„Aufbruch – und vielversprechende Perspektive“: Carro und Rolfes im großen Jahresabschluss-Interview

Fernando, Simon, von außen wurde der zurückliegende Sommer bei Bayer 04 oft mit dem Wort „Umbruch“ beschrieben. Trifft dieser Begriff auch für euren Rückblick aufs Jahr zu?

Rolfes: „Aufbruch“ trifft es aus meiner Sicht am besten. Die Veränderungen in der Mannschaft sind in diesem Sommer sicherlich etwas größer ausgefallen. So etwas ist alle vier, fünf Jahre aber ganz normal. Die Mannschaft ist in einen neuen Zyklus gestartet – und das sehr vielversprechend.

Carro: „Aufbruch“ gefällt mir auch sehr gut, da kann ich Simon nur zustimmen. Es war zwar viel Arbeit im Sommer, aber wir haben von den guten Prozessen profitiert, die wir uns über viele Jahre aufgebaut haben. Das betrifft alle Bereiche, die es braucht, um einen Kader zusammenzustellen.

Welche Momente und Emotionen bleiben, wenn ihr auf das Jahr zurückschaut?

Carro: Negativ das Pokalspiel in Bielefeld, das ärgert mich bis heute. Insgesamt gab es aber wieder viele schöne, positive Momente. Das Heimspiel gegen die Bayern (0:0 im Februar ohne Torschuss der Münchner, Anm. d. Red.), bei dem wir haushoch überlegen waren, aber leider nicht gewonnen haben. Oder aus dieser Saison etwas aktueller die Siege in Lissabon und Manchester, der Pokalsieg in Dortmund und der Derbysieg.

Rolfes: Natürlich kommen mir da auch diese Spiele in den Kopf. Aber vor allem auch die Momente, als die Mannschaft begonnen hat, sich mehr und mehr zu finden. Die ersten Auftritte der jungen neuen Spieler, die sich ausgesprochen schnell adaptiert haben, auch in großen Spielen wie gegen City. Wir haben im Sommer einiges verändert und sehen bereits, dass sich vieles zusammenfügt. Diese Entwicklung finde ich sehr spannend und motiviert mich extrem. Und sie ist noch längst nicht abgeschlossen.

2024 war das erfolgreichste Jahr der Vereinshistorie. Jetzt beschließen wir das nächste Kalenderjahr. Von außen wurde häufig prognostiziert, dass das „Jahr danach“ schwierig werden würde. Inwiefern hat der Klub seine hohen Ambitionen dennoch unterstrichen?

Carro: Wir beenden dieses Jahr im UEFA-Ranking auf Platz acht (u.a. vor Barcelona und Arsenal, Anm. d. Red.), das ist ein klares Zeichen. Letzte Saison sind wir in der Liga Zweiter geworden und haben uns sehr viel Respekt bei der Konkurrenz erarbeitet. Mit den Budgets, die die Bayern und wir haben, ist es nicht leicht, sie regelmäßig zu ärgern. Aber unsere Ansprüche sind weiterhin sehr hoch und wir sind zuversichtlich und gewillt, es den Bayern in den kommenden Jahren wieder schwer zu machen.

Rolfes: Diese Entwicklung macht uns für Spieler mit sehr hoher Qualität und großem Potenzial attraktiver. Spieler, die wir diesen Sommer geholt haben, wären vor drei, vier Jahren nicht zu uns gekommen. Unser Umfeld ist zwar familiär und von großem Vertrauen geprägt, aber immer auch verbunden mit einem klaren Leistungsanspruch. Wir wollen Erfolg haben, um Titel kämpfen. Die rasante sportliche Entwicklung bis auf Rang acht im UEFA-Ranking, wie Fernando es ja gerade schon erwähnt hat, ist für mich einmalig in Europa.

Auch mit Blick auf die globale Bekanntheit und Präsenz hat Bayer 04 in diesem Jahr erneut eine Entwicklung verzeichnet, unter anderem durch das Trainingslager in Brasilien. Wie wird der Klub eurer Ansicht nach im Ausland wahrgenommen?

Carro: Wir sind international so präsent wie noch nie. Diese Reisen und unsere diversen Projekte in einzelnen Zielmärkten sind wichtig für die globale Bekanntheit von Bayer 04, aber auch für den internationalen Stellenwert der Bundesliga insgesamt. Entscheidend bleiben aber immer die sportlichen Erfolge, sie sind der Kern. Je erfolgreicher wir sind, desto größer ist auch die internationale Aufmerksamkeit, die uns entgegengebracht wird. Und unsere Art, Fußball zu spielen, hat in den letzten Jahren viele Menschen begeistert. Das Traumtor von Martin (Terrier, Anm. d. Red.) im Derby zum Beispiel lief in allen spanischen Medien rauf und runter, solche Szenen unserer Mannschaft gehen um die Welt.

Die Basis bleiben natürlich unsere Fans hier vor Ort, sie sind der Kern.

Rolfes (schaut in die BayArena): Wenn ich an die gemeinsamen Momente der vergangenen Jahre hier im Stadion denke, bekomme ich Gänsehaut. Ich habe hier 2005 als Spieler angefangen – die Entwicklung seitdem ist fantastisch. Unsere Fans haben großen Anteil an der gewachsenen Siegermentalität, die hier inzwischen an jeder Ecke gelebt wird.

Die BayArena ist und bleibt unser Zuhause, doch andere Rahmenbedingungen verändern sich. Stichwort Autobahn-Ausbau. Welche Bedeutung hat der geplante Bayer 04 Campus in Monheim und welche Schritte sind in dem Zusammenhang im kommenden Jahr wichtig?

Carro: Das ist eines, wenn nicht sogar das wichtigste Zukunftsprojekt für den Klub. Wir sind bei allen Schritten immer im engen Austausch mit allen Beteiligten, so werden wir es auch künftig weiter handhaben.

Rolfes: Für den sportlichen Bereich ist die Bedeutung des Campus enorm. Wir arbeiten in vielen Bereichen bereits auf europäischem Topniveau, bei der Infrastruktur aber mit Sicherheit nicht. Andere Vereine investieren hier stark – das müssen auch wir tun. Nur durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur werden wir langfristig ein absoluter Top-Klub in Europa sein.

Zurück zum sportlichen Hier und Jetzt. Früh in der Saison habt ihr mit der Verpflichtung von Kasper Hjulmand eine klare Entscheidung getroffen. Für ihn ging es eigentlich direkt los. Wie ist es ihm gelungen, das neu zusammengestellte Team mit so einer engen Taktung der Spiele zu formen?

Rolfes: Kasper hat ein sehr gutes funktionierendes Trainerteam vorgefunden. Dazu kannten wir uns persönlich schon lange. Das hat beides geholfen. Er hat schnell für Klarheit auf dem Platz gesorgt. Und auch das Zwischenmenschliche ist eine seiner großen Stärken, weil er ein sehr gutes Gespür für die Spieler hat und viel mit allen kommuniziert.

Carro: Es passt sehr gut mit ihm, Kasper tut uns gut. Er ist fokussiert, intelligent und nahbar. Dazu hat er viel Erfahrung und weiß, was er will. Seine Idee vom Fußball passt perfekt zu unserer Philosophie.

Spieler wie Maza, Poku oder Kofane, die im Sommer als vielversprechende Talente geholt wurden, sind inzwischen Stammkräfte. Worauf wurde bei ihrer Verpflichtung geachtet?

Rolfes: Erst einmal müssen die Spieler zu unserer Spielidee passen, dazu ist ihr Charakter für uns entscheidend. Wir schaffen Vertrauen für sie, pushen sie aber gleichzeitig, um zusammen große Ziele erreichen zu können. Mit diesem Mix können sich junge Spieler schnell entwickeln. Unser Anspruch ist nicht, ein gutes Team zu haben, sondern wieder eine herausragende Mannschaft zu formen. Auch die Meistermannschaft ist nicht von heute auf morgen entstanden – Erfolg ist ein Prozess, an dem viele beteiligt sind und Verantwortung dafür tragen.

Blicken wir auf 2026 und das Winter-Transferfenster: Seht ihr Bereiche, in denen ihr noch nachjustieren wollt?

Rolfes: Nachjustieren tut man nur, wenn man glaubt, intern nicht mehr ausreichend Potenziale zu haben. Dass unser Kader nach den vielen Veränderungen noch nicht überall die letzte Schleife dran hat, ist klar. Spieler wie Ibo (Maza, Anm. d. Red.) haben in den letzten Wochen aber gezeigt, wie schnell große Schritte gemacht werden können. Die Mannschaft ist weiterhin im Aufbau, und wir müssen den Spielern Raum geben, sich zu entwickeln. Wir können mit den Spielern, die wir haben, noch viel mehr. Davon bin ich überzeugt. Gleichzeitig würden wir uns nie gegen Dinge wehren, die Sinn machen und unsere Qualität steigern. Aber die Frage dabei ist ja immer: Bekommen wir einen Spieler, der auf unserem Niveau eine Verbesserung darstellt? Das ist im Winter nicht so leicht.

Wir sind noch in allen drei Wettbewerben dabei, im Sommer steht die WM an. Worüber würdet ihr euch im nächsten Jahr freuen?

Rolfes: Die ersten sechs Monate des „Kennenlernens“ liegen hinter uns. Jetzt gilt es, die Mannschaft ans Leistungslimit zu bringen und wirklich erfolgreich zu sein. Wie gesagt – wir sind extrem motiviert. Unsere Ambitionen und unser Ehrgeiz werden auch im neuen Jahr hoch sein.

Carro: Ich würde mich über ein Pokal-Endspiel in Berlin freuen. Und über spannende Play-offs, Achtelfinals oder mehr in der Champions League. Und darüber, die Bundesliga in den Top vier zu beenden. Das sind unsere Ziele.

Jetzt könnt aber auch ihr erst einmal die wohl ruhigste Phase des Jahres in unserem Business genießen. Wie sehen eure Tage aus, bis es Anfang Januar dann direkt Schlag auf Schlag wieder weitergeht?

Rolfes: Wir verbringen Weihnachten ganz klassisch im Kreise der Familie. Danach geht es für mich mit meiner jüngsten Tochter nach Paris. Das habe ich mit meinen anderen Töchtern auch schon gemacht.

Carro: Bei uns ist an Weihnachten etwas mehr los. Am 1. Weihnachtstag sind wir mit unseren Familien aus Barcelona und Madrid insgesamt 26 Personen bei uns zu Hause – und wir haben noch keine Ahnung, wie wir das Seating machen sollen. (lacht) Die anderen Tage sind etwas ruhiger, da sind wir dann „nur“ 18 oder 19 Leute. Die gemeinsame Zeit wird sicher guttun, wir haben im neuen Jahr viel vor.