
Einen echten Kraftakt hat Ferencvaros am vergangenen Samstag vollbracht. Rund 70 Minuten lang spielte das Team von Trainer Peter Stöger im hitzigen Derby gegen Stadtrivale Honved nach einem Platzverweis gegen Außenverteidiger Endre Botka in Unterzahl – und trotzdem ging das Team als Sieger vom Platz. Die frühe Führung durch Tokmac Chol Nguen brachte Ferencvaros auch in Unterzahl über die Zeit. „Es war ein sehr schwieriges Spiel, wir mussten viel Defensiv-Arbeit hineinstecken“, analysierte Cheftrainer Stöger im Anschluss. Der ehemalige Coach des 1. FC Köln und von Borussia Dortmund hat das Traineramt bei den Ungarn zur neuen Saison übernommen, nachdem sich Erfolgstrainer Sergej Rebrov nach drei Meistertiteln in Folge und der ersten Champions-League-Qualifikation nach 24 Jahren aus Budapest verabschiedet hatte und zum Al-Ain FC in die Vereinigten Arabischen Emirate gewechselt war. Der erneute Einzug in die Königsklasse misslang unter Stöger, in den Play-offs unterlagen die Ungarn dem Ex-Klub von Gerardo Seoane, dem BSC Young Boys, in beiden Spielen mit jeweils 2:3. Daher tritt Ferencvaros nun in der Europa League an – und sieht sich als Außenseiter. „Als Favorit gehen wir in kein Spiel, so viel ist sicher“, bewertete Stöger die Ausgangslage.
Die wohl bekanntesten Namen hat Ferencvaros auf der Führungsebene vorzuweisen. Neben Stöger, der von seinem Stammverein Austria Wien losgeeist wurde, dürfte auch der Sportdirektor vielen deutschen Fußballfans noch ein Begriff sein. Tamas Hajnal machte einst als technisch versierter Mittelfeldregisseur 149 Bundesliga-Spiele für den FC Schalke 04, den Karlsruher SC, Borussia Dortmund und den VfB Stuttgart und 41 Zweitliga-Spiele für Kaiserslautern und Ingolstadt. Im Anschluss an seine aktive Karriere übernahm er 2018 eine Führungsrolle bei seinem Heimatverein Ferencvaros. Zusammengestellt hat er eine internationale Mannschaft, in der neben einigen Ungarn noch Spieler aus 14 weiteren Nationen stehen.
Bekannte Namen sucht man jedoch weitgehend vergeblich. Spuren in Deutschland hinterlassen hat Flügelstürmer Robert Mak, der einst vier Jahre lang für den 1. FC Nürnberg in der Bundesliga auflief, später unter anderem Champions-League-Erfahrung mit Zenit St. Petersburg sammelte und mit der Slowakei an zwei Europameisterschaften teilnahm. Mit drei Liga-Toren in der noch jungen Saison ist der mittlerweile 30-Jährige bester Torschütze bei Ferencvaros. In der Champions-League-Qualifikation hatten sich hingegen der Albaner Myrto Uzuni und der Marokkaner Ryan Mmaee mit jeweils vier Treffern hervorgetan. Weitere wichtige Stützen des Teams sind Mmaees großer Bruder Samy, der gemeinsam mit dem slowenischen Nationalspieler Miha Blazic die Innenverteidigung stellt, sowie Torhüter und Kapitän Denes Dibusz.
Offensiv verfügt Stöger über breit gefächerte Optionen. Spieler wie Uzuni, Nguen, Mak oder der ukrainische Nationalspieler Oleksandr Zubkov sind variabel einsetzbar und sorgen durch ihre Schnelligkeit und Zug zum Tor für reichlich Gefahr über die Außenpositionen. Und das vielleicht interessanteste „Geschenk“ seines Sportdirektors hat Stöger noch nicht mal richtig ausgepackt. Hajnal gelang im Sommer nämlich mit der Verpflichtung des serbischen Top-Talents Zeljko Gavric ein echter Coup. Der 20-Jährige, der von Roter Stern Belgrad kam, lief bereits für die Nationalmannschaft seines Heimatlands auf und stand 2020 auf der Nominierten-Liste für den „Golden Boy Award“. Für Ferencvaros absolvierte er zwar erst 22 Minuten auf dem Feld, wird künftig aber das bereits gut bestückte Offensivpotenzial noch weiter aufstocken.
Im Stadtderby gegen Honved hat Ferencvaros am Samstag ordentlich Kräfte gelassen. Stöger sprach davon, man habe die drei Punkte „auf Kosten des Leidens“ eingefahren. Zudem habe die internationale Zusammenstellung der Mannschaft auch den einen oder anderen Nachteil. „Für die Vorbereitung auf das Spiel gegen Leverkusen hat es nicht gerade geholfen, dass viele Spieler bei ihren Nationalmannschaften waren“, klagte Stöger am Samstag, der sich außerdem der qualitativen Unterlegenheit der eigenen Liga im Vergleich zu den europäischen Top-Ligen bewusst ist: „Die Bundesliga ist nicht die ungarische Liga“, stellte Stöger klar.
Die Gruppenphase von Champions League und Europa League hat Ferencvaros in den vergangenen beiden Jahren jeweils nicht überstanden. Bei der letzten Europa-League-Teilnahme 2019 fehlte im letzten Gruppenspiel aber nur ein einziges Tor zum Weiterkommen. Ob es dieses Mal gelingt? Angesichts der stark besetzten Gruppe ist Budapest eher Außenseiter, hat aber durchaus das Zeug für eine Überraschung. Und sollte das nicht gelingen, wäre es für die Ungarn auch kein Beinbruch. „Die Europa League ist schon ein schöner Erfolg für uns“, meint Stöger. Viel Druck ist also nicht vorhanden.

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