
Ein bisschen fühlt man sich dieser Tage an der Weser an die alten Zeiten erinnert. An Frings, Micoud, Klasnic, Klose. Diese Spieler gehörten zu den Protagonisten, als Werder im Jahr 2005 ganze 19 Punkte aus den ersten acht Bundesligaspielen holte. Diese 13 Jahre mussten die Statistiker zurückgehen, um einen Saisonauftakt zu finden, der die 17 Punkte, die Werder aktuell auf dem Konto hat, noch toppen kann. Der Unterschied: Damals spielte Bremen jedes Jahr Champions League, war fast dauerhaft erster Bayern-Kontrahent. 2018 gelang den Norddeutschen der Traumstart trotz einer Vorsaison, in der sie lange sogar noch gegen den Abstieg spielten und am Ende Rang elf belegten. Trotzdem wurden im Sommer die internationalen Plätze als Zielsetzung formuliert. Große Worte, viel dahinter: Nach acht Spieltagen liegt Bremen auf Rang drei und damit sogar vor dem großen FC Bayern. Überraschend? „Wir wollen uns nicht kleiner reden als wir sind“, gibt Shootingstar Maximilian Eggestein (im Bild oben) vor dem Spiel gegen die Werkself zu Protokoll.
Eggestein ist derzeit so etwas wie das Gesicht des Bremer Aufschwungs. Bereits vier Saisontore gelangen dem Eigengewächs bislang – und das als zentraler Mittelfeldspieler. Zuletzt schoss der 21-Jährige sein Team mit einem Doppelpack bei Schalke 04 zu einem 2:0-Auswärtserfolg und sich selbst spätestens jetzt ins Blickfeld von Bundestrainer Löw. Neben Eggestein agieren in Bremens Schaltzentrale gleich zwei Spieler, deren Verpflichtungen im Sommer die gestiegenen Ansprüche an der Weser verdeutlichten: Nuri Sahin, einst Eckpfeiler bei der ersten BVB-Meisterschaft unter Jürgen Klopp, sowie Davy Klaassen, niederländischer Nationalspieler und zuletzt für den FC Everton aktiv. Das Trio bildet das Prunkstück in der Mannschaft von Trainer Florian Kohfeldt, profitiert aber auch von Kapitän Max Kruse, der sich trotz seiner Rolle als Mittelstürmer häufig fallen lässt und Angriffe selbst mit einleitet. Dadurch agiert Werder im Angriffsspiel variabel und spielt einen teils sehr ansehnlichen Fußball, was maßgeblich auch Trainer Kohfeldt zu verdanken ist. Anders als noch in der vergangenen Saison hat der es nun aber auch geschafft, die Abwehr zu stabilisieren: Keine Mannschaft kassierte in der Liga bislang weniger Gegentore als Werder – zweifellos auch durch die Tatsache begünstigt, dass Kohfeldt mit einer Ausnahme bislang immer die gleiche Viererkette aus Augustinsson, Veljkovic, Moisander und Gebre Selassie ins Rennen schicken konnte.
Anders als in der Abwehr muss Werder auf anderen Positionen derzeit auf einzelne Spieler verzichten. Philipp Bargfrede, die defensivere Option zu Sahin auf der Sechs, zog sich vor dem Schalke-Spiel einen Muskelfaserriss zu. Zwar äußerte Kohfeldt Anfang der Woche Hoffnung, dass der Abräumer gegen die Werkself wieder zur Verfügung steht, ein Einsatz über 90 Minuten gilt aber als unwahrscheinlich. Im Angriff fehlen die Langzeitverletzten Fin Bartels und Aron Johansson. Da zuletzt auch Neuzugang Martin Harnik passen musste, griff Kohfeldt häufig auf die mittlerweile 40-jährige Vereinsikone Claudio Pizarro zurück, der nach seiner Rückkehr im Sommer aber noch kein Tor beisteuern konnte. Auch weitere Offensivkräfte wie Florian Kainz oder Yuya Osako spielen zwar bislang eine starke Saison, zeigen sich aber zu selten torgefährlich.
Die Jahre von Sparsamkeit und Bescheidenheit scheinen vorbei in Bremen. Im Sommer verpflichtete Werder große Namen und rief selbstbewusst das Ziel Europa aus. Das zeigt: Die sportliche Führung will nach acht Jahren im Mittelfeld der Bundesliga wieder dauerhaft vorne mitmischen. Trainer Kohfeldt verkörpert dabei attraktiven, aber auch erfolgsorientierten Fußball – vor allem aber ist er als Ur-Bremer eine absolute Identifikationsfigur. Gleiches gilt für Eigengewächs Maximilian Eggestein sowie dessen jüngeren Bruder Johannes, der beim 2:0 gegen Wolfsburg Anfang des Monats sein erstes Bundesliga-Tor erzielte. So will Werder, ähnlich wie in der Ära Thomas Schaaf, wieder langfristig für etwas stehen und möglichst erfolgreich sein. Der Grundstein dafür wurde in diesem Sommer definitiv gelegt.
Der starke Saisonstart war alles andere als eine Eintagsfliege. Bremen verfügt über eine überzeugende Spielanlage und hat auch offensiv genug Alternativen, um in einer langen Saison Ausfälle kompensieren zu können. Etwas knifflig könnte es werden, falls die defensiven Stützen Veljkovic oder Moisander langfristig fehlen sollten. Bleibt Werder von derartigem Verletzungspech verschont, erscheint es mehr als realistisch, dass am Ende der Saison nach achtjähriger Abstinenz tatsächlich die Rückkehr auf die internationale Bühne gelingt. Ein großer Vorteil für Werder: Im Gegensatz zu vielen anderen Konkurrenten um die europäischen Plätze leidet Bremen nicht unter der Dreifachbelastung.

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