer Berti Vogts, der die Mannschaft von Interimstrainer Rudi Völler übernommen hat und sie in seinem ersten Spiel als Cheftrainer direkt mit einem Auswärtssieg am 13. Spieltag beim Hamburger SV an die Spitze der 1. Bundesliga geführt hat, will mit einem Sieg die Tabellenführung wieder zurückerobern.

Mehr zeigen
22. Dezember 1975
Bayer 04 - 01.12.2025

Mottenkiste: Vor 50 Jahren – Debakel in Dortmund

Vier Tage vor Weihnachten 1975 muss die Werkself am 18. Spieltag der 2. Bundesliga Nord beim Tabellenführer Borussia Dortmund im Westfalenstadion antreten. Als Aufsteiger ist die Werkself recht gut in die Saison gestartet, verliert aber zunehmend an Boden und steht vor dem Spiel nur drei Punkte vor einem Abstiegsplatz.

Mehr zeigen