Es waren nur ein paar Zeilen, geschrieben heute vor genau 120 Jahren, am 27. November 1903. Ein Brief mit zwei Sätzen, einem beiliegenden Rundschreiben und einer Liste mit 170 Unterschriften. Dokumente von historischer Bedeutung für unseren Klub. Denn sie waren das Fundament für die Gründung.
Der Brief im Originalwortlaut:
Leverkusen, den 27. Novbr. 1903
An die verehrliche Direktion der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Elberfeld.
Mit höflicher Bezugnahme auf anliegendes Rundschreiben richtet der Unterzeichnete die Bitte an die verehrliche Direktion, die Gründung eines Turnvereines für Ihre Werksangehörigen (Beamte, Arbeiter und jugendliche Arbeiter) gütigst erwägen bzw. bewerkstelligen & denselben einen Turnraum & einen Spielplatz für seine Übungen zur Verfügung stellen zu wollen. Durch Gewährung obigen Gesuchs erweisen Sie Ihren Beamten & Arbeitern eine große Wohlthat, & würde diese Gründung sich den schon vorhandenen Wohlfahrtseinrichtungen würdig erweisen.
Hochachtungsvollst
Wilh. Hauschild.
Der damals 47 Jahre alte Unterzeichner Wilhelm Hauschild war selbst Turner bei der TG Elberfeld und einige Jahre Turnwart im Gau Wuppertal gewesen. Und er war Mitarbeiter bei der 1863 in Wuppertal gegründeten Offenen Handelsgesellschaft Friedr. Bayer & Co., aus der später die Farbenfabriken und schließlich die Bayer AG wurden. Hauschild gehörte zu jenen Angestellten, die von der Wupper an den Rhein übergesiedelt waren, seit es ab 1891 südlich von Wiesdorf eine zweite Betriebsstätte von Friedr. Bayer & Co. gab. Und er und seine Mitstreiter wollten sich nun auch in ihrer neuen Heimat sportlich betätigen. Zwar gab es im Umland bereits einige Turnvereine. So hatte sich 1881 der TV Schlebusch gegründet, ein Jahr darauf folgte der TV Opladen, der sich später in TuS 82 Opladen umbenannte. Auch in Neukirchen (1886, noch ohne den Zusatz „Bergisch“), Bürrig (1887), Rheindorf (1892) und Hitdorf (1893) konnte man schon in Vereinen turnen. Aber für die Angestellten der Farbenfabriken in Wiesdorf waren die Wege dorthin weit. Beförderungsmittel gab es kaum, Fußmärsche hätten Stunden gedauert.
Also hatten sich Wilhelm Hauschild und sein Kollege August Kuhlmann, der damalige Männerturnwart des Sonnborner TV, schon im Februar 1903 in einem Rundschreiben „an die Herren Betriebs- & Bureaubeamten Leverkusen“ gewandt. Darin stellten die beiden fest: „Nur wenige Orte gibt es im deutschen Vaterlande, wo noch kein Turn- und Spielplatz vorhanden ist, darunter auch unser Leverkusen, das doch mit seiner großen Beamten- und Arbeiterschar besondere Veranlassung hätte, eine Gelegenheit zu suchen, um für die in Folge der bestehenden Arbeitstheilung meist sehr einseitige und nur wenig Körperbewegung gewährende Thätigkeit ein Gegengewicht zu schaffen. […] Diejenigen Herren nun, welche ein Interesse daran haben, daß auch in Leverkusen Turn- und Spielgelegenheit geboten wird, werden gebeten, dies durch Namensunterschrift zu bekunden, um dann auf Grund dieser Unterschriften an die Direktion der Farbenfabriken ein Gesuch um Unterstützung der Sache richten zu können.“ Diesem Wunsch kamen im Laufe der folgenden Wochen 170 Unterzeichner nach, darunter zahlreiche Ingenieure und andere Akademiker.
„Unser Leverkusen“, wie es Hauschild und Kuhlmann nannten, damit war 1903 nur das Werksgelände südlich des kleinen Bauern- und Fischerdorfes Wiesdorf gemeint. Benannt war der Provinz-Flecken nach Carl Leverkus, der hier 1863 seine Ultramarinfabrik zur Herstellung blauer Farbstoffe aufgebaut hatte. Bis zur Gründung der Stadt Leverkusen sollte es noch bis 1930 dauern. Die Einwohnerzahl von Wiesdorf aber hatte sich zwischen 1891 und 1905 schon mehr als verdreifacht, sie stieg von 3.000 auf 10.000 Einwohner, rund 4.000 davon arbeiteten als Beschäftigte der Farbenfabriken.
Die beiden Briefe vom Februar und November entsprechen in Stil und Ton den schriftlichen Umgangsformen und Gepflogenheiten der damaligen Zeit. Es war das Amtsdeutsch des Kaiserreiches. Wir befinden uns schließlich im Jahr 1903: Die Schlagzeilen Ende November beherrscht der Gesundheits- und Gemütszustand von Kaiser Wilhelm II., der sich wegen einer Kehlkopferkrankung behandeln lassen muss. Die „Opladener Zeitung – Verkündiger und Anzeiger an der Nieder-Wupper“ berichtet von einer „ergreifenden Tragödie“, die sich gegenwärtig im Neuen Palais in Potsdam abspiele. Wilhelm II., dessen Vater Kaiser Friedrich III. an Kehlkopfkrebs gestorben war, werde „immer schweigsamer und finsterer“. Die Sache ging bekanntlich glimpflich aus, der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen starb erst 1941 im Alter von 82 Jahren im niederländischen Exil in Doorn.
Was den Sport betrifft: Im Juli 1903 hatte zum ersten Mal ein großes Straßenradrennen mit 60 Teilnehmern durch Frankreich stattgefunden – die Premiere der Tour de France. Ende Mai war der VfB Leipzig erster Deutscher Fußballmeister geworden – mit einem 7:2-Finalsieg über den Deutschen Fußball-Club Prag in Altona. Der Deutsche Fußball-Bund als Ausrichter der Meisterschaft hatte sich drei Jahre zuvor gegründet.
Nun also, Ende November 1903, hofften Wilhelm Hauschild und seine Mitstreiter auf einen baldigen positiven Bescheid auf ihr eigenes Anliegen. Die Antwort aus der Zentrale in Elberfeld ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten. Am 12. Dezember 1903 teilte die Direktion mit, „dass sie sich außerordentlich freue, wenn ein Turnverein zustande käme“. Friedr. Bayer jr. und Carl Duisberg stellten zudem den Bau einer Turnhalle in Aussicht. Damit war der Startschuss gefallen für die Gründung eines einzigartigen Klubs, der bald auch den Fußballern eine sportliche Heimat bot. Die Wurzeln reichen zurück bis zu jenem 27. November 1903. Bayer 04 freut sich, im kommenden Jahr dieses Jubiläum zu würdigen.
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