Das A-Team am Herd

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In Zeiten der Optimierung in sämtlichen Bereichen gehört auch die sportlergerechte Ernährung dazu. Bei Bayer 04 sorgen die beiden Köche Alex Wagner und Anna Böckel dafür, dass bei den Profis nach Spielen und Trainingseinheiten gleichsam Leckeres wie auf die Bedürfnisse eines Leistungssportlers zugeschnittenes auf den Teller kommt.

Sie arbeiten Hand in Hand. Finger fliegen, Griffe sitzen, Klingen teilen, Schalen fallen. Filet gehäutet, Fisch gepinselt, Gemüse geputzt, Teig geknetet und bestäubt, Gräten gezupft, Saucen gezogen, Dressings geschlagen... Seit 7.30 Uhr stehen Alexander Wagner („Ich bin der Alex“) und Anna Lena Böckel („Anna reicht“) in der Kochstation der Barmenia Lounge im ersten Stock der Südtribüne. Im früheren Calcio – dort, wo zu Anfangszeiten der BayArena bei After-Work-Partys gern geschwooft wurde – bereiten die beiden Köche das Mittagessen für die Werkself vor. Highnoon ist hier die Primetime: Ab 12 Uhr werden die Speisen für die Bayer 04-Profis nebst Trainerstab und Staff in deren Catering-Bereich im oberen Stockwerk der Westtribüne in Büffetform kredenzt: Bitte schön, es ist angerichtet!

Viel geredet wird nicht, die beiden sind eingespielt in ihrem kreativen Kochwerk. Dabei spielen sie noch gar nicht so lange in einer Mannschaft. Erst vor gut einem Jahr zur Rückrunde 2017 hat Anna Böckel das bis dato one-man-cooking-team der Werkself – bestehend aus dem Trainer-Manager-Spieler Alex Wagner – verstärkt und bereichert. Seitdem kümmern sie sich zu zweit ums leibliche Wohl und die disziplingerechte Nahrung der Werkself. Wenn man die beiden Köche bei ihrer Arbeit beobachtet, ist kaum vorstellbar, dass Alex die Bayer 04-Truppe bis dahin im Alleingang versorgt hat – selbst Seite an Seite sind die vielen kleinen Schritte und Handgriffe bis zum fertigen Produkt sehr sportlich getaktet, Zeit für Muße oder ein entspanntes Schwätzchen nebenbei bleibt da nicht. Auf einem Servierwagen am Rande ihres Arbeitsbereichs liegen zwei Körnerbrötchen unangerührt auf einem Teller. „Wir versuchen meist so gegen 10 Uhr mal ein paar Minuten Zeit zu finden, um ein Brötchen zu verdrücken“, sagt Anna und fügt schmunzelnd hinzu: „Aber Pausen werden überbewertet, das ist bei Köchen generell so.“ An diesem Vormittag wird’s jedenfalls nichts mit einem Snack zwischendurch.

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Ein eingespieltes Team in der Küche: Alex Wagner und Anna Böckel
Ich wollte als Kind schon immer Koch werden und habe mich auch an Karneval so verkleidet

„Das Alleinkochen ging sehr an die Substanz und war irgendwann nicht mehr zu stemmen, wenn man die Qualität und den Anspruch halten will, alles frisch zu machen“, betont Alex. „Alles frisch machen“ ist hier schließlich die absolute Maxime: Fertigsachen und Convenience-Produkte, „Dosenfutter“, wie Alex es nennt, stehen auf dem Index. Der Körper ist das Kapital der Profis, das Thema Ernährung hat ganz gewaltig an Priorität und wissenschaftlich ausgeleuchteter Wertigkeit gewonnen. Wer als Bundesliga-Klub etwas auf sich hält und nach Optimierung in allen Winkeln strebt, kommt an eigenen Ernährungsberatern längst nicht mehr vorbei.

Die 31-jährige Frankfurterin Anna Böckel und ihr 15 Jahre älterer Kollege Alex Wagner, der im Hunsrück aufgewachsen ist und seit langem in Solingen bergische Wurzeln geschlagen hat, teilen sich die Arbeit meist auf. „Ich hab‘s nicht so mit Fleisch und Fisch und bin daher fürs Gemüse, Obst, die Salate und Dressing zuständig“, sagt Anna, während sie die Papaya hurtig und routiniert mit einem großen Messer aus ihren Hüllen schält. Die Speisen – den Werkself-Profis werden stets zwei warme Gerichte angeboten – werden immer der Intensität des Trainings angepasst, die der Bayer 04-Trainerstab mit Alex und Anna abspricht; vor allem Athletikcoach Schahriar Bigdeli ist da in der Kommunikation gefragt. Je nach Art und Dosierung des Trainings – findet die Einheit eher im Ausdauer- oder Kraft-Bereich statt? – kommt dann das kulinarische Äquivalent dazu auf den Teller.

Erst die entsprechende Mischung aus Kohlenhydrate, Eiweiß und Gemüse macht‘s zur ausgewogenen Mahlzeit. Nach einem intensiven Krafttraining etwa sind Eiweiße zur Muskelregeneration besonders wichtig. „Und wenn beispielsweise zweimal am Tag Training anberaumt ist, gibt es keinen Lachs zu Mittag, weil das ein Fettfisch ist, der zu schwer im Magen liegen würde. Da wäre etwa Kabeljau die deutlich bessere Wahl“, erläutert Anna, die auch als Ernährungsberaterin angestellt ist. Heute indes steht für die Werkself nur eine Einheit an und Lachs auf dem Speiseplan – gemeinsam mit einem Gemüsecurry, dazu gibt es als fleischliche Alternative Hirschrücken mit Schupfnudeln und gefüllten Birnen, außerdem eine Rinderkraftbrühe und zwei Salate: Rote-Beete-Feta sowie Papaya-Sellerie lauten die ansprechenden Kombinationen.

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Ohnehin gilt es bei der Versorgung der Profis zu beachten, dass am Wettkampftag eigene Gesetze und Regeln herrschen. Was unter der Woche Sinn macht, kann am Spieltag schwer nach hinten losgehen. „Da gilt ganz klar die Devise: keine Experimente. Wenn um 15.30 angepfiffen wird, gibt’s um 12 Uhr Milchreis, Nudeln und Tomatensauce zu essen und eben keine Vollkornprodukte bei den Kohlenhydraten, weil die den Magen länger beschäftigen“, sagt Anna. „Und kurz vor dem Wettkampf oder in der Halbzeit geht es darum, den Blutzuckerspiegel hoch zu halten.“ Dafür dürfen es dann gern ein kleines Stückchen Kuchen oder eine Banane sein und isotonische Getränke.

Der früher allseits beschworene „Pausentee“? Längst kalter Kaffee und bestenfalls lieb gewordene Reminiszenz an die Steinzeit der Liga, als die Fußballer in beige gekachelten 60er-Jahre-Kabinenträumen und ohne wärmende Funktions-Unterwäsche der Kälte zu trotzen suchten.

Alex und Anna wussten beide schon sehr früh, dass es für sie der Herd sein muss als zentrales Element der Arbeitsumgebung. Wagners Eltern führten ein kleines Restaurant im Hunsrück, die Mutter Köchin, der Vater Serviermeister. „Ich wollte als Kind schon immer Koch werden und habe mich auch an Karneval so verkleidet“, sagt Alex. Nach der dreijährigen Ausbildung Ende 1980 in Schloss Burg hatte er eigentlich den elterlichen Betrieb übernehmen wollen, aber dann verfolgte das Leben irgendwie einen anderen Plan: Er verliebte sich in die Tochter seines Ausbilders, die nun längst seine Frau ist und partout keine Lust aufs Landleben in Rheinland-Pfalz verspürte, und so blieb‘s schließlich bei Solingen als Lebensmittelpunkt. Wagner, der 2000 seine Meisterprüfung ablegte, arbeitete fortan als Koch in „Lohmann‘s Romantik Hotel Gravenberg“ an der Ortsgrenze zwischen Langenfeld und Solingen – dort, wo die Bayer 04-Fußballer seit vielen Jahrzehnten ihr nächtliches Teamquartier vor Heimspielen beziehen. So kam der Kontakt zum Verein zustande, und bevor Alex im Herbst 2015 das komplette Kochamt für die Werkself in der BayArena übernahm, hatte er den Bayer 04-Tross seit 2002 schon immer zu den internationalen Pflichtspielen in Champions und Europa League begleitet und verköstigt.

Als Anna Alex Anfang 2017 ergänzte, hatte sie gerade ihr Studium des Gesundheitsmanagements beendet und beim Deutschen Institut für Sporternährung in Bad Nauheim gearbeitet. Vorausgegangen waren ihre Ausbildung nach dem Abi im Hilton in Frankfurt und vier Jahre als Köchin im Steigenberger Frankfurter Hof, die letzten zwei davon im Sternebereich. „Aber mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich gerne für Sportler kochen wollte“, sagt sie. Hat ja nun auch geklappt für die drahtige 31-Jährige, die im Wortsinn fit wie ein Turnschuh ist: Zweimal hat sie schon den Treppenlauf im KölnTurm im Mediapark gewonnen, als sie die 714 Stufen und 39 Etagen als schnellste Frau raufgetrommelt ist, und dieses Jahr will sie ihren ersten Triathlon auf der Mitteldistanz angehen – mit 2 Kilometern Schwimmen, 90 Kilometern auf dem Rad und einem Halbmarathon zu Fuß. Diese Frau weiß, was Sportlermägen mögen und brauchen.

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Wer Streit mit dem Koch hat, muss hungern

Ihre Arbeitsumgebung in der BayArena beschreiben Anna wie Alex einstimmig „als Wucht“. Das gilt für das professionelle Equipment aus Edelstahl – der Hochleistungsofen, in dem die Hirschrücken und Lachsfilets garen, heizt pro Sekunde zwei Grad auf und ist somit im Nu auf Betriebstemperatur – ebenso wie für die Qualität der Lebensmittel: Die Zutaten, mit denen die beiden Köche in der Südtribüne der BayArena täglich beliefert werden, sind frisch, nachhaltig und meist mit Bio-Siegel versehen. „Es ist ein Traum für jeden Koch, unter diesen idealen Bedingungen arbeiten zu dürfen. Viele Leute in unserem Gewerbe würden sich danach die Finger lecken“, sagt Alex. Was dann nachher von ihrem Tun auf den Tellern bei Profis, Trainern und Staff von Bayer 04 ankommt, sollte sportlergerecht wie schmackhaft zugleich sein. „Wenn man die Köche in den TV-Shows immer so sieht, die hauen ja überall viel Butter und Sahne dran. Das schmeckt zwar klasse, aber geht bei uns natürlich komplett an den Anforderungen vorbei und ist ein No-Go“, betont Alex.

Aber auch ohne so viel Fett als Geschmacksträger geht‘s, leere Teller der Herren Profis sind da immer ein sicherer Indikator für den gehobenen Daumen beim Zielpublikum. „Klagen kamen zumindest noch keine“, sagt Alex und scherzt: „Wer Streit mit dem Koch hat, muss hungern.“ Manchmal ist dem Magen der Spieler freilich auch etwas grundsätzlich Beschwerendes auf denselbigen geschlagen: „Wenn wir nach den Spielen im Kabinentrakt noch etwas servieren, um die Regeneration rasch einzuleiten und die Energiespeicher wieder aufzufüllen, ist schon festzustellen, dass der Appetit nach Niederlagen deutlich gezügelt ausfällt“, sagt Anna, die ebenso wie Alex ab und an auch mal ein lockeres Fachgespräch mit einigen der Bayer 04-Profis führt. Stefan Kießling und Julian Baumgartlinger zum Beispiel sind als sehr interessiert und talentiert am Topf verbrieft. 
Kies etwa nahm sich in den vergangenen Osterferien gerne die Zeit, um mit Alex Wagner und einem Dutzend Kids aus dem Bayer 04-Löwenclub gemeinsam zu kochen. 

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Bei allen Gesundheitsaspekten und Sternegedöns wissen die beiden Werkself-Köche privat auch einfache Genüsse zu schätzen. „Ich kann nicht an einer leckeren Bratwurst vorbeigehen“, erzählt Alex, und Anna kürt „Kartoffeln mit Quark und Salat“ zu ihrem liebsten flotten Gericht. Kleine Sünden wie Schokolade sind natürlich auch immer drin. „Wer sich gesund ernährt und Sport macht, kann sich ja auch mal was erlauben“, sagt Anna, die mit zwei Autoren-Kollegen ein Buch auf den Markt gebracht hat. „Fit mit Kokos – vegetarische Genussrezepte für geistige und sportliche Fitness“ heißt das Werk. Kulinarische Horizont-Erweiterung und Bereitschaft zur Verfeinerung der eigenen Künste und Fähigkeiten sind sowieso gefragt. Alex etwa bildet sich aktuell im Fernstudium zum Ernährungsberater aus. „In unserem Job musst du immer bereit sein, dazuzulernen. Mein Chef-Ausbilder hat mir damals immer eingetrichtert: ,Du musst mit den Augen stehlen.‘“ Also immer interessiert und wachsam sein, schön zur Seite gucken und sich neuen Einflüssen, Ideen und Macharten öffnen – könnte als taugliches Rezept für die meisten kreativen Berufsgruppen durchgehen!

 

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An diesem Mittwoch ist die Arbeit des Vormittags getan. Hirschrücken, Lachs, Salate, Dressings, Obst und Co. sind sauber verstaut und werden von Alex im Wärmewagen und einem offenen Container durch die Katakomben vom Süden in den Westen der BayArena befördert. Anna kümmert sich derweil schon mal um die Duties des nächsten Tages, es gilt Teig für die Kartoffelpizza und Apfelstrudeln vorzubereiten. Wie das eben so ist bei den Profis, in der Küche wie auf dem Platz: Mund abputzen und weiter geht’s!

Ralph Elsen