Dr. Dittmar: „Oft ein Ritt auf der Rasierklinge“

Wenn Charles Aránguiz hart gefoult wird, oder sich Kai Havertz in Wolfsburg an den Oberschenkel greift und auswechseln lässt, ruhen alle Hoffnungen von Trainer Peter Bosz und der Werkself-Fans auf Mannschaftsarzt Dr. Karl-Heinrich Dittmar und seinem Team von Spezialisten. Der bisherige Leiter der medizinischen Abteilung von Bayer 04 ist im Sommer 2019 zum Direktor Medizin befördert worden.
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Balkendiagramme sind selten spannend – erst recht nicht für Fußball-Fans. Dr. Karl-Heinrich Dittmar hingegen registriert es mit Genugtuung, wenn er im Rechner die jüngste Statistik der Champions-League-Vereine aufruft. „Links, der kürzeste rote Balken, das ist Bayer 04“, sagt der Internist. Kurz ist in diesem Fall gut. Nein, sogar sehr gut. Der beste Platz. Rechts, die längeren Balken, die gehören Mannschaften wie Real Madrid und Paris Saint-Germain, Juventus Turin und dem FC Bayern München. Die Statistik zeigt, wie zahlreich die Spielerausfälle der Vereine in Liga und Champions League der vergangenen drei Monate waren.

Beförderung zum Direktor Medizin

Gesunde Spieler, die erst gar nicht krank werden oder nach einer Verletzung möglichst bald Trainer Peter Bosz wieder zur Verfügung stehen – das ist das Ziel der Medizinischen Abteilung von Bayer 04, die Dittmar seit 2009 leitet. Seit Juli darf er sich Direktor nennen. Der hohe Stellenwert der Abteilung hat seinen historischen Grund: „Bayer als Pharma-Unternehmen hat dem Thema Gesundheit schon immer einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt“, schildert der 56-Jährige im Gespräch mit dem Werkself Magazin. „Noch vor den Fußballern gab es in Leverkusen ja schon Spitzensport im Basketball, Handball und Volleyball, im Boxen und der Leichtathletik. Entsprechend hat sich Bayer 04 schon früh mit der medizinischen Betreuung der Spitzensportler beschäftigt.“

Um detailliert und gezielt mit den Spielern arbeiten zu können, hat Dittmar 2009 die „Werkstatt“ aufgebaut, das innovative Zentrum mit den Schwerpunkten Prävention, Regeneration und Rehabilitation im dritten Stock der BayArena. Das Besondere: Dittmar hat nicht nur hervorragende technische Geräte – von speziellen Fitnessgeräten bis zur Kältekammer – zur Verfügung, sondern bundesweit Topleute aus allen Fachbereichen gewonnen. „Früher fuhren unsere Fußballer für Operationen nach München und zur Reha nach Donaustauf. Das macht heute keiner mehr. Wir haben die Topleute nach Leverkusen geholt, so dass wir in der Werkstatt einen medizinischen Service anbieten können, der dazu führt, dass andere Profis zu uns kommen“, betont Dittmar, der ein 35-köpfiges Team führt. Masseure und Physios arbeiten in der Werkstatt, Orthopäden und Reha-Spezialisten, Experten für Trainingssteuerung, Athletik und Sportwissenschaft und Psychologen, die im persönlichen Austausch Probleme angehen.

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Dr. Karl-Heinrich Dittmar im Gespräch mit Sabine Christmann-Schaaf, Verwaltungs- und Organisationsleiterin der Werkstatt.

Welches Expertenwissen stellen Sie Peter Bosz zur Verfügung, Herr Dittmar?
Dittmar: Wir beobachten die Spieler und ihren Bewegungsablauf in jedem Training und jedem Spiel. Wenn wir Auffälligkeiten feststellen, geben wir einen Hinweis an den Trainer, dass es vielleicht sinnvoll wäre, einen Spieler schon jetzt rauszunehmen, bevor eine schwerere Verletzung droht. Oder im Training geben wir Ratschläge, wie stark ein Spieler belastet werden kann, beispielsweise nach einer Operation oder Verletzung.

Wieso können Sie eine mögliche Verletzung vorausahnen?
Dittmar: Die Basis liefert die Eingangsdiagnostik. Wir untersuchen den gesamten Körper eines Sportlers, zum Beispiel Besonderheiten im Muskelapparat oder im Laufstil, wir vermessen die Beinachse, schauen uns an, wie ein Spieler mit den Füßen auftritt. Wir können aus all diesen Daten voraussagen, dass zum Beispiel ein Laufstil auf Dauer zu einem Knorpelschaden führt. Also können wir hier schon präventiv etwas tun, damit es zu diesem Schaden erst gar nicht kommt. Das können Einlagen sein oder eine Veränderung des Bewegungsablaufes. Genauso können wir im Spiel erkennen, wenn ein Spieler anders läuft, weil sich vielleicht eine Zerrung andeutet. Bevor es so weit ist, können wir den Spieler auswechseln, um eine schwerere Verletzung zu vermeiden. Beim Spiel gegen Atletico Madrid in der BayArena haben wir beispielsweise schon ganz früh erkannt, dass Wendell ein Problem hat. Er wurde deshalb zur Halbzeit ausgewechselt. Wir konnten so eine mögliche lange Ausfallzeit verhindern. Gegen Wolfsburg vier Tage später konnte er wieder spielen. Das ist erfolgreiche Prävention.

Können Sie und Ihre Mitarbeiter die Leistung eines Spielers auch verbessern?
Dittmar: Nehmen wir mal den Gleichgewichtssinn. Der ist sehr wichtig, weil der Spieler fest stehen muss, um genau passen und schießen zu können. Wenn wir da Schwächen erkennen, können wir den Gleichgewichtssinn und den betreffenden Muskelapparat gezielt trainieren.

Wie gestaltet sich ihr Tagesablauf?
Dittmar: Vormittags bin ich weiterhin in meiner Gemeinschaftspraxis in Quettingen. Mein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr. Gegen Mittag bin ich in der Werkstatt in der BayArena. Dann kümmere ich mich um mein Team, um die Spieler und habe Kontakt mit dem Trainerteam.

Um was geht es bei solchen Gesprächen?
Dittmar: Die Belastungssteuerung der Mannschaft und der Spieler ist ein wichtiges Thema. Wenn wir unter der Woche Champions League oder DFB-Pokal spielen, dann können wir keine Belastungsspitzen im Training riskieren, weil sonst Verletzungen drohen. Es muss darum gehen, dass sich die Spieler erholen können. Genauso wichtig ist, dass Spieler, die aus der Reha kommen, nicht zu schnell zu stark belastet werden. Wir wollen dem Trainer so viele Spieler so schnell wie möglich zur Verfügung stellen. Aber nicht um jeden Preis. Zum Beispiel braucht eine verletzte Sehne ein Jahr, bis sie ganz ausgeheilt ist. Trotzdem stehen die Spieler schon sechs Wochen später wieder auf dem Platz. Das ist oft ein Ritt auf der Rasierklinge. Wie müssen also die Belastung ganz genau steuern.

Das hört sich nicht nach einem Halbtagsjob an.
Dittmar: Man muss schon mit ganzem Herzen dabei sein. Vor 20 Uhr komme ich selten nach Hause.

Dann muss auch Ihre Frau Bayer 04-Fan sein ...
Dittmar: Ja, das ist sie auch. Sie hat eine Dauerkarte und hat schon früher, als ich noch mit ihr auf der Tribüne und nicht auf der Trainerbank saß, die Mannschaft deutlich lauter angefeuert als ich. Und auch einer meiner Söhne ist regelmäßig im Stadion und steht in der Fankurve.

Als geborener Leverkusener dürfte Ihnen Bayer 04 ja quasi auch im Blut liegen ...
Dittmar: Ja, ich wurde im Städtischen Krankenhaus in Schlebusch geboren, bin auf das Lise-Meitner- und das Landrat-Lucas-Gymnasium gegangen. Ich habe dann Medizin in Köln studiert und in Düsseldorf promoviert. Und ausgerechnet am Städtischen habe ich sogar mein praktisches Jahr gemacht. Eigentlich wollte ich in die große weite Welt, unbedingt in die USA.

Was waren so Ihre ersten Erlebnisse mit der Werkself?
Dittmar: Ich war schon zu Verbandsliga-Zeiten im Ulrich-Haberland-Stadion, dann kam die 2. Liga Mitte der 70er Jahre. Ich war beim legendären Aufstiegsspiel im Mai 1979 gegen Uerdingen im Stadion, als wir mit einem 3:3 den Aufstieg in die Bundesliga klarmachten. Und auch beim sensationellen Gewinn des UEFA-Cups 1988 war ich unter den Fans. Damals wurde ein Traum wahr. Genauso wie ein Traum für mich in Erfüllung ging, als ich als Mannschaftsarzt verpflichtet wurde.

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