„Es war von der ersten Minute an ein verrücktes Spiel. Wir hatten in der zweiten Halbzeit nach unserer Führung so viele gute Chancen auf weitere Treffer, da ist es ärgerlich, dass wir nur einen Punkt mitgenommen haben. Darüber sind wir alle sehr unglücklich“, sagte Leon Bailey, der nach der Pause ins Spiel gekommen war und erneut in fantastischer Form auftrumpfte. Sportchef Rudi Völler betonte den Anteil des Trainers am Umschwung nach der Pause: „Heiko Herrlich macht das sehr gut und hat in der Halbzeit unheimlich offensiv gewechselt. Das Risiko wurde belohnt, das ist unser Stil hier bei Bayer 04.“
Im Vergleich zur vergangenen Begegnung gegen Bremen hatte Heiko Herrlich erneut kräftig rotiert – und damit wiederholt sein großes Vertrauen in den kompletten Kader bewiesen: Kapitän Lars Bender, Julian Brandt, Kai Havertz und Admir Mehmedi kehrten in die Startelf zurück. Für sie erhielten Dominik Kohr, Julian Baumgartlinger, Leon Bailey und Kevin Volland in der kräftezehrenden Englischen Woche zunächst eine Verschnaufpause und einen Platz auf der Bank, Lucas Alario und Karim Bellarabi blieben in der Anfangsformation. Taktisch agierten die Leverkusener diesmal wieder in einem 4-2-3-1-System mit Panos Retsos als Linksverteidiger und Havertz als einem der beiden Sechser.
Die Voraussetzung vor dem Hinrundenausklang war nach den Resultaten der Konkurrenz vom Samstag klar: Mit einem Sieg in Hannover würde die Werkself auf Rang zwei oder drei der Tabelle überwintern, abhängig vom Ergebnis der später spielenden Leipziger gegen die Hertha. Heiko Herrlich hatte die Seinen, die in der HDI-Arena erstmals in dieser Saison in ihren weißen Ausweichtrikots antraten, vorher explizit noch mal auf aggressive Gastgeber und deren enorme Stärke bei Standards hingewiesen. Bayer 04 mit zwölf Pflichtspielen in Folge ohne Niederlage und Hannover mit Heimsiegen gegen Dortmund, Schalke und Hoffenheim – beide Teams gingen mit breiter Brust in die Partie.
Bayer 04 agierte vom Anpfiff weg griffig und störte die Hausherren früh. Es war gleich richtig Musik im Spiel – und es klingelte auf beiden Seiten: Die Werkself legte vor: Nach Einwurf von Benny Henrichs und herrlicher Hereingabe von Lars Bender traf Julian Brandt mit einem technisch überragend angesetzten Volleyschuss zur Führung flach ins Eck (11.). Doch der Jubel unter den etwa 1.000 Bayer 04-Fans, die größtenteils in Weihnachtsmann-Kostümen auf der Tribüne standen, war kaum verklungen, da schlug 96 zurück: Nach Flanke von Korb versenkte Bebou den Kopfball unhaltbar für Bernd Leno zum Ausgleich (12.). Und Hannover legte nach: Nach einem Zweikampf von Jonathan Tah gegen Klaus bemühte Schiedsrichter Storks den Videobeweis und entschied auf Elfmeter: Füllkrug verwandelte den Strafstoß sicher zum 2:1 (21.).
Das mussten die Leverkusener erst mal kurz sacken lassen und sich sortieren. Lange brauchten sie nicht dafür: Karim Bellarabi setzte Admir Mehmedi nach Hannovers Ballverlust im Aufbau im rechten Strafraum in Szene, und der Schweizer traf mit einem Schuss aus spitzem Winkel ins kurze Eck zum 2:2 (26.) – zwischen Pfosten und dem Fuß von Hannovers Keeper Tschauner rauschte die Kugel ins Netz. Die erste halbe Stunde in Hannover bot allerhöchsten Thrill-Faktor, beide Teams gingen mit rasantem Tempo und voller Entschlossenheit zu Werke. In dem Takt ging's auch munter weiter: Den Kopfball von Lucas Alario nach Flanke Brandts, der sich genau unter die Latte gesenkt hätte, lenkte Tschauner gerade noch über den Giebel (32.).
Unmittelbar vor der Pause verschaffte sich Hannover wieder einen Vorsprung: Nach einem Konter kam Klaus zum Schuss und Tah fälschte die Kugel noch entscheidend und unhaltbar für Leno ab, 3:2 für 96 (45.). In der Nachspielzeit hatte Karim Bellarabi den erneuten Gleichstand auf dem Schlappen, der Ball strich nach seinem scharfen Rechtsschuss aber hauchzart am langen Eck – zugleich der Schlusspunkt eines packenden Schlagabtauschs voller Wucht, Tempo und Intensität.
Nach der Pause kam die Werkself mit zwei frischen Kräften zurück auf den Platz: Für Lars Bender, der einen Schlag aufs Knie abbekommen hatte, und Bruder Sven (Schlag auf die Rippe) spielten nun Dominik Kohr und Leon Bailey, was mit der Umstellung auf ein 3-4-3-System einherging. Der Wechsel zahlte sich sofort aus: Nach tollem Zuspiel von Havertz ging Bailey auf und davon, blieb allein vor Tschauner ganz cool im Abschluss und traf mit links zum 3:3 (47.) – das war mal 'ne Ansage mit Beginn der zweiten Hälfte. Es ging mit unverminderter Schlagzahl hoch her auf beiden Seiten: Leno parierte Sanés Kopfball (55.), Tschauner entschärfte den Schuss von Havertz (56.). Dann setzte Bayer 04 erneut einen unwiderstehlichen Konter nach dem gleichen Strickmuster wie beim 3:3, nur dass diesmal Mehmedi statt Havertz der kongeniale Passgeber war: Leon Bailey zündete erneut den Turbo über links und überwand Tschauner mit seinem sechsten Saisontreffer flach ins lange Eck zum 4:3 (67.) – what a boy, dieser Jamaikaner!
Danach ließ Bailey um Haaresbreite den Hattrick liegen, als er völlig frei am langen Eck vorbeischoss (72.). Unmittelbar danach flog der Ball nach Kohrs noch abgefälschtem Schuss knapp über die Latte (73.), Bellarabis Flachschuss meisterte Tschauner mit Mühe (75.) – die Werkself schraubte mit Macht am fünften Treffer. Heiko Herrlich zog seine dritte Wechseloption und brachte André Ramalho für Brandt (79.). Kai Havertz scheiterte nach dem nächsten tollen Konter ganz allein vor Tschauner, Alario setzte den Kopfball-Nachsetzer aufs Netz (80.). Das rächte sich wenig später: Korb traf aus dem Gewühl im Strafraum in einer unübersichtlichen Szene zum 4:4-Ausgleich (84.) – der Wahnsinn in Hannover nahm kein Ende. Am Ende verzog Bellarabi (90.) und setzte Bailey den letzten Freistoß in die Mauer (90.+2). Ein unglaubliches Spiel hatte nur einen Sieger – die Zuschauer!
Für Bayer 04 geht es mit dem abschließenden Spiel des Jahres im DFB-Pokal-Achtelfinale weiter: Am Mittwoch, 20. Dezember, gastiert die Werkself in Mönchengladbach, Anstoß im Borussia-Park ist um 18.30 Uhr.
Die Statistik:
Hannover 96: Tschauner – Sorg (75. Benschop), Anton, Sané, Ostrzolek – Schwegler (85. Bakalorz), Fossum – Klaus (83. Sarenren Bazee), Korb – Bebou, Füllkrug
Bayer 04: Leno – Henrichs, Tah, S. Bender (46. Bailey), Retsos – L. Bender (46. Kohr), Havertz – Bellarabi, Mehmedi, Brandt (79. Ramalho) – Alario
Tore: 0:1 Brandt (11.), 1:1 Bebou (12.), 2:1 Füllkrug (FE./21.), 2:2 Mehmedi (26.), 3:2 Klaus (45.), 3:3 Bailey (47.), 3:4 Bailey (67.), 4:4 Korb (84.)
Schiedsrichter: Storks (Velen)
Gelbe Karte: Mehmedi
Zuschauer: 32.800
Rüdiger Vollborn ist seit 40 Jahren im Klub, mit 401 Bundesliga-Einsätzen der Rekordspieler des Klubs und hat als einziger Bayer 04-Profi sowohl den UEFA-Cup (1988) als auch den DFB-Pokal (1993) gewonnen. Und auch nach seiner beeindruckenden Profi-Karriere blieb der gebürtige Berliner dem Werksklub weiter erhalten, arbeitete fortan neun Jahre als Torwarttrainer. Inzwischen ist Vollborn unterm Bayer-Kreuz als Fanbeauftragter und Klub-Archivar tätig. Seit Februar 2021 nimmt das personalisierte schwarz-rote Lexikon die Werkself-Fans in der Rubrik „Rudi erzählt...“ monatlich mit auf eine kleine Reise in die Geschichte von Bayer 04.
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