Tri­um­phe und Trä­nen unterm Kreuz

Längst eine Top-Adresse in Europa

In diesem Jahr feiert Bayer 04 seinen 120. Geburtstag. Das möchten wir zum Anlass nehmen, um auf bayer04.de regelmäßig einen Blick auf den Fußball unterm Kreuz zu werfen und in erster Linie der Frage nachzugehen: Wie sind wir zu dem Klub geworden, der wir heute sind. In Teil 4 unserer Serie geht es um die Erfolge unterm Kreuz in den vergangenen Jahrzehnten, aber auch um so manch schmerzhafte Niederlage.

Vielleicht waren gerade diese beiden knappen Siege beim FC Augsburg und bei RB Leipzig besonders aussagekräftig. Besonders beindruckend. Besonders wertvoll. Weil sich in ihnen neben all der fußballerischen Qualität auch der Charakter dieses Teams einmal mehr offenbart hat. Und vielleicht fand Jonas Hofmann schon nach dem 1:0 in der Fuggerstadt gerade deshalb so emotionale Worte. „Der Glaube an den Sieg war sehr groß. Die Moral, das Engagement, die Mentalität dieser Mannschaft – das alles ist bewundernswert. Ich habe immer noch Herzklopfen. Das sind Glücksgefühle, die erlebt man nur selten.“

Ausgelöst hatte diese Glücksgefühle der Treffer von Exequiel Palacios in der letzten Minute der Nachspielzeit. Damit hatte Bayer 04 die erfolgreichste Hinrunde seiner Klub-Geschichte abgeschlossen. 45 Punkte, 47:12 Tore – eine bessere Bilanz nach 17 Spieltagen wies in der Bundesliga-Historie bislang nur der FC Bayern München auf, der einmal auf 47 (2013/14) und einmal auf 46 Punkte (2015/16) kam. Zum dritten Mal nach 2001/02 und 2009/10 beendete die Werkself eine Hinrunde als Spitzenreiter und dies nach 2009/10 zum zweiten Mal ohne eine einzige Niederlage.

Piero Hincapie

Auch beim Rückrunden-Auftakt hielt die Serie. Und wieder war es ein Last-Minute-Treffer durch Piero Hincapie, der der Werkself nach zweimaligem Rückstand noch einen 3:2-Sieg in Leipzig bescherte. Insgesamt blieb Schwarz-Rot in sämtlichen 28 Pflichtspielen dieser Saison ungeschlagen und fuhr bereits mehr Liga-Siege ein als in der gesamten vergangenen Spielzeit (15). Imposante Zahlen, wohin man schaut. Und doch ist noch gar nichts gewonnen. Der Weg aber, den das Team unter Trainer Xabi Alonso eingeschlagen hat, begeistert schon jetzt. Wann hat eine Leverkusener Mannschaft zuletzt für eine solche Euphorie unterm Kreuz gesorgt? Man muss wohl zurückgehen bis in die Triple-Vize-Saison 2001/02, in der eine ähnliche Stimmungslage herrschte.

Die Mutter aller Triumphe

Gleichwohl hat der Bayer-Fußball schon vor der Jahrtausendwende und in den beiden Jahrzehnten danach unzählige Sternstunden erlebt. Fangen wir mit der Mutter aller Triumphe an – dem Aufstieg in die Bundesliga vor knapp 45 Jahren. Aus schwarz-roter Sicht weist die Saison 1978/79 erstaunliche Parallelen zur aktuellen Spielzeit auf. Nach 17 Spieltagen hatte die Truppe von Trainer Willibert Kremer in der 2. Liga Nord damals dieselbe Bilanz wie die Werkself zum gleichen Zeitpunkt 2023/24: 14 Siege, 3 Unentschieden und dazu ein fast identisches Torverhältnis von 45:11. Jürgen Gelsdorf, Thomas Hörster und Co. stellten überdies einen neuen Rekord im deutschen Fußball auf und blieben als erste Profi-Mannschaft überhaupt in allen Hinrunden-Spielen ungeschlagen. Kein noch so optimistischer Bayer-Fan hätte vor der Saison davon zu träumen gewagt.

„Unsere Mannschaft hatte überhaupt niemand auf der Rechnung, und dann ist sie auf einmal wie der Teufel durch die Liga marschiert“, staunte selbst Coach Willibert Kremer in der Rückschau. Reiner Calmund, damals noch für die Nachwuchsabteilung verantwortlich, bezeichnete den Aufstieg später als „einen positiven Betriebsunfall“. Das letzte nötige Pünktchen hatte sich Bayer 04 am 13. Mai 1979 beim legendären 3:3 gegen Bayer 05 Uerdingen geholt – dank einer Aufholjagd nach einem 0:3-Rückstand. Die anschließende Feier mit den Fans wuchs sich zur ersten richtig großen Sause der inzwischen 75-jährigen Klub-Geschichte aus. Calmund erinnert sich: „Als es geschafft war, brachen alle Dämme. Wir jubelten, wir heulten, wir soffen und machten die Nacht zum Tage. Und als wir aufwachten, wunderten wir uns über unseren dicken Schädel und dachten: ‚Ach du Scheiße, was machen wir denn jetzt?‘‘‘

Bundesliga-Aufstieg 1979

Nun, ganz einfach: Sie spielten jetzt Bundesliga. Als 35. Verein seit deren Gründung 1963 gehörte Bayer 04 plötzlich zur Beletage des deutschen Fußballs. Dass die Underdogs aus Leverkusen gleich die Liga aufmischten, lässt sich allerdings nicht behaupten. Im Gegenteil: Sie gerieten schon nach drei Jahren mächtig ins Stolpern. Mit zwei hauchdünnen Siegen in den Relegationsspielen gegen Kickers Offenbach (1:0, 2:1) hielt der Werksklub 1982 die Klasse. In Dettmar Cramer hatte Bayer 04 inzwischen seinen ersten Trainer von Weltruf verpflichtet. Der durchschlagende sportliche Erfolg blieb jedoch auch unter dem charismatischen kleinen Mann mit der hohen Stirn aus. Erst mit Erich Ribbeck etablierte sich der Klub im oberen Drittel der Liga. Als Tabellensechster qualifizierte sich die Werkself 1986 erstmals für den internationalen Wettbewerb. Dass fast dieselbe Mannschaft nur zwei Jahre später den UEFA-Cup gewann, war mindestens eine so große Sensation wie der Bundesliga-Aufstieg neun Jahre zuvor.

UEFA-Cup 1988: „Das Spiel unseres Lebens“

Austria Wien, FC Toulouse, Feyenoord Rotterdam – schon die ersten Gegner in den K.-o.-Runden hatten es in sich. Dann aber kam es knüppeldick: die Spiele gegen den FC Barcelona „zu Hause“ in Köln (0:0) und im Camp Nou, wo Tita den goldenen Treffer zum 1:0-Sieg erzielte; die Schlachten im Halbfinale gegen den damaligen Bundesliga-Topklub SV Werder Bremen, in denen ein Tor von Verteidiger Alois Reinhardt zum Einzug ins Finale reichte; und schließlich die beiden Endspiele gegen Espanyol Barcelona. Die Schockstarre nach dem 0:3 in Katalonien. Das Final-Rückspiel am 18. Mai 1988 vor fantastischer Kulisse auf der Baustelle Ulrich-Haberland-Stadion. Noch keine Tore zur Pause. Nach dem Seitenwechsel die Treffer von Tita und Falko Götz, die knisternde Spannung, das Zittern und Hoffen, das Beben nach Bum-kun Chas 3:0. Der rudernde Rudi Vollborn als Held beim Elfmeterschießen, bei dem schon zahlreiche Anhänger auf dem Platz standen. Bilder und Momente, die sich eingebrannt haben ins kollektive Gedächtnis der Bayer 04-Fans. „Es war für uns alle das Spiel unseres Lebens“, sagte Herbert Waas später einmal. Trainer Erich Ribbeck hielt etwas nüchterner fest: „Wir haben uns gleich in unserer zweiten UEFA-Cup-Saison in Deutschland und international einen Namen gemacht.“

DFB-Pokal 1993: Triumph in Berlin

Und dennoch: Das Graue-Maus-Image blieb noch eine Weile an Bayer 04 haften. Auf den ersten und bislang einzigen internationalen Titel folgte fünf Jahre später der erste und bislang einzige nationale Titel. Den stärksten Gegner hatten die Leverkusener schon im Halbfinale aus dem Weg geräumt. „Eintracht Frankfurt spielte damals den schönsten und besten Fußball der Liga, aber wir erwischten halt einen richtig guten Tag“, sagte Ioan Lupescu in der Rückschau. Der damalige Mittelfeldstratege gehörte beim 3:0-Sieg zu den Besten bei den Gästen aus Leverkusen. Eine Weltklasse-Leistung bot aber vor allem Andreas Thom, der zwei Treffer erzielt hatte.

Das Finale im Berliner Olympiastadion gegen die Amateure von Hertha BSC wurde dann am 12. Juni 1993 zu einer undankbaren Aufgabe. „Knapp 10.000 Leverkusener gegen 66.000 Berliner – wir wurden bei jedem Ballbesitz gnadenlos ausgepfiffen“, erinnert sich der gebürtige Berliner Rüdiger Vollborn. „Aber mir war völlig egal, dass wir in Berlin gegen eine Berliner Mannschaft spielten. Ich wollte nur diesen Pokal, sonst nix.“ Vollborn wusste ja, wie sich das anfühlt, einen „Pott“ in die Höhe zu stemmen. Er war der Einzige im Team, der auch schon den UEFA-Cup mit Bayer 04 gewonnen hatte. Ulf Kirsten, der in der Saison 1992/93 mit 20 Treffern zum ersten Mal Torschützenkönig der Bundesliga geworden war, köpfte die Werkself in der 77. Minute schließlich zum hochverdienten Pokalsieg.

UEFA-Cup-Sieg 1988

Das vielleicht wichtigste Tor der Klub-Geschichte

Mehr Titel sind bekanntlich seither nicht dazugekommen in Leverkusen. Große Erfolge, denkwürdige Saisons und unvergessene Spiele gab es freilich auch in den 30 Jahren danach in Hülle und Fülle unterm Kreuz. Mitreißend etwa das 4:4 gegen Benfica Lissabon im März 1994, spektakulär der 5:4-Sieg nur ein halbes Jahr später gegen die PSV Eindhoven mit dem aufkommenden Weltstar Ronaldo (dem Brasilianer), der in dieser Partie ebenso drei Treffer markierte wie Ulf Kirsten auf Leverkusener Seite. Zum zweiten Mal in seiner Klub-Geschichte erreichte Bayer 04 1995 das Halbfinale im UEFA-Cup. Aber dieses Mal war der Traum vom Finale schnell ausgeträumt. Die Werkself musste sich der AC Parma aus Italien in beiden Partien geschlagen geben (1:2, 0:3).

Nur ein Jahr nach dem internationalen Höhenflug stürzte Schwarz-Rot in der Bundesliga böse ab. Die Nerven lagen blank vor dem letzten Spieltag der Saison 1995/96, der für Bayer 04 zum Herzschlagfinale um den Klassenerhalt wurde. Acht Minuten vor Schluss führte der 1. FC Kaiserslautern 1:0 in Leverkusen, die Werkself stand mit einem Bein in der 2. Liga. „So nah hat Bayer 04 nie zuvor und nie danach am Abgrund gestanden“, weiß Rudi Völler, für den dieses Duell das letzte Pflichtspiel seiner Karriere war. Dann kam Markus Münch und schoss das vielleicht wichtigste Tor der Klub-Geschichte. 1:1 in der 82. Minute. Die Rettung auf den letzten Drücker. Pure Erleichterung. Tiefes Durchatmen. Und als Konsequenz aus diesem Drama: ein kompletter Neustart unterm Kreuz.

Premiere in der Königsklasse

Wenige Wochen nach dem gerade noch abgewendeten Worst Case begann unter Christoph Daum eine neue Zeitrechnung bei Bayer 04. Der während der EM 1996 verpflichtete Trainer führte die Werkself gleich in seiner ersten Saison zur Vizemeisterschaft. Nur zwei Punkte fehlten am Ende zum ganz großen Wurf. Vom Fast-Absteiger zum Titelaspiranten. Erstmals Zweiter, erstmals für die UEFA Champions League qualifiziert. Und was für eine Euphorie in Leverkusen! Denn die Mannschaft spielte begeisternden Offensivfußball, fegte gleich zum Auftakt Meister Borussia Dortmund mit 4:2 aus dem Ulrich-Haberland-Stadion, schickte den FC Bayern mit einem 5:2 nach Hause (auch dank dreier Treffer von Markus Feldhoff) und feierte im Derby gegen den 1. FC Köln einen 4:2-Sieg.

Auch die Champions-League-Geschichte von Bayer 04 begann mit einem furiosen 6:1-Erfolg gegen Dynamo Tiflis im ersten Qualifikationsspiel. „Wir alle genossen das Gefühl, jetzt zur Crème de la Crème zu gehören“, erinnert sich Hans-Peter Lehnhoff, der per Freistoß den ersten Treffer erzielt hatte. Ja, der Werksklub hatte es tatsächlich geschafft, konnte sich im Rückspiel eine 0:1-Niederlage locker leisten und traf nach überstandener Gruppenphase im Viertelfinale erstmals auf Real Madrid. Gegen die Königlichen war zwar nach einem 1:1 zu Hause und einer 0:3-Niederlage im Bernabeu Endstation. Aber fortan zählte Bayer 04 zu den Stammgästen in der Champions League. Und sollte noch einige Male auf das „weiße Ballett“ aus Madrid treffen.

Wir alle genossen das Gefühl, jetzt zur Crème de la Crème zu gehörenEx-Werkself-Profi Hans-Peter Lehnhoff über das erste Champions-League-Spiel von Bayer 04

Das Trauma von U.

In der Daum-Ära etablierte sich Bayer 04 unter den Top 3 in Deutschland und wurde zum größten Konkurrenten von Bayern München und Borussia Dortmund. Allein diese beiden Klubs sind länger ununterbrochen in der Bundesliga vertreten als die Leverkusener, die aktuell ihre 45. Saison spielen. Apropos Bayern: Ein Spiel gegen den Rekordmeister zählt bis heute zu den denkwürdigsten Bundesligapartien der Werkself überhaupt. Das 4:2 am 30. November 1997 nach einem 0:2-Rückstand und in Unterzahl, weil Christian Wörns Rot gesehen hatte. Jan Heintze und ein Hattrick von Ulf Kirsten drehten das Spiel und ließen das Haberland-Stadion beben. Bis zur Jahrtausendwende sorgte die Truppe um Kapitän Jens Nowotny für etliche weitere rauschende Fußballfeste. Unvergessen das 8:2 in Mönchengladbach (am 30. Oktober 1998) und das 9:1 in Ulm (am 18. März 2000), der höchste Bundesliga-Sieg von Bayer 04 bisher.

Dreimal Zweiter, einmal Dritter – so lautet die Bilanz in den vier Daum-Jahren unterm Kreuz. Beeindruckend. Auch wenn Erik Meijer einmal behauptete: „Nichts ist scheißer als Platz 2.“ Das Bonmot des niederländischen Stürmers passt sicher am besten zur dritten Vizemeisterschaft der Leverkusener. Unterhaching. Allein das Wort verursacht Schmerzen. Die damit verbundene Erinnerung an den sicher geglaubten, aber verspielten Titel noch viel mehr. Ein Trauma, das am 20. Mai 2000 wohl die längsten Tränenströme in der Bayer-Geschichte auslöste. Er selbst habe geheult wie ein Schlosshund, bekannte Christoph Daum im Rückblick auf das 0:2 im Sportpark U…

„Die Fußball-Welt verneigt sich“

Aber lassen wir das Thema. Und wenden wir uns wieder erfreulicheren Dingen zu. Nur etwas mehr als ein Jahr später, Sommer 2001: Klaus Toppmöller hatte inzwischen eine Mannschaft übernommen, die sich unter ihm als neuem Trainer anschickte, ganz Europa zu verzaubern. Ja, auch in der Bundesliga marschierte Bayer 04 lange an der Spitze und auch im DFB-Pokal erreichte die Werkself zum zweiten Mal das Finale. Für Aufsehen sorgte sie aber vor allem international. Schon in der Gruppenphase der Champions League setzten sich Lucio, Bernd Schneider und Co. gegen große Klubs wie den FC Barcelona und Olympique Lyon durch. In der Zwischenrunde staunten Juventus Turin, der FC Arsenal und Deportivo La Coruna über teilweise wie entfesselt aufspielende Leverkusener. Und spätestens mit dem dramatischen 4:2-Sieg im Viertelfinale gegen den FC Liverpool, dem „perfekten Fußballspiel“, wie der überragende zweifache Torschütze Michael Ballack es nennt, konnte sich Bayer 04 vor Komplimenten kaum retten. „Die Fußball-Welt verneigt sich vor dieser Mannschaft“, schrieb der Kölner „Express“. Auf der Geschäftsstelle gingen Glückwunschschreiben von Formel 1-Weltmeister Michael Schumacher und Campino, dem Sänger der Toten Hosen und bekennenden Liverpool-Fan, ein.

Michael Ballack

Nach zwei weiteren Weltklasse- und Energieleistungen gegen Manchester United (2:2; 1:1) wartete im Finale in Glasgow mal wieder Real Madrid auf Bayer 04. „Trotz einer langen Saison mit vielen Spielen wuchs die Mannschaft an diesem Abend noch einmal über sich hinaus“, erinnert sich Werner Wenning. Der Vorsitzende des Gesellschafterausschusses der Bayer 04 Fußball GmbH war damals live dabei im Hampden Park. „Wäre uns in der Schlussphase noch ein Tor gelungen, hätten wir das Finale in der Verlängerung gewonnen, davon bin ich überzeugt“, sagt Wenning. „Bayer 04 hat in dieser Saison 2001/02 über seine internationalen Spiele weltweit sicherlich viele, viele Fans hinzugewonnen.“

Dass man zuvor in der Meisterschaft einen Fünf-Punkte-Vorsprung am 31. Spieltag am Ende noch hergegeben hatte, zum vierten Mal „nur“ Vize geworden und auch im DFB-Pokalfinale gegen den FC Schalke 04 kein Titel herausgesprungen war, ja, das hatte etwas Tragisches. Und es passte ins Bild, dass bei der anschließenden WM in Japan/Südkorea fünf Leverkusener Profis (Michael Ballack, Carsten Ramelow, Bernd Schneider, Oliver Neuville und Jörg Butt) mit Deutschland auch noch Vizeweltmeister wurden.

Ein Fußball-Fest gegen die Galaktischen

Wenig überraschend, dass nach so viel Drama, so viel Anspannung und fußballerischen Höchstleistungen die Luft in der folgenden Saison ein wenig raus war. Auf einen weiteren Abstiegskampf hätten Mannschaft, Verantwortliche und Fans allerdings gerne verzichtet. Mit seinem Tor zum 1:0-Sieg beim 1. FC Nürnberg Ende Mai 2003 beendete Yildiray Bastürk erst am letzten Spieltag das große Zittern, Bayer 04 hatte sich einmal mehr aus eigener Kraft gerettet.

Unter Klaus Augenthaler, dem Weltmeister von 1990, stabilisierte sich das Team schnell wieder, qualifizierte sich schon in der Saison 2003/04 als Dritter erneut für die Champions League. Und fegte hier Real Madrid im ersten Gruppenspiel an einem einmaligen Abend mit 3:0 aus der BayArena. „Die Galaktischen waren mit ihrem Ufo in Leverkusen gelandet“, erinnerte sich Mittelfeldspieler Paul Freier schmunzelnd an ein fantastisches Spiel seiner Mannschaft. „Und wen sie alles an Bord hatten: Zidane, Figo, Beckham, Raul, Ronaldo, Roberto Carlos, Casillas. Das war der Wahnsinn. Aber wir haben einfach einen Tag erwischt, an dem alles gelang.“ Jacek Krzynoweks Strahl aus 25 Metern, Franca und Dimitar Berbatov mit den weiteren Toren zerlegten an diesem Abend eine Weltauswahl. Das Duo Franca/Berbatov hatte wenige Wochen zuvor schon beim 4:1 gegen den FC Bayern mit Traumtoren begeistert. Noch so ein Gänsehaut-Spiel. Kombinationsfußball in Perfektion.

Nach wechselhaften Saisons war es 2009 erneut eine Partie gegen den Rekordmeister, die die Fans von den Sitzen im Ausweich-Heimquartier Düsseldorf riss (die BayArena wurde gerade umgebaut). Auf dem Weg ins Pokalfinale nach Berlin kegelte die Werkself um Kapitän Simon Rolfes und Mittelstürmer Stefan Kießling im Viertelfinale den FC Bayern in einem echten Pokalfight mit 4:2 aus dem Wettbewerb. Nach dem anschließenden Sieg gegen den 1. FSV Mainz 05 (4:1 n.V.) unterlag Bayer 04 in seinem dritten DFB-Pokalfinale im Olympiastadion Werder Bremen 0:1. Auf Bruno Labbadia folgte als neuer Trainer Jupp Heynckes.

Der ehemalige Weltklasse-Stürmer und renommierte Coach legte mit seiner Mannschaft gleich mal einen neuen Startrekord hin. Die Werkself wurde in der Saison 2009/10 nicht nur ungeschlagen Herbstmeister, sondern blieb an den ersten 24 Spieltagen ohne Niederlage. Am Ende sprang nach einer insgesamt durchwachsenen Rückrunde Rang vier heraus. In seinem zweiten Jahr unterm Kreuz führte Heynckes die Werkself 2011 zur fünften Vizemeisterschaft der Klub-Geschichte – und damit erstmals nach sieben Jahren zurück in die Champions League.

Von „Geil“ bis „gigantisch“: Der Bayer international

Seither hat Bayer 04 bis auf eine Ausnahme (2017/18) immer einen internationalen Wettbewerb erreicht. Und seinen Fans zu Hause sowie auswärts viele weitere große Europapokal-Nächte beschert. Etwa die packenden, hoch emotionalen Duelle mit Atlético Madrid im Frühjahr 2015 in der Champions League. An eine „extrem aufgeheizte Stimmung“ im Achtelfinal-Rückspiel im alten Estadio Vicente Calderon erinnert sich Simon Rolfes, für den diese Partie das letzte internationale Pflichtspiel seiner Karriere war. „Sportlich bewegten wir uns absolut auf Augenhöhe. Es war beeindruckend zu sehen, wie brutal Atlético auf Ergebnis spielte, was für eine Mentalität diese Mannschaft hat. Dass wir das Elfmeterschießen verloren, hat mich schon traurig gestimmt.“

Oder das 4:4 gegen die AS Rom im Oktober 2015, an das Jonathan Tah besondere Erinnerungen hat: „Das war ein wirklich verrücktes Spiel, in dem es richtig zur Sache ging. Ich fand es sehr emotional und dachte mir als damals noch 19-Jähriger: ‚Geil, so fühlt sich also Champions League an, das will ich immer haben‘.“

Und nicht zu vergessen das 1:0 in Wembley gegen Tottenham Hotspur ein Jahr später im November 2016, der erste Sieg für Bayer 04 in England überhaupt. „Wir waren geflasht von der Kulisse im Wembley“, sagt der ehemalige Werkself-Keeper Bernd Leno. „85.000 Zuschauer, darunter einige Tausend aus Leverkusen – das war gigantisch.“

Europa League gegen die AS Rom

Phänomenal und noch in frischer Erinnerung auch die Tour durch Europa in der vergangenen Saison: der Sieg im Elfmeterschießen bei der AS Monaco, die beiden 2:0-Erfolge gegen Ferencvaros Budapest im Achtelfinale, der abgezockte 4:1-Sieg im Viertelfinal-Rückspiel bei Union Saint-Gilloise. Und schließlich der große Kampf gegen die leider erfolgreich mauernde und Zeit schindende AS Rom im Halbfinal-Rückspiel auf den Tag genau 35 Jahre nach dem Triumph im UEFA-Cup 1988. Der Traum vom erneuten Einzug ins Finale erfüllte sich nicht.

Aber in dieser Saison unternimmt das Team von Trainer Xabi Alonso einen neuen Anlauf. Und das nicht nur in der Europa League, in der Bayer 04 nach sechs Siegen in sechs Spielen souverän im Achtelfinale steht. „Es ist nicht nur ein Traum", so äußerte sich Patrik Schick zu den Chancen, etwas Großes zu erreichen in diesem Jahr. „Im Moment haben wir in allen Wettbewerben eine wirklich gute Ausgangsposition. Natürlich kämpfen wir um Titel – es ist nur schwer zu sagen, um welche.“

An Glücksgefühlen unterm Kreuz wird es auch in den kommenden Wochen und Monaten hoffentlich nicht mangeln.

Part III - Soziales Engagement unterm Kreuz: Nachhaltig helfen

Part II - Fans unterm Kreuz: Kein Weg zu weit

Part I - Stars unterm Kreuz: Weltmeister, Künstler, Malocher