Austausch auf Augenhöhe

04 Fans und Dauerkarten-Inhaber aus unterschiedlichen Bereichen des Stadions kamen auf Einladung von Fernando Carro in der BayArena zum Austausch zusammen. Der Geschäftsführer wollte direkt von den Anhängern erfahren, wie sie den Fußball erleben, der nun seit einem Jahr unter Corona-Bedingungen stattfindet, wo der Schuh drückt und was sie sich für das zukünftige Verhältnis zwischen Fans und Werksklub wünschen. Der 56-Jährige war ganz Ohr, bezog klar Stellung auf die manchmal bohrenden Fragen, hakte immer wieder nach und machte sich viele Notizen. Für die Länge eines Fußballspiels war der Bayer 04-Chef aber vor allem der Zuhörer…
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Dr. Peter Gelshäuser – 50 Jahre, Kinderarzt, Bayer 04-Fan seit 40 Jahren, erstes Live-Erlebnis im alten Ulrich-Haberland-Stadion 1982 beim Bundesliga-Relegationsspiel gegen Offenbach, Dauerkarten-Inhaber wie alle der anwesenden Fans, bei vielen Fanklub-Veranstaltungen aktiv, derzeit auch Impfarzt im Leverkusener Impfzentrum im Erholungshaus.


Wie erlebt ihr den Fußball in Corona-Zeiten? Wie hat sich euer Fan-Leben in den vergangenen zwölf Monaten entwickelt? 

Sabine: „Ich fühle mich, als wäre bei einem fahrenden Auto die Handbremse gezogen und seitdem auch nicht mehr gelöst worden. Alles wurde plötzlich von Hundert auf Null runtergefahren. Wir waren früher praktisch jedes Wochenende, auch auswärts, in irgendeinem Stadion. Der Fußball gab den Takt für das ganze Leben vor. Dann fiel schlagartig alles aus. Ich habe noch nie so viel Fußball am Fernseher geguckt, aber vom Spaßfaktor ist das wie eine ‚vegane Currywurst‘. Die ganze Emotionalität ist verloren gegangen, auch mein Fanclub und der Austausch mit anderen Fans im Stadion fehlen total. Es ist eine große Leere entstanden.“

Peter: „Früher habe ich alles um den Fußball herum geplant, Notdienste, Bereitschaftsdienste, et cetera. Das Stadionerlebnis fehlt ungemein. An den Spieltagen kribbelte es im Bauch, man war aufgeregt, ich war mit meiner Frau schon weit vor Stadion-Öffnung vor Ort. Auch die Auswärtsfahrten, bei denen wir oft die Kultur in den Städten mit dem Fußball verbunden haben, fehlen uns. Die Kommunikation mit den anderen Fans, das ganze Stadionerlebnis – all das vermisse ich unheimlich. Ohne Fußball sind die Emotionen komplett weg.“  

Wuppi: „Ich war in meinen Leben noch nie so viel zu Hause. Dieses Spiel war mir noch nie so fremd wie seit dem Beginn des Lockdowns im vorigen Jahr. Diese Distanz, die sich sowieso schon im heutigen Fußballgeschäft zunehmend entwickelt hat, ist noch größer geworden. Man hat gar keinen richtigen Bezug mehr zu seiner großen Leidenschaft. Wenn die Mannschaft gewinnt, ist es super, aber wenn sie verliert, nimmt man es nun einfach so hin. Dieses Abstumpfen wäre vor Corona undenkbar gewesen. Das finde ich erschreckend, aber es hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun.“

Marco: „Wenn man mir vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich einmal so viel Zeit mit der Familie wie in den vergangenen Monaten verbringen würde, hätte ich das selbst nicht geglaubt. Jedes Wochenende war durch Bayer 04 geplant, alle Heimspiele sowieso, aber auch die Auswärtsspiele mit dem Samba-Zug oder mit dem Fanprojekt. Immer lernte man neue Leute kennen, hatte einen tollen Austausch.“  

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Wie hat sich Bayer 04 in Corona-Zeiten euch gegenüber verhalten? Hattet ihr Erwartungen, die erfüllt oder nicht erfüllt wurden?

Sabine: „Man hat gemerkt, dass der Verein versucht, mit den Fans in Kontakt zu bleiben. Auf Social Media wurde viel gepostet. Es berührt mich jetzt noch, wenn ich an das Video ‚Fans, ihr fehlt‘ denke, das mit der Mannschaft gemacht wurde. Wir haben gespürt: ‚Hey, die Spieler denken an uns, sie haben uns nicht vergessen.‘ Unser Fanklub hatte 30-jähriges Jubiläum, es war schön, dass Bayer 04 daran gedacht und uns ein Geschenk geschickt hat. Das habe ich auch von anderen Fanklubs gehört. Auch jetzt diese Runde mit Herrn Carro ist nicht selbstverständlich. Wenn man den Fans von Bayern München oder anderen Vereinen erzählt, dass sich der Geschäftsführer für uns Zeit nimmt, dann können die das kaum glauben.“

Wuppi: „Die Mannschaft hat mich und viele andere beeindruckt, als sie nach dem Derbysieg in Köln vor den Gästeblock gelaufen ist. Da kriege ich jetzt noch Gänsehaut. Das haben die Spieler intuitiv gemacht, um sich genau an der Stelle zu bedanken, wo wir nicht stehen konnten. Gut ist auch, dass durch Corona der Kontakt zum Verein nochmal richtig intensiv geworden ist. Ich weiß es aus meiner Arbeit in den Fan-Dachverbänden, dass es diesen direkten Austausch auf Augenhöhe woanders nicht oder nur ganz selten gibt. Man hat das Gefühl, es zählt, was wir an den Klub herantragen.“

Marco: „Es ist einiges von Bayer 04 gemacht worden, aber die Frage, die sich uns stellt, ist eher: Wird das, was gemacht wurde, nach Corona wieder eingestellt oder fortgesetzt? Wir hoffen, dass es ganz klar weitergeht. Es gab viele Aktionen, wie das Kochbuch zugunsten der Leverkusener Tafel, die man beibehalten sollte. Der Verein soll das nicht nur in der Corona-Zeit machen.“

Peter: „Es gab mehrere Aktionen, wo der Verein gezeigt hat, was ihn als Familie ausmacht. Die Unterstützung einiger sozialer Projekte, bei der die Fans einbezogen wurden, war ebenso positiv wie die Fanbetreuung. Das fand ich wichtig, und es war auch gut für die Außendarstellung von Bayer 04. Ein Highlight war sicherlich, als nach dem Pokalfinale viele Fans zum Stadion kamen, um sich die T-Shirts abzuholen, die im Olympiastadion die Plätze bedeckt haben, auf denen wir eigentlich hätten sitzen sollen. Das gemeinsame Erlebnis in Berlin hatte leider nicht stattfinden können, aber der Vormittag war vom Wir-Gefühl her ein großartiges Erlebnis.“ 

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Welche Wünsche habt ihr in der Corona-Zeit an Bayer 04?

Sabine: „Ich möchte, dass es bald wieder losgeht, dass wir irgendwann wieder in der Kurve stehen und die Mannschaft anfeuern können. Und dass wieder ein Kontakt zur Mannschaft hergestellt wird, dass wir wieder ein Verhältnis zu den Spielern aufbauen können. Superschön fände ich es auch, wenn die Spieler vielleicht auch gemerkt haben, dass wir Fans gefehlt haben.“

Peter: „Am wichtigsten finde ich, dass die Nähe zwischen Mannschaft, Fans und Verein wieder hergestellt wird. Früher gab es einmal im Jahr ein Treffen in der Wilhelm-Dopatka-Halle. Bei der Saisoneröffnung sollte viel für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Wenn dann Autogrammstunden stattfinden, sollten die Spieler da nicht mit der Stoppuhr sitzen, weil sie schnell nach Hause wollen. Und die Fankongresse sollten wieder veranstaltet werden.“

Wuppi: „Es sollte ein Kick-off organisiert werden zur Wiederbelebung des Kontakts, indem sich einige Spieler mit ausgewählten Fans treffen und sich miteinander austauschen.“

Marco: „Ich wünsche mir genauso wie die Geschäftsführung, dass man irgendwann endlich wieder einen Titel gewinnt.“

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Wie werdet ihr reagieren, wenn Fans wieder in die Stadien kommen dürfen?

Peter: „Ich wäre sofort hier, wenn das Stadion wieder aufmacht. Man hat es ja im Bundesligaspiel gegen Leipzig (fand am 26. September 2020 vor 6.000 Zuschauern statt, Anm. d. Red.) gemerkt, wie sich die Leute gefreut haben, als sie nach einem halben Jahr wieder herkommen durften. Und es wurde auch viel Stimmung in allen Tribünen-Bereichen gemacht, weil aus der Nordkurve nicht so viel an Unterstützung kommen konnte. Das wollten dann alle kompensieren. Ich stelle mir jetzt schon den schönen Tag vor, wenn es wieder losgehen darf.“

Wuppi: „Der Grundgedanke der aktiven Fanszene und auch für mich persönlich ist: Wir haben nichts davon, wieder ins Stadion zu dürfen, wenn zwei Plätze neben jedem frei sein müssen. Das war schon gegen Leipzig keine Option. Wir kommen erst wieder, wenn die Bude voll sein darf. Mich in den Oberrang zu setzen oder sogar für den Gästeblock zugeteilt zu werden, das ist nicht der Fußball, den ich 24 Jahre erlebt habe. Ich will singen, springen, hüpfen. Solange das wegen Corona nicht gehen wird, bleibe ich lieber auf der Couch. Aber ich werde niemanden anderem sagen: Bleib‘ zu Hause! Es soll jeder so machen, wie er es möchte. Sobald es aber wieder wie vorher sein kann, wird es ein Rieseninteresse geben.“

Sabine: „Ich will eine der Ersten sein, die wieder reinkommt, selbst wenn ich auf einem umgedrehten Eimer sitzen muss. Wenn wir wieder ins Stadion können, müssen wir alle dafür sorgen, dass es wieder so wird wie vor Corona. Aber ich habe die Befürchtung, dass es längere Zeit erstmal so nicht sein kann. Beim Heimspiel gegen Leipzig habe ich zunächst geheult, dass ich nicht für eine Karte ausgelost wurde. Ich hatte gehofft, dass meine mich liebende Mutter, die reindurfte, sagen würde: ‚Ich opfere mich, Kind geh‘ du.‘ Aber das hat sie leider nicht gemacht.“ 

Marco: „Meine Kumpels und ich haben eine ganz klare Meinung: Nein, wir kommen erstmal nicht. Wir stehen immer in der Nordkurve, ein anderer Platz ist für uns unvorstellbar. Ich saß beim Pokalspiel gegen Norderstedt woanders, und es war für mich kein normales Spiel. Ich habe aufs Handy geschaut und in die Luft geguckt. Ich akzeptiere ja den Spagat, dass man einerseits Fans reinlassen will, aber andererseits die Kurve nicht so eng besetzen kann. Aber meine Kumpels und ich wollen konsequent sein und erst wiederkommen, wenn wir alle in die Kurve können.“


Nach dem Austausch mit den Fans ließ Fernando Carro den Abend in der BayArena noch einmal Revue passieren:

„Wir haben das Privileg, Fußball spielen zu dürfen. Dafür sind wir dankbar, denn es sichert unseren Klub und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Aber das ist ein Notbetrieb. Es ist immer wieder aufs Neue ein beklemmendes Gefühl, in diese leeren Stadien zu blicken, durch die leeren Gänge zu gehen. Ich wollte einmal aus erster Hand erfahren, wie das für die Menschen ist, die sonst bei uns sind. Wie sie dieses Jahr erlebt haben, ohne Stadionbesuch, ohne Fankneipe, ohne die persönlichen Begegnungen rund um den Fußball.

Als Verantwortlicher warst und bist du vorrangig darum bemüht, die Organisation zu gewährleisten, den Spielbetrieb und die notwendigen Prozesse drumherum abzusichern. Du läufst automatisch Gefahr, Dinge aus den Augen zu verlieren, die in normalen – und hoffentlich bald wiederkehrenden – Zeiten wichtig sind, zum funktionierenden System unweigerlich dazugehören. Deshalb war es mir wichtig, ausnahmsweise mal weniger zu sprechen und mehr zuzuhören. Stimmungen, Sorgen, Erwartungen auf- und mitzunehmen. Das war sehr wertvoll. Vielen Dank an alle, die an dieser Veranstaltung beteiligt waren. Und an alle Bayer 04-Fans da draußen: Fußball ohne euch ist Mist, wir müssen uns bald wiedersehen!“ 

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