Er ist einer der Aufstiegshelden von 1979, war Trainer der Werkself, Nachwuchschef am Kurtekotten und ist heute noch Abteilungsleiter Fußball: Jürgen Gelsdorf zählt zu den großen Persönlichkeiten bei Bayer 04, er hat die Geschichte des Klubs entscheidend mitgeprägt. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Ein guter Grund, einige seiner Freunde und Weggefährten wie Norbert Ziegler, Peter Hermann, Rudi Völler, Reiner Calmund, Bum-kun Cha oder Kai Havertz zu Wort kommen zu lassen. Erst einmal aber: von Herzen alles Gute zum 70., lieber Gelle!
Rudi Völler (seit 1994 bei Bayer 04), als Stürmer sind Sie dem Manndecker Jürgen Gelsdorf nach dessen eigenem Bekunden oft entwischt. Viele Jahre später, 2005, haben Sie ihn nach Leverkusen zurückgeholt und zum Leiter der Nachwuchsabteilung gemacht. Warum sind Typen wie Gelle so wichtig für die DNA von Bayer 04?
Völler: Gelle war ja fast wie ich selbst schon irgendwie alles in diesem Verein: Spieler, Trainer, Jugendleiter, Abteilungsleiter Fußball… Er steht wie kaum ein anderer für Bayer 04 Leverkusen und man übertreibt sicher nicht, wenn man ihn als ein Gesicht unseres Klubs bezeichnet. Seine Begeisterung für Schwarz-Rot ist ungebrochen, Jürgen gehört einfach dazu und ist hier unterm Bayer-Kreuz nicht wegzudenken. Dass er als Spieler nicht nur ein harter Verteidiger war, sondern auch mit einem feinen linken Fuß ausgestattet, mögen manche vielleicht vergessen haben: ich nicht!
Peter Hermann (Spieler der Werkself von 1976 bis 1984, u.a. Co-Trainer und Interimstrainer von Bayer 04), wären Sie ohne Jürgen Gelsdorf vielleicht nie Trainer in der Bundesliga geworden?
Hermann: Jürgen hat bei Bayer 04 im April 1989 den Cheftrainerposten von Rinus Michels übernommen. Als klar war, dass er dies auch in der neuen Saison 1989/90 bleiben würde, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, sein Co-Trainer zu werden. Ich hatte bis dahin zwar ein bisschen Erfahrung als Spielertrainer in der Oberliga beim SC Jülich gesammelt, aber er ging natürlich ein Risiko mit mir ein. Denn die Bundesliga war eine ganz andere Hausnummer. Ich habe Jürgen diesen Sprung zu verdanken, ohne ihn wäre ich nie an einen solchen Job gekommen. Und es lief dann richtig gut, wir spielten eine ganz starke Saison. Waren im Dezember 1989 sogar mal Tabellenführer. Leider sind wir zu Beginn des neuen Jahres ein bisschen abgefallen, qualifizierten uns aber schließlich als Fünfter für den UEFA-Cup. Das war die bis dahin beste Bundesliga-Platzierung von Bayer 04. Ich habe in dieser erfolgreichen Saison gemerkt, dass mir der Job als Co-Trainer liegt. Jürgen und ich haben uns immer super verstanden, seit wir beide 1976 nach Leverkusen gekommen waren. Und noch heute sind wir eng befreundet.
Ronald „Ronnie“ Worm (ehemaliger Mannschaftskollege von Jürgen Gelsdorf in der Jugend des MSV Duisburg, später Bundesligaspieler beim MSV und bei Eintracht Braunschweig), hätten Sie für möglich gehalten, dass aus Ihrem alten Kumpel, dem schmächtigen, technisch versierten Zehner Jürgen Gelsdorf, mal ein knallharter Innenverteidiger werden würde?
Worm: Wenn ich mich recht erinnere, hat Jürgen in unserem letzten gemeinsamen Jahr in der A-Jugend des MSV Duisburg auch schon eher defensiv gespielt. Wir waren damals ziemlich erfolgreich, sind ins Endspiel um die Westdeutsche Meisterschaft eingezogen. Gelle zählte schon bei uns zu den Führungsspielern und war auf dem Platz sicher kein Kind von Traurigkeit. Von daher wundert mich seine Entwicklung zum kompromisslosen Verteidiger kein bisschen. Ich bekam es später einige Male selbst mit ihm als direktem Gegenspieler zu tun. Anfang der 1980er-Jahre gelangen mir für Eintracht Braunschweig mal drei Treffer gegen Bayer 04. Jürgen spielte Vorstopper, ich hatte im direkten Duell mit ihm Vorteile aufgrund meiner Schnelligkeit. Wenn er die Grätsche auspackte, war ich schon längst weg (lacht). Aber ansonsten habe auch ich in einigen weiteren Spielen seine Robustheit zu spüren bekommen.
Kai Havertz (kam 2010 als 11-Jähriger zu Bayer 04, Spieler der Werkself von 2016 bis 2020, heute beim FC Chelsea), welche Rolle spielte der Nachwuchsleiter Jürgen Gelsdorf während Ihrer Jugendjahre in Leverkusen für dich?
Havertz: Für mich war Jürgen Gelsdorf als junger Spieler am Kurtekotten unglaublich wichtig. Er hat neben den sportlichen auch menschliche Werte vermittelt und war immer Bezugsperson bei allen Fragen. Mit ihm verbinde ich auch den Sprung zu den Profis und bin ihm mit meiner Familie für seine großartige Begleitung sehr dankbar.
Andreas Thom (Spieler der Werkself von 1990 bis 1995), für Jürgen Gelsdorf waren Sie der beste, schnellste, talentierteste und technisch stärkste Spieler, den er je trainieren durfte. Was war Jürgen Gelsdorf für Sie?
Thom: (lacht) Was hab‘ ich damals bloß angestellt, dass er mich so stark gesehen hat? Für mich war Jürgen Gelsdorf mein erster Trainer im Westen. Ich hatte ihn vor der Wende oft im Fernsehen als Spieler gesehen. Und in seiner ersten Saison als Chefcoach schien er mir nicht weniger ehrgeizig zu sein als zu seiner aktiven Zeit auf dem Platz. Er wollte seine Chance als junger Trainer nutzen und ich wollte als Ossi gleich nach dem Mauerfall in der Bundesliga Fuß fassen. Wir waren beide erfolgshungrig. Er hat mir – wie aber auch das gesamte Team damals – die Eingewöhnung im Westen sehr leicht gemacht. Eine weniger schöne Erinnerung, die ich mit ihm verbinde, ist allerdings unser Ausscheiden im DFB-Pokal-Halbfinale in Mönchengladbach 1992 – da war Jürgen Gelsdorf Trainer bei den Borussen…
Fred Bockholt (Torhüter der Werkself von 1975 bis 1981), ging man als Torwart entspannter ins Spiel, wenn der Vorstopper Jürgen Gelsdorf hieß?
Bockholt: Auf jeden Fall. Jürgen kam über seinen Kampfgeist und Ehrgeiz. Er ging immer extrem gut vorbereitet ins Spiel, wusste alles über seine Gegenspieler. Du konntest dich zu einhundert Prozent auf ihn verlassen. Er hat einfach alles sehr ernst genommen, auch jede Trainingseinheit. Ich war damals der mit Abstand älteste Spieler im Team und habe gestaunt, wie Jürgen als junger Mann – oft gemeinsam mit Dietmar Demuth – die Abwehr zusammengehalten hat. Jürgen war nicht zimperlich bei der Wahl seiner Mittel, der zog nie zurück.
Norbert Ziegler (Spieler der Werkself von 1975 bis 1981, ehemaliger Chefscout von Bayer 04), wer war besser im Ramschen, Gelle oder Sie?
Ziegler: (lacht) Da war ich deutlich vorne. Jürgen war immer ein sehr attraktiver, fordernder Gegner beim Ramschen, aber letztlich hat es für ihn dabei meistens nicht gereicht. Gastspieler war sporadisch auch Reiner Calmund, wenn seine Zeit es zuließ. Wir haben übrigens nie um Geld gespielt, sondern immer „Bierlachs“ – der Verlierer gab die nächste Runde Kölsch. Und das war eben oft Jürgen… Wie auf dem Platz war er beim Kartenspielen sehr leistungsorientiert und bissig - und er verlor äußerst ungerne. Danach war’s aber auch wieder gut. Inzwischen ist das Radfahren unser größtes gemeinsames Hobby. Gelle und ich haben in fast jedem Teil Deutschlands schon tolle Touren unternommen. Wir sehen uns heute zwar nicht mehr ganz so oft wie früher, weil ich seit ein paar Jahren im Allgäu lebe. Aber Jürgen und seine Frau Gaby besuchen mich hier regelmäßig. Ich wünsche Gelle zu seinem 70. Geburtstag vor allem Gesundheit, die in unserem Alter wichtiger ist als alles andere – und freue mich auf viele weitere Radtouren mit ihm.
Reiner Calmund (ehemaliger Manager und Geschäftsführer Bayer 04), warum zählte die Trennung von Trainer Jürgen Gelsdorf 1991 zu Ihren schwierigsten Personal-Entscheidungen?
Calmund: Es fiel mir bei jedem Trainer schwer, ihn auszuwechseln. Aber bei Jürgen war es tatsächlich besonders hart, weil er mein Freund und sogar Trauzeuge war. Er kam ungefähr zur selben Zeit wie ich nach Leverkusen. Beim überraschenden Bundesliga-Aufstieg spielte er als knallharter Libero in allen 38 Partien und erzielte auch noch 8 Tore. Nach über 400 Spielen als Profi wurde Jürgen der erste hauptamtliche Jugendtrainer von Bayer und 1988 nach unserem UEFA-Cup-Sieg auch Co-Trainer der Lizenzmannschaft. Als er in der Saison 1988/89 den holländischen Meistertrainer Rinus Michels ablöste, erreichten wir mit Jürgen noch einen sicheren Mittelfeldplatz.
Und dann wurde er in der darauffolgenden Saison mit einem preiswerten Team punktgleich mit dem FC Bayern Herbstmeister, und wir qualifizierten uns am Ende für den UEFA-Cup. Als wir Jürgen 1991 entlassen haben, war das für mich ein bitterer Moment. Ich habe danach erstmals mehrere Flaschen Wein getrunken, um meine Nerven zu beruhigen – und war schließlich froh, dass Jürgen nach unserer Beurlaubung gute Trainerjobs im bezahlten Fußball bekam. Als Chefcoach von Borussia Mönchengladbach fügte er uns 1992 allerdings eine bittere Niederlage im DFB-Pokal Halbfinale zu. Dass er nach seiner Trainer-Laufbahn wieder den Weg zurück zu Bayer 04 fand, dort Leiter der Nachwuchsabteilung und der Fußballabteilung des TSV Bayer 04 wurde, hat mich sehr gefreut. Weil Jürgen nämlich schlicht und einfach ein richtig guter Junge war – und jetzt mit 70 immer noch ist.“
Andrzej Buncol (Spieler der Werkself von 1987 bis 1992, heute Technik-Trainer am Kurtekotten), der knorrige „General“ Rinus Michels wurde 1989 als Chefcoach von seinem Co-Trainer Jürgen Gelsdorf abgelöst. Kam der Spaß mit Gelle zurück?
Buncol: Rinus Michels war gerade erst Europameister mit Holland geworden und hatte eine goldene Zeit mit Ajax Amsterdam hinter sich. Na klar, er war immerhin schon 60 Jahre alt als er zu uns kam. Er legte viel Wert auf Disziplin, lachte selten. Als Jürgen übernahm, veränderte sich die Atmosphäre schlagartig. Er hatte selbst für Bayer gespielt, sogar noch mit einigen aus der Mannschaft, die er jetzt trainierte. Ja, es machte sehr viel Spaß unter ihm als Coach. Obwohl auch er auf seine Art ein knallharter Trainer war – aber immer korrekt dabei. Wir haben mit ihm an der Seitenlinie zum ersten Mal bei den Bayern gewonnen, wurden Herbstmeister, Jürgen brachte uns richtig nach vorne. Seine größte Stärke: Er konnte uns unheimlich gut motivieren, uns vor jedem Spiel heiß machen wie sonst was, das war fantastisch.
Roman Klossek (Kaufmännischer Leiter der Nachwuchsabteilung), was für ein Typ Chef war Jürgen Gelsdorf am Leistungszentrum Kurtekotten?
Klossek: Jürgen war als Vorgesetzter eine absolute Autoritätsperson, der seinen Mitarbeitern zu einhundert Prozent vertraute – und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Er strahlte viel Souveränität und Ruhe aus – nur Schiedsrichterentscheidungen, mit denen er nicht einverstanden war, konnten ihn auf die Palme bringen. Besondere Momente waren immer die, wenn wir mit Gelle Tagungen des DFB oder der DFL besuchten: Wenn er den Raum betrat, stand so manch ein Funktionär in Habachtstellung. Der Respekt vor ihm war immens, auch deshalb konnten wir meistens unsere Bayer 04-Interessen durchsetzen. Ich freue mich auf unsere weitere gemeinsame Zusammenarbeit im Abteilungsvorstand des TSV Bayer 04.
Rüdiger Vollborn (Bayer 04-Ehrenspielführer), was haben Sie damals Anfang der 80er-Jahre als Jungspund von einem zehn Jahre älteren, gestandenen Profi wie Jürgen Gelsdorf mitnehmen können?
Vollborn: Ich hatte insgesamt eine sehr routinierte Abwehr vor mir mit Dieter Bast, Jürgen Gelsdorf und Walter Posner, die damals alle um die 30 waren. Da war es für mich schwer, so zu spielen, wie ich es eigentlich aus der Jugend gewöhnt war: lautstark kommentierend und Kommandos gebend (lacht). Das habe ich mich in meinen ersten zwei Bundesliga-Jahren natürlich bei diesen Vorderleuten nicht getraut. Trotzdem haben sie mir immer das Gefühl gegeben, dass sie mir vertrauen, obwohl ich in der Anfangszeit wirklich nicht der Sicherste war. Im Grunde war Gelle maßgeblich daran beteiligt, dass ich bei Spielen nicht weggeschwommen bin und in späteren Jahren solide Leistungen gebracht habe. Und es lag vor allem an Spielern wie ihm, dass auch Trainingseinheiten immer auf einem sehr hohen Niveau stattfanden. Vor Gelle hatten alle Respekt, er zählte definitiv zu denen, die in unserer Mannschaft das Sagen hatten. Mir hat er viel Sicherheit gegeben.
Linda Schöttler (Managerin Frauenfußball), warum hat sich Jürgen Gelsdorf auch um den Frauenfußball bei Bayer 04 verdient gemacht?
Schöttler: Weil er uns als Fußball-Abteilungsleiter von Anfang an unterstützt und sich immer für unsere Belange eingesetzt hat. Gelle ist seit vielen Jahren ein häufiger und gern gesehener Gast bei den Spielen der Werkself-Frauen.
Thomas Hörster (Spieler der Werkself von 1977 bis 1991, ehemaliger Jugendtrainer und Chefcoach der Werkself), sowohl Sie als auch Jürgen Gelsdorf stammen aus dem Ruhrgebiet. In Leverkusen haben Sie neun Jahre mit ihm zusammengespielt, später waren Sie viele Jahre Kollegen bei Bayer 04. Ist er für Sie ein Bruder im Geiste?
Hörster: Na ja, wenn, dann ist Gelle auf jeden Fall der größere Bruder. Er hat in meinem Leben tatsächlich seit Jahrzehnten eine enorme Präsenz, nicht nur in sportlicher Hinsicht, sondern er ist auch eine beeindruckende Persönlichkeit. Was ihn als Fußballer betrifft: Als wir 1979 in die Bundesliga aufstiegen, trafen wir oft auf Gegenspieler mit einem Zweikampfverhalten, das gemeingefährlich war. Aber mit Gelle in der Abwehr hatte ich nie Befürchtungen, dass uns was passieren könnte. Ihn neben und hinter mir zu wissen, war sehr beruhigend. Und was seine Mentalität angeht: Ein klares Wort zur rechten Zeit, das ist auch ihm immer wichtig gewesen. Man weiß bei Gelle immer, woran man ist.
Bum-kun Cha (Spieler der Werkself von 1983 bis 1989), Jürgen Gelsdorfs Foul gegen Sie beherrschte 1980 einige Wochen lang die Schlagzeilen. Wenige Jahre später waren Sie sein Mannschaftskollege bei Bayer 04. Wie wurden Sie zu Freunden?
Cha: Ich muss gestehen, dass ich mich bei meinem Wechsel zu Bayer 04 natürlich an dieses Foul von Gelle erinnerte und dass ich damals tatsächlich Angst vor ihm hatte. Aber als ich dann in Leverkusen war und ihn besser kennengelernt habe, staunte ich: Nie hätte ich gedacht, dass Gelle ein so liebenswerter Mensch ist. Ich verbinde viele gute und wertvolle Erinnerungen mit ihm, für die ich sehr dankbar bin. Und immer, wenn es mich heute ein bisschen im Rücken zwickt, denke ich an Gelle (lacht).
Bayer 04-Legende Rüdiger Vollborn gratulierte Jürgen Gelsdorf auch in seiner Rubrik „Rudi erzählt...“. HIER seht ihr zudem einige Szenen aus seiner Zeit bei der Werkself...