Zwar nicht lange, dafür aber ziemlich ereignisreich verlief die Zeit von Mark van Bommel als Chefcoach des VfL Wolfsburg. Direkt das erste Pflichtspiel im DFB-Pokal bei Preußen Münster endete mit einem Wechselfehler, der ehemalige Leverkusener Admir Mehmedi wurde als sechster Spieler in der Verlängerung eingewechselt – der Vorgang führte schließlich zum Ausscheiden am Grünen Tisch. In der Bundesliga aber legten die Niedersachsen einen perfekten Start hin, gewannen die ersten vier Spiele allesamt und setzten sich an die Tabellenspitze. Danach aber drehte sich vieles in die entgegengesetzte Richtung in Wolfsburg. Acht Pflichtspiele in Serie konnten die Wölfe nicht gewinnen, in der Liga setzte es zuletzt sogar vier Niederlagen in Folge. Nach dem 0:2 gegen Freiburg am vergangenen Spieltag endete van Bommels Zeit dann schon wieder, die Verantwortlichen stellten den Niederländer von seinen Aufgaben frei. Damit kommt es am Samstag in der BayArena zum Debüt des neuen VfL-Coaches. Wie der Klub am Dienstag mitteilte, hat Florian Kohfeldt einen Vertrag bis 2023 unterschrieben und soll die Niedersachsen wieder zurück in die Erfolgsspur bringen. „In dieser Mannschaft steckt viel Qualität und Dynamik und wir werden nun gemeinsam daran arbeiten, diese wieder auf den Platz zu bringen“, sagte der ehemalige Werder-Coach zum Antritt. Viel Zeit bleibt ihm vorerst nicht, erst am Donnerstag leitete er erstmals das VfL-Training.
Dass die Aufgabe für ihn ungeachtet dessen sehr reizvoll ist, machte Kohfeldt aber auch bereits klar. „Es gibt nicht viele Gründe, sich nicht für Wolfsburg zu entscheiden“, so der 39-Jährige. Sicher auch, weil er die Möglichkeit hat, mit dem VfL in der Champions League zu spielen. Dort warten die Niedersachsen nach drei Spielen allerdings noch auf den ersten Sieg und stehen am Tabellenende der Gruppe G.
Zum Einstieg muss Kohfeldt noch auf den einen oder anderen Schlüsselspieler verzichten. Allen voran der Ausfall von Mittelfeldmotor Xaver Schlager fällt schwer ins Gewicht. Die Leistungsdelle beim VfL setzte ziemlich genau mit dem Zeitpunkt ein, an dem sich der Österreicher das Kreuzband riss – sicher ein Faktor, denn Schlager bildete gemeinsam mit Maximilian Arnold eine unverzichtbare Mittelfeldachse. Außerdem fällt Torjäger Wout Weghorst, der in den vergangenen drei Spielzeiten jeweils mindestens 16 Tore erzielte, derzeit noch aus, weil er sich mit dem Coronavirus infiziert hat.
Neben den beiden Achsenspielern fehlen zudem noch andere Akteure. Linksverteidiger Jerome Roussillon, ebenfalls unumstrittener Stammspieler, muss aufgrund einer Wadenverletzung noch passen. Das junge Stürmer-Talent Bartosz Bialek (Kreuzbandriss) fällt noch länger aus, auch Rechtsverteidiger William ist nach genau dieser Verletzung noch nicht für einen Einsatz bereit. Für Offensivspieler Admir Mehmedi, von 2015 bis 2018 für die Werkself aktiv, wird die Rückkehr an alte Wirkungsstätte wohl ausfallen, der Schweizer laboriert an muskulären Problemen. Zudem ist Neuzugang Luca Waldschmidt nach einer Oberschenkelverletzung noch nicht wieder fit, auch der deutsche Nationalspieler wird demnach passen müssen.
Mit Schlager verfügt Wolfsburg mit über das beste defensive Zentrum der gesamten Bundesliga – und auch ohne den Österreicher ist die Qualität des VfL auf diesen Positionen bemerkenswert. Die Innenverteidigung aus John Anthony Brooks und Maxence Lacroix verkörpert höchstes Niveau, ist vor allem in der Luft schier unüberwindbar, Strippenzieher Arnold erhält vor der Abwehr nun wohl Unterstützung durch Abräumer Joshua Guilavogui, den agilen Yannick Gerhardt oder das belgische Top-Talent Aster Vranckx. Und im Tor hat Wolfsburg in Koen Casteels einen enorm starken Rückhalt, der zu den besten seines Fachs in der gesamten Liga gehört. Kein Wunder, dass diese Defensive die drittwenigsten Torschüsse aller Bundesligisten zugelassen hat.
In den vergangenen Wochen klappten vor allem die Dinge nicht mehr, die Wolfsburg in der Vergangenheit noch auszeichneten. So sprach Kohfeldt bei seiner Antritts-Pressekonferenz davon, dass die große Stärke des VfL „in der Dynamik im Spiel gegen den Ball“ liege, aber eben auch davon, dass eben diese Stärke in den vergangenen Wochen ein wenig verloren gegangen sei. Oft kommt Wolfsburg den einen Schritt zu spät, hat ligaweit die zweitmeisten Fouls begangen und die meisten Gelben Karten kassiert. Auch die Kopfballstärke, die in der Vorsaison noch ein Markenzeichen der Mannschaft war, kommt bislang nicht zur Geltung. Obwohl der VfL ligaweit die zweitmeisten Flanken schlägt, haben die Grün-Weißen als einziges Bundesliga-Team noch kein einziges Kopfballtor erzielt – und das trotz hochaufgeschossenen Spielern wie Weghorst, Brooks oder Lacroix.
Kohfeldt übernimmt eine Mannschaft, die derzeit von einigen Verletzungsproblemen gebeutelt wird, aber grundsätzlich über eine sehr hohe Qualität verfügt. Wenn er den VfL-Spielern dieses Selbstverständnis zurückgeben kann, sollte sich Wolfsburg bald wieder fangen und den Blick nach oben richten können. Möglich ist zwar, dass der neue Coach aufgrund des straffen Pflichtspielprogramms ein wenig Zeit benötigt, um seine Spielidee zu implementieren. Doch die Konstellation Kohfeldt/Wolfsburg könnte passen – und den Klub bis zum Saisonende im Kampf um die internationalen Plätze halten.
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