Als Willibert Kremer am 5. April 1976 als neuer Trainer und Nachfolger von Radoslav Momirski bei Bayer 04 präsentiert wurde, steckte die Werkself in ihrer ersten Spielzeit in der 2. Bundesliga Nord bis zum Hals im Abstiegssumpf. Zuvor hatte der damals 36-Jährige den MSV Duisburg in der Eliteliga gecoacht und bei den Zebras Profis wie Bernard Dietz, Ronnie Worm und Rudi Seliger zu Nationalspielern geformt. Als der MSV aber nach drei Jahren keine Anstalten machte, Kremers auslaufenden Vertrag zu verlängern, kündigte der Coach zwei Monate vor Saisonschluss von sich aus – per Einschreiben und den Worten: „Ich habe es nicht nötig, den Vorstand auf Knien um Weiterbeschäftigung zu bitten.“
Dieser außergewöhnliche Schritt machte Schlagzeilen – und er sagt einiges aus über den Trainer und Menschen Willibert Kremer. Kremer, einer der eher Stillen im Lande und der Selbstdarstellung wie übertriebenen Eitelkeit völlig unverdächtig, war vom legendären Hennes Weisweiler an der Sporthochschule Köln ausgebildet worden und hatte sich vieles abgeschaut von „Don Hennes“. Einer seiner wichtigsten Grundsätze: Lautstärke und markiges Auftreten produzieren keine Autorität, sondern Sachkenntnis und Menschenführung.
In Leverkusen freilich zeigte sich Kremer nach seiner ersten Trainingseinheit höchst desillusioniert: „Ich hatte gerade mal ein lockeres Aufwärmprogramm durchgezogen, wie ich es seinerzeit aus der Bundesliga gewohnt war, da mussten sich einige Spieler schon nach einer halben Stunde übergeben, so sehr hatten sie sich verausgabt.“ Doch trotz allem Magengrummeln schaffte Bayer 04 mit Kremer auf den letzten Drücker noch als 15. der Tabelle den Klassenerhalt.
Der Retter begab sich danach gleich ans nächste Werk und avancierte bei Bayer 04 gleichsam zum „Mädchen für alles“. Kremer verschrieb sich der A-Jugend, die er anfangs zusätzlich zu den Profis noch mittrainierte („Die hatten damals ja nicht einmal einen kompletten Satz Trikots. Ein Nachwuchsspieler, der etwas auf sich hielt, ging nicht nach Leverkusen, sondern zum 1. FC Köln oder TuS Höhenhaus“), sichtete nach Talenten und setzte sich im Zweifel auch mit dem Platzwart auseinander, wenn er den Eindruck gewann, dass die Halme des neu eingesäten Rasens nicht ordentlich wuchsen. Eine seiner wertvollsten Neuverpflichtungen: Reiner Calmund kam als neuer Jugendbetreuer von Frechen 20.
Sportlich gediehen die Dinge gut an der Bismarckstraße unter Kremer: Platz zehn 1977 und Rang acht ein Jahr später bildeten die Zwischenstationen zur sensationellen Saison 1978/79, als die Leverkusener als Underdog unwiderstehlich in die Eliteliga durchmarschierten. Als der Aufstieg am 13. Mai 1979 nach einem 3:3 gegen Uerdingen feststand, trugen die Spieler ihren Trainer auf den Schultern durch die Kabine. „Es war der glücklichste Tag in meiner Trainer-Laufbahn“, hat Willibert Kremer diesen Moment später eingeordnet.
In der ersten Bundesliga-Spielzeit landete Bayer 04 auf Platz zwölf, doch im verflixten zweiten Jahr gab es sportliche Probleme – und der Trainer geriet zunehmend in die Diskussion. Kremer hatte kurz zuvor ein Angebot des 1. FC Nürnberg erhalten, Nachfolger von „Zapf“ Gebhardt zu werden, doch Bayer 04 verweigerte kategorisch die Freigabe. Unvergessen der Spruch des damaligen Vereinspräsidenten Dr. Jürgen Schwericke, zugleich der oberste Justitiar des Klubs: „Wenn die Nürnberger noch einmal versuchen, mit unserem Trainer zu verhandeln, bekommen sie es mit meinen jungen Berufskollegen zu tun.“
Als Willibert Kremer bei Bayer 04 am 22. November 1981 beurlaubt und sein Assistent Gerd Kentschke mit der Trainingsleitung betraut wurde, war der Groll groß. In der Rückschau gab Kremer Einblick in sein damaliges Gefühlsleben. „Mir hat das sehr wehgetan. Den lukrativen Job in Nürnberg hatte man mir verbaut, aber entlassen worden bin ich trotzdem.“ Es war das unschöne Ende einer bis dahin enorm fruchtbaren Liaison. Kremer reichte Klage auf Wiedereinstellung als Trainer ein, die vom Arbeitsgericht Solingen aber abgewiesen wurde.
Schwamm drüber, Willibert Kremer hat längst wieder seinen lieben Frieden mit Bayer 04 gemacht. Er arbeitete noch weitere 14 Jahre als Trainer mit Stationen bei 1860 München, Fortuna Düsseldorf, Eintracht Braunschweig, MSV Duisburg und Tennis Borussia Berlin, ehe er ab 1998 die Scouting-Abteilung bei Bayer 04 bereicherte und dort über 15 Jahre in der Sichtung und Gegnerbeobachtung tätig war. Seine Erfahrung war in all der Zeit sehr geschätzt im Klub, zum 30. Juni 2013 packte Willibert Kremer die Fußballschuhe im übertragenen Sinne dann aber endgültig ein.
Der Kontakt zu Bayer 04 im Allgemeinen und zum 79er-Aufstiegsteam im Besonderen riss jedoch nie ab. Wer Willibert Kremer im Mai des Jahres im Rahmen der Feierlichkeiten zu „40 Jahre Bundesliga unterm Bayer-Kreuz“ als Alterspräsidenten der Truppe inmitten seiner Zöglinge von damals erlebte, der konnte in seinen glänzenden Augen die pure Freude über das bewegende Wiedersehen lesen.
Happy Birthday, Aufstiegs-Coach, auf die nächsten zehn Jahre!
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