Isa­bel Ker­schow­ski

Lea­de­rin, Kämp­fe­rin und Her­zens­mensch

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Zweimal hat Isabel Kerschowski für die Bayer 04-Frauen gespielt, insgesamt 73-mal das Kreuz auf der Brust getragen. Am vergangenen Donnerstag hat sich die Olympiasiegerin nach der letzten Trainingseinheit von der Mannschaft verabschiedet. Die erfahrene Abwehrspielerin verlässt den Werksklub Richtung Turbine Potsdam – die Entscheidung hat sie sich nach der besten Saison der Leverkusenerinnen in der Geschichte nicht leicht gemacht. Doch für die 33 schließt sich nun ein Kreis...

Isabel Kerschowski ist ein Großstadtkind, eine echte Berlinerin - mit „Berliner Schnauze“. Früher zumindest, doch in der Heimat kommt der Dialekt immer mal wieder durch. „Ich kann ja außerhalb Berlins nicht mit meinem ‚icke‘ rüberkommen“, sagt sie schmunzelnd. Am 22. Januar 1988 kam sie in Ost-Berlin zur Welt, eine Minute vor ihrer eineiigen Zwillingsschwester Monique. Mit ihrer Schwester hat „Isy“ nicht nur Kindheit, Schulzeit und Freizeit verbracht, sondern auch die ersten sportlichen Erfolge gesammelt. Allerdings nicht im Fußball, sondern zunächst einmal in der Leichtathletik.

Von der einen zur anderen Leistungssportart

Die beiden Talente bestachen vor allem durch ihre Schnelligkeit und hatten mit elf Jahren sogar ein Angebot, in die USA zu gehen. Doch dann mit zwölf Jahren der Rückschlag: Schwester Monique wurde ein Knorpelschaden im Knie attestiert, das war’s für sie mit dem Leistungssport, hieß es. „Alleine wollte ich dann auch nicht mehr zum Training fahren, da verging mir ein wenig der Spaß“, erinnert sich Kerschowski. Doch ein Leben ohne Sport: undenkbar. So sind die Schwestern einfach häufiger bolzen gegangen, und Schwester Monique hatte sich wieder rehabilitiert. Als sie im Laden um die Ecke neue Fußballschuhe kaufen wollten, sprach der Besitzer sie an – er hatte die beiden öfter beobachtet und brachte das Duo zum BSC Marzahn. Bei dem kleinen Klub blieben die Schwestern fünf Jahre, ehe sie gemeinsam zum Spitzenverein 1. FFC Turbine Potsdam wechselten.

Im ersten Jahr pendelten beide nach der Schule von Berlin nach Potsdam, nach der 10. Klasse entschied sich „Isy“ für eine Ausbildung als Tischlerin. „Mein Onkel und mein Bruder haben diesen Beruf erlernt“, erklärt Kerschowski die entdeckte Leidenschaft für Holz. „Man kann sich seine Möbel nach eigenem Wunsch bauen, also so, dass sie für einen selbst perfekt sind. Das macht für mich den Reiz aus“, sagt sie. Doch die Ausbildungszeit war nicht immer leicht: „Damals musste ich schon um 5 Uhr morgens aus dem Haus, um 7 Uhr habe ich angefangen, damit ich am Nachmittag oder Abend zum Training gehen konnte“. In dem Beruf hat die ausgelernte Tischlerin auch noch eine Weile nach ihrer Lehre gearbeitet – und „nebenbei“ sehr erfolgreich Fußball gespielt.

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In Potsdam begann das Titelsammeln

In Potsdam hat sich neben dem Möbelbauen nämlich eine weitere Leidenschaft ergeben: das Titelsammeln. 2006, 2009, 2010, 2011 und 2012 wurde Kerschowski mit den Turbinen Deutsche Meisterin. 2006 holte sie mit ihrer Mannschaft den DFB-Pokal; 2008 und 2009 den DFB-Hallenpokal dazu. Und der bis dato größte Erfolg: der Gewinn der Champions League im Jahr 2010. Vom Verbandsligisten in Berlin zur 17-jährigen Bundesliga-Debütantin und später eine der ganz großen Fußballerinnen Deutschlands. Besonders das CL-Finale blieb Kerschowski im Kopf: „Das war das erste Mal Champions League für mich. Ich war vorher lange verletzt nach meinem ersten Kreuzbandriss. Es war mein erster richtiger Einsatz nach der Verletzung. Im Elfmeterschießen haben wir schließlich glücklich gewonnen“, schwelgt sie in Erinnerungen.

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Das erste Intermezzo in Leverkusen

Im Sommer 2012 war es dann Zeit für etwas Neues, und „Isy“ zog es erstmals ein Stückchen weg aus der Heimat. Bei den Leverkusenerinnen, wo sie gleich zur Mannschaftskapitänin ernannt wurde, fand sie zur Saison 2012/13 jedoch ganz andere sportliche Bedingungen vor. Hier ging es nicht ums Titel sammeln, sondern um den Klassenerhalt. Eine Umstellung. Und auch privat war die weite Entfernung zur Familie zunächst nicht leicht zu verkraften. „Die Anfänge waren schwer, ich kannte hier noch keinen, hatte schon ein wenig Heimweh. Aber die Zeit hat mich auch geprägt und weitergebracht. Und meine Familie kam mich ja auch öfter besuchen in Leverkusen, um die Spiele zu sehen und die Stadt kennenzulernen, in der die Tochter nun wohnte“, blickt Kerschowski zurück. 33 Bundesliga- und vier DFB-Pokalspiele später schloss sie sich dann erneut einem Spitzenklub der FLYERALARM Frauen-Bundesliga an – es ging zum VfL Wolfsburg.

„Ich wollte mich nochmal verändern. Und auch gucken, ob das Know-how, das ich hatte, noch für ganz oben reicht.“ Das tat es. In Wolfsburg erlebte die Defensivspielerin noch einmal erfolgreiche Zeiten, erweitere ihre Trophäensammlung um zwei Meisterschalen und vier Pokaltitel. Außerdem gelang Kerschowski wieder der Sprung in die deutsche Nationalmannschaft.

Gold bei Olympia in Brasilien

Seit der U17 durchlief sie die U-Teams des DFB, debütierte schließlich 2007 beim EM-Qualifikationsspiel gegen Wales. „Ich war als Jüngste mit dabei. Da waren Spielerinnen wie Birgit Prinz im Kader, vor denen hatte ich sehr viel Respekt“, sagt sie und schiebt lachend eine Anekdote hinterher: „Als ich angefangen habe, Fußball zu spielen, wusste ich nicht einmal, wer Birgit Prinz war. Ich wusste gar nichts aus dem Frauenfußball.“ Bis auf ein Spiel sechs Jahre später im Algarve Cup gegen Japan folgten keine Nominierungen mehr, bis zu ihrer Rückkehr 2016. Mit der deutschen Elf nahm Kerschowski bei den Olympischen Spielen in Brasilien teil, nach einem tollen Turnier kam sie mit der Goldmedaille im Gepäck zurück nach Hause und wurde auch als „Nationalspielerin des Jahres 2016“ ausgezeichnet.

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Isabel Kerschowski (r.)

Auf Rückkehr nach Leverkusen folgt der Schock

Seit Sommer 2019 lief die Olympiasiegerin wieder mit dem Kreuz auf der Brust auf. Der Vertrag in Wolfsburg war ausgelaufen, beide Parteien hatten sich darauf geeinigt, nicht zu verlängern. So nutzte die damalige Bayer 04-Cheftrainerin Verena Hagedorn, zuvor die Co-Trainerin von Kerschowski beim DFB, die Gunst der Stunde und holte die erfahrene Spielerin zurück für ein zweites Intermezzo in Leverkusen. „Das Gesamtpaket hatte einfach gestimmt“, erinnert sich Kerschowski. Die Rückkehr lief für die wieder ernannte Kapitänin allerdings alles andere als wie vorgestellt. Nach nur drei Spieltagen musste sie einen herben Rückschlag einstecken: Die 21-malige Nationalspielerin riss sich im Spiel das Kreuzband und fiel lange Zeit aus. Mit großer Willensstärke kämpfte sie sich über ein Jahr lang zurück und war spätestens seit der jüngst abgelaufenen Saison wieder ganz „die alte“ bei einhundert Prozent. In der vergangenen Spielzeit war sie eine wahre Dauerbrennerin, verpasste bis auf das Saisonfinale beim SC Sand keine einzige Partie und hielt die Hintermannschaft der Feifel-Elf stets zusammen.

Der Kreis schließt sich

Vor dem letzten Heimspiel machte Kerschowski schließlich bekannt, ihren auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern und zurück zu Turbine Potsdam zu wechseln. „Das war letztendlich eine Herzensentscheidung. Ich kann wieder bei meiner Frau und Familie sein und dort aufhören Fußball zu spielen, wo alles begonnen hatte“, begründet Kerschowski ihren Abschied. „Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt. Das ist ein super Team, und ich habe der Mannschaft mit meiner Erfahrung helfen können, unsere Ziele zu erreichen.“ Mit Kerschowski spielten die Werkself-Frauen in dieser Saison ihre beste Spielzeit überhaupt, noch nie hatte die Mannschaft einen besseren Tabellenplatz als den fünften erreicht.

© Bayer 04 Leverkusen Fussball GmbH

Für „Isy“ schließt sich mit ihrer Rückkehr nach Potsdam nun der Kreis. „I’m coming home“, richtet sie die Worte Richtung alte Heimat, dort wo für sie alles begonnen hatte. „Isys Wunsch, wieder in der Heimat und zurück bei ihrer Familie zu sein, können wir absolut nachvollziehen“, sagt Linda Schöttler, Managerin Frauenfußball bei Bayer 04. „Sie wird uns aufgrund ihrer Erfahrung und als Typ in jedem Fall fehlen.“

Mehr über Isabel Kerschowski gibt’s in der Werks11 Podcast-Folge 33 zu hören. Die Rechtsverteidigerin sprach dort nicht nur über ihren Alltag als Profifußballerin, sondern auch über die Schwierigkeiten einer Fernbeziehung in Corona-Zeiten, Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball sowie ihre Leidenschaft für das Kochen und Tattoos. HIER geht’s zur Folge.

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