Azmoun: Im Galopp durch Europa

Als alles vorbei war, hatte Sardar Azmoun noch nicht genug. Hoch oben über den Wolken, der Flieger der Werkself schwebte in mehr als 9.000 Metern Höhe irgendwo über dem Atlantik, stellte sich der Iraner einer letzten Herausforderung des finalen Bundesliga-Wochenendes.
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Leverkusen, der Frankfurter Flughafen, die Umrisse Europas all das lag bereits weit hinter dem Tross von Bayer 04, und der anvisierte Flughafen in Mexiko City war bloß auf dem Bildschirm als pixelgroßes, noch immer weit entferntes Ziel zu erkennen. Während der Großteil der Delegation die Zeit nutzte, um nach dem emotionalen Heimspiel gegen Freiburg, den Abschiedsfeierlichkeiten für Rudi Völler und der frühmorgendlichen Fahrt zum Flughafen der Mainmetropole etwas Schlaf nachzuholen, widmete sich Azmoun einem speziellen Eins-gegen-eins mit Moussa Diaby: Im Kartenspiel UNO ging es hin und her und die wenigen Zuschauer des Spektakels wurden Zeugen eines emotionalen Schlagabtauschs mit wechselnden Gewinnern.

Sardar Azmoun fällt auf – nicht bloß, weil sein Vorname statt des Nachnamens über der Nr . 9 auf dem Trikot prangt. Aus dem iranischen Juniorenfußball schaffte er es über die russische Liga im Alter von 27 Jahren zu Bayer 04. Der Weg in die Bundesliga ist nicht die einzige Besonderheit im Leben des Pferdebesitzers und früheren Volleyball-Nationalspielers.

„Manchmal vergesse ich, wie alle Pferde heißen“

Sardar Azmoun liebt den Wettkampf. Fußball und Kartenspiele sowieso, früher Volleyball, doch das größte Hobby des 27-Jährigen sind seine 52 Rennpferde. Schon vor zehn Jahren kaufte er sich sein erstes Exemplar; „Mittlerweile sind es so viele, dass sich manchmal vergesse, wie sie alle heißen.“ Mit mangelndem Respekt hat das nichts zu tun, seine Tiere bedeuten ihm alles. „Vor den Spielen schaue ich immer Videos, auf denen meine Pferde zu sehen sind. Wenn meine Freunde oder meine Familienmitglieder vergessen, mir welche zu schicken, werde ich wirklich sauer. Ich liebe sie und nach der Karriere werde ich noch mehr Zeit für sie haben.“

Pferde spielten im Leben von Sardar Azmoun früh eine prägende Rolle, und schon lange bevor er als Neunjähriger im Urlaub in Turkmenistan, der Heimat seiner Eltern, das erste Mal gegen einen Ball trat. „Ich habe nach meiner Geburt zuerst Mutter und Vater gesehen, und dann unsere Pferde“, sagt er und lacht ein wenig verträumt.

„Meine Eltern hatten einen großen Hof, da standen die Pferde meines Vaters, meines Onkels und meines Opas. Schon als Kind war ich bei den Rennen dabei; Pferde sind meine große Leidenschaft. Ich weiß sehr viel über sie und habe mir bereits mit 17 mein erstes eigenes Pferd gekauft.“ Je erfolgreicher er als Fußballer wurde, je mehr Exemplare kamen hinzu. Seine Eltern, seine Schwester, Cousins, sein Neffe und auch sein bester Freund erhielten Pferde als Geschenke.

„Ich möchte kein Trainer oder Manager werden“

Bei Rennen in der Heimat gewann die Familie schon Preisgelder bis zu 25.000 Euro. Eine Menge Geld im Iran, doch die großen Summen warten in den Rennen in Australien.  Sollte es mit dem Fußball irgendwann vorbei sein, will Azmoun verstärkt in Down Under starten und auch dort Rennen gewinnen. Für ihn zählen dann nur noch die Pferde. „Dann mache ich mit dem Fußball Schluss, ich möchte kein Trainer oder Manager werden.“

Dass er den Fokus recht schnell von einer auf eine andere Leidenschaft richten kann, hat der Werkself-Profi schon einmal bewiesen. In Gonbad-e Kavus, dem Geburtsort Azmouns im Norden des Irans, ist der Weg in den europäischen Spitzenfußball nicht bloß aufgrund der großen Distanz und des örtlichen Klimas ein extrem steiniger. Als die Fußball-Karriere für den damals 14-Jährigen trotz der schwierigen Umstände dann von einem Traum zu einer echten Chance wurde, und er kurz vor dem Debüt in der zweiten iranischen Liga stand, spielte er allerdings bereits für eine iranische U15-Nationalmannschaft – und zwar Volleyball.

Eine weitere verblüffende und nahezu die gesamte Verwandtschaft verbindende Familientradition. Mutter, Onkel und Cousin: frühere Volleyball-Nationalspieler; sein Vater: asiatischer Meister und „lange Zeit der beste Volleyballer Asiens“. Dass Sardar sich schließlich dennoch für Fußball entschied und damit darauf verzichtete, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, blieb folgenlos für den Familienfrieden. „Ich war wirklich ein guter Volleyballspieler, aber alle haben mir geraten, mich für den Fußball zu entscheiden. Und als ich dann bei einem internationalen Turnier Torschützenkönig wurde und das Angebot aus Russland bekam, war der Weg klar. „Volleyball gibt es seitdem nur noch im Familienurlaub am Strand.“

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Vorzeitiger Wechsel und ehrgeizige Ziele

Ende Januar wechselte Sardar Azmoun von Zenit St. Petersburg nach Leverkusen. Dass er bereits im Winter und nicht wie ursprünglich geplant im Sommer 2022 zur Werkself transferiert wurde, war trotz einiger Anlaufschwierigkeiten für beide Parteien ein Volltreffer. Azmoun erzielte nach überstandener Verletzungspause gegen die SpVgg Greuther Fürth sein erstes Tor für Bayer 04 und hatte in der Schlussphase der Saison seinen Anteil am Erreichen des dritten Tabellenplatzes.

„Nach dem Köln-Spiel war ich sehr frustriert. Ich habe gemerkt, was diese Partie dem Klub und den Fans bedeutet und werde alles dafür tun, dass wir die Duelle in der nächsten Saison gewinnen“, sagt der Iraner über das verloren gegangene Derby. In der neuen Spielzeit will er angreifen: „Alle haben mich hier sehr nett aufgenommen. Innerhalb der Mannschaft haben wir großen Spaß, auch zuletzt in Mexiko. Nun will ich zurückgeben und helfen. In der Abwehr, im Angriff, dem Trainer – ich muss überall für alle da sein. Nächstes Jahr werde ich noch deutlich besser spielen können. Ich hoffe, dass ich direkt richtig gut in die Saison starte.“

Dass er Klub, Liga und Mitspieler nun schon kennt, bevor es in die neue Spielzeit geht, ist ein großer Vorteil des vorzeitigen Wechsels. Ein anderer war, Russland vor Kriegsausbruch verlassen zu haben. Die Ereignisse in der Ukraine bedrücken den 27-Jährigen: „Ich habe mich in Russland immer sehr wohl gefühlt, und die Menschen waren stets gut zu mir. Ich hätte das nie für möglich gehalten. Ich bin aber kein Politiker und möchte daher auch nicht viel über den Krieg reden. Aber als Mensch sage ich natürlich: Es sollte keinen Krieg in dieser Welt geben.“

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Vorfreude auf die WM

Er ist Vize-Kapitän und drittbester Torschütze der Nationalmannschafts-Historie: Sardar Azmoun ist im Iran ein Superstar. Davon zeugen nicht nur seine mehr als 4,6 Millionen Follower bei Instagram, die er mit Fotos von seinen Spielen und Pferden versorgt. Zudem ist er auch der große Hoffnungsträger für die WM in diesem Jahr. Iran – mit dem früheren Bundesliga-Profi Vahid Hashemian als Co-Trainer - trifft auf die USA, England und den Sieger des Play-off-Spiels Wales gegen den Sieger des Duells Ukraine/Schottland. Eine interessante, aber politisch auch vermeintlich brisante Gruppe.

Der 27-Jährige blendet das aus. „Wir respektieren alle Spieler, egal wo sie herkommen. Es gibt keine Probleme zwischen uns, wir wollen in erster Linie Fußball spielen. Politik sollten wir den Politikern überlassen. Uns alle eint das Ziel, mindestens eine Runde weiterzukommen und der Traum, die WM zu gewinnen.“

Dass seine Eltern einst aus Turkmenistan in den Iran gekommen sind, ändert nichts an seiner Verbundenheit – der Iran ist sein Heimatland. „Es gibt viele Turkmenen im Nordosten des Irans. Das Verhältnis untereinander ist super, wir sind turkmenischer Abstammung, aber stolz darauf, Iraner zu sein.“ Bekannt ist Azmoun aber nicht nur im Iran und in Russland. Die vielen Exil-Iraner weltweit sorgen dafür, dass er in fast allen Teilen der Welt erkannt wir – auch im Rheinland.

„Iraner lieben Fußball und sind sehr leidenschaftlich. Bei jedem Heimspiel sehe ich viele Iran-Fahnen, hier in Leverkusen und Umgebung werde ich auch oft angesprochen. Das freut mich, und alle sind immer sehr freundlich. Nur bei Besuchen in meiner Heimat möchte ich manchmal auch einfach Zeit für meine Familie und meine Pferde haben.“

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„Ich bin Iraner, ich habe keine Angst“

Im Gegensatz zum Abschied von den Schmetterschlägen fiel ihm der von Familie und Pferden nicht so leicht, als er am 1. Januar 2013, seinem 18. Geburtstag, als jüngster Iraner der Historie ins Ausland wechselte. Ziel war die zweite Mannschaft Rubin Kasans – und Ziel war auch, der erste iranische Profi der russischen Erstliga-Geschichte zu werden. Doch Bestmarken werden selten im leichten Trab erreicht. Und so musste Azmoun erkennen, dass ihm Sprache, Klima und Erwartungshaltung fern der Heimat schwer zu schaffen machten. Sein Traum von einer Fußballer-Karriere fiel kurzzeitig durch den Realitäts-Check.

„Ich war depressiv“, sagt er neuneinhalb Jahre später und erinnert sich an die ersten Monate nach der Ankunft in seinem neuen Leben. „Es war sehr schwierig, da meine Eltern, meine Freunde und auch meine Pferde sehr weit weg waren. Ich war allein.“ Doch er bewies seiner Familie, den Vereinsverantwortlichen und vor allem sich selbst, dass er nicht nur ein mit besonderen Talenten, sondern auch mit großem Ehrgeiz gesegneter Sportler ist. Azmoun biss sich durch.

„Ich bin Iraner, ich habe keine Angst“, sagte er sich damals wie heute in schwierigen Situationen. Der Glaube an sich selbst zahlte sich schnell aus. Er wurde ein Star – weit über die Landesgrenzen der alten und der neuen Heimat hinaus. Und schneller als erwartet: Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2013 feierte er sein Profi-Debüt für Kazan.

2015 wechselte er zum FK Rostov und vollendete so die Reise, die er als kleiner Junge begonnen hatte: Vom Sandplatz in die Königsklasse – Azmouns Augen leuchten, wenn er an die ersten Auftritte in der Champions League zurückdenkt. Trotz der vier Meistertitel, der zwei Pokalsiege, des Gewinns der Torjägerkrone (2020) und der Wahl zum Fußballer des Jahres in Russland (2021) gehören die Sternstunden in der Königsklasse zu den Lieblingserinnerungen seiner bisherigen Karriere.

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„Mit diesen jungen und talentierten Spielern ist alles möglich“

Gleich in seiner ersten Champions-League-Saison 2016/17 traf er beim 1:2 bei Atletico Madrid und beim legendären Rostover 3:2-Sieg gegen den FC Bayern. Bei seiner Rückkehr in den Wettbewerb im Jahr 2019 ließ er – mittlerweile im Trikot von Zenit St. Petersburg – Tore gegen Lyon (1:1) und Benfica Lissabon (3:1) folgen. In der vergangenen Saison gelang ihm jeweils ein Treffer gegen die Schwergewichte Juventus Turin (2:4) und FC Chelsea (3:3). Mit sechs Champions-League-Toren ist er – mal wieder – der erfolgreichste Schütze der iranischen Historie.

Nun ist er zurück in seinem Lieblings-Wettbewerb. Entsprechend emotional reagierte er nach der am 33. Spieltag erreichten Qualifikation für die nächste Saison. „Die Champions League ist das Größte. Wir wollten uns unbedingt qualifizieren und in Hoffenheim waren wir bereit, uns für eine starke Saison zu belohnen.“ Dass er in einer Medienrunde zuvor sogar mit einem Lächeln im Gesicht das Ziel ausgerufen hatte, den Wettbewerb mit der Werkself gewinnen zu wollen, bereut er nicht. Azmoun glaubt an sich, den Trainerstab, das Bayer 04-Team – und vor allem an die Grundmerkmale des Wettkampfes.

Ob auf dem Rücken eines Pferdes, beim Kartenspiel UNO oder in der Champions League – ein Wettkampf beinhaltet für ihn auch immer die Chance, zu gewinnen: „Ich träume immer groß. Mit diesen jungen und talentierten Spielern ist alles möglich. Das ist Fußball, so habe ich es immer wieder erlebt: Mit Rostov haben wir die Bayern geschlagen. Villarreal hat zuletzt das Halbfinale erreicht. Warum also nicht wir? Zumal Leverkusen vor 20 Jahren selbst schon einmal bewiesen hat, was man als Außenseiter erreichen kann, und was dieser Klub zu leisten imstande ist. Es ist wichtig, sich hohe Ziele zu setzen. Darum ist nicht bloß meine Vorfreude sehr groß, sondern auch meine Hoffnung.“

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