Alles Gute zum Geburtstag, Calle!

Er war ein Liebling der Fans, die ihn in ihrer Verehrung auch schon mal gern zum „Carsten-Ramelow-Fußballgott“ ausriefen: Zu seinem 43. Geburtstag haben wir die Homestory aus dem ersten Werks11-Magazin hervorgekramt, als wir den Ehrenspielführer der Werkself, der seine erfolgreiche Karriere 2008 beendete, in seinem Domizil im Bergischen besucht haben.
© Bayer 04 Leverkusen Fussball GmbH

Schon auf dem Weg zu ihm greift die Entschleunigung. Die Straßen werden immer kleiner, irgendwann winden sich Serpentinen verwegen in engen Kehren, auf den Anhöhen ringsum umgeben von saftigen Wiesen und Weideland. Wellness fürs Auge, so weit es blickt. „Wenn uns Leute aus Berlin besuchen, staunen die immer, wie urlaubsmäßig schön die Natur hier ist“, sagt Carsten Ramelow.

Ortstermin beim Ehrenspielführer der Werkself in Kürten-Bechen. Ganz am Ende einer Stichstraße steht sein Haus, dahinter kommt nur noch weites Feld, eine Tannenbaumschonung und Wald. Ab und zu wagen sich die Rehe mal bis ans Grundstück, Bussarde kreisen über dem Acker auf der Suche nach Wühlmäusen, beim Bauer neben- an grasen die Ziegen. Wildschweine hat‘s auch schon mal in der Gegend. Hier könnten sich auch Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Oder die Waltons. Heile Welt da draußen so ganz ohne Hektik und Großstadtlärm.

Der Eisbär mit dem platten Lederball

„Diesen Rückzugsort als Ausgleich habe ich schon immer gebraucht“, sagt der Hausherr, als er uns an der Gartentür begrüßt. Dicht gefolgt von Duke, dem weißen Schäferhund der Familie Ramelow. Ein achtjähriger Prachtrüde von 40 Kilo, beeindruckend massiv an Statur, aber ganz sanft im Wesen, mit ausgeprägter Vorliebe für das Apportieren eines platten alten Lederballs. Seit 15 Jahren wohnt der 43-Jährige jetzt hier mit Ehefrau Steffi und den Kindern Julian und Melina. Duke ist 2008 dazugekommen, als Ramelow seine Profikarriere beendete, „als kleiner Eisbärwelpe“, wie Calle schmunzelnd anmerkt. „Wir wollten immer einen Hund haben, wenn ich aufhöre. Vorher war dazu ja keine richtige Gelegenheit, weil ich so viel unterwegs war als Spieler.“

Duke ist sozusagen der Chef im Rudel des tierischen Anhangs der Familie Ramelow. Im groß- zügigen Garten leben die übrigen Mitbewohner. Die beiden Meerschweinchen Toffee und Curly. Im Teich schwimmen Kois und Schildkröten, auf der Wasseroberfläche gesichert durch ein Netz. Die Greifvögel und Fischreiher sind halt nicht weit.

Carsten, der Imker

Ein paar Meter weiter steht unter einem hoch gespannten Schutznetz ein Stall mit sechs Seramas-Hühnern, der kleinsten Hühnerrasse. Ein Hahn und fünf Gefolginnen, putzig anzuschauen im dunkelfleckigen Federkleid, nur mit dem Rausgehen ins Freigehege klappt‘s noch nicht recht. „Den Weg nach draußen haben sie von allein noch nicht richtig drauf. Da fehlt ein älteres Tier, das den Kleinen die Richtung vorgibt“, sagt Steffi Ramelow. Da muss der Mensch eben mal vorangehen und locken. Putzig wie die Hühner sind auch deren Hinterlassenschaften – die Eier sind kaum größer als ein Tischtennisball. Ein paar Meter weiter liegen Ziegelsteine auf Magazinbeuten, in deren Inneren gewaltig Leben wuselt. Drei Bienenvölker haben hier ihr Zuhause. Es waren sogar mal sechs. Die drei anderen haben aggressive Wespen auf dem Gewissen. Sind einfach ins Eingangsloch gekrabbelt und haben das große Gemetzel begonnen. „Vielleicht hätte ich das Loch verkleinern sollen, dann hätten die Bienen eine bessere Chance gehabt, die Wespen draußen zu halten“, sagt Steffi Ramelow. Lernen am Verlust, beim nächsten Mal dann eben.

"Nähe zur Natur war schon immer meins"

Steffi und Sohn Julian haben im Ort den Imkerschein erworben, neun Monate dauerte die Ausbildung an den Wochenenden. Als Calle die Steine vom Dach der Bienen abnimmt und seinem neugierigen Besuch einen Blick in die Waben ermöglicht, setzt er einen Imkerhut auf. Julian und er sind schon mal gestochen worden am Kopf, seitdem ist da durchaus Vorsicht angesagt. 60 Kilo Honig gab‘s beim letzten Mal als Ausbeute im Hause Ramelow. „Jetzt sind wir Kleinbauern und echte Landeier, das hätte ich mir früher auch nie träumen lassen“, sagt Carsten. Groß geworden ist er schließlich mit dem anderen Extrem, in einem 17-stöckigen Berliner Hochhaus in Neukölln-Buckow. „Aber ich war immer gerne draußen als Junge und bin auf Bäume geklettert, Nähe zur Natur war schon immer meins.“ Davon hat er jetzt definitiv reichlich.

Morgens um viertel vor Sechs springt er aus den Federn, macht Frühstück für die Familie und guckt in der Dämmerung mal nach den Rehen oder anderen tierischen Gästen in der Umgebung. Danach geht’s meist raus zum Job. Ramelow ist Mitgesellschafter und Teilhaber der Booker GmbH, ein bundesweit erfolgreicher Dienstleister im Bereich Ticketing und Veranstaltungsvermarktung mit Sitz in Hürth. In der Kölner Lanxess Arena hat die Firma eine eigene Loge, die Circle Lounge mit 130 m2. „Ich muss aber nicht jeden Tag ins Büro und kann mir das ganz gut einteilen. Die reine Bürozeit wär‘ sowieso nichts für mich, ich bin oft vertrieblich in Deutschland unterwegs und hab‘ gerne Kontakt zu Menschen“, sagt Ramelow.

Man kennt sich, man schätzt sich

Das zeigt sich auch sofort, als wir mit ihm einen Kaffee im Ort trinken gehen. In der Landbäckerei Bauer wird er von der Bedienung freundlich begrüßt: „Geht‘s gut?“ „Ja, alles prima.“ Ein kleiner Plausch ergibt sich, ganz auf Augenhöhe, Ramelow ist der Gegenentwurf zum abgehobenen Fußballstar, bodenständig und geerdet, interessiert und verbindlich, fest verwurzelt in der dörflichen Gemeinschaft. Hier ist er mittendrin, nicht nur dabei – und liebt und genießt das. Als Dimitrios und Antonios, das griechische Besitzerpaar der Taverna Kalyva, des ersten Restaurants am Platz, damals ihr 22-jähriges Jubiläum im Ort begingen, hat Ramelow heimlich eine Überraschungsparty auf die Beine gestellt. „Weil‘s zwei tolle Menschen sind, denen man gern mal was zurückgeben möchte.“ Da hat er dann die Umge- bung mobilisiert, Feuerwehr, Theatergruppe und den großen Karnevalsverein und alle für die Idee gewonnen. Und sich diebisch gefreut, dass die griechischen Gastgeber von dem Ganzen nichts mitbekamen, bis es so weit war. 170 Leute sind zusammengekommen – und die rauschende Feier endete zu vorgerückter Stunde damit, dass alle am Kreisverkehr in Bechen Sirtaki tanzten und den nächtlichen Durchgangsverkehr lahmlegten. Flashmob geht auch liebenswert.

Es ist nur ein Beispiel für die gelebte Nachbarschaft der Familie Ramelow. „Wenn es um die Gemeinschaft geht, bin ich sofort dabei. Wenn jeder einen kleinen Teil beiträgt, kann man auch Großes bewirken.“ So wie beim örtlichen Fußballverein SV Bechen 1930, deren erste Formation in den Tiefen der Kreisliga B beheimatet ist. Da hat sich Ramelow dafür stark gemacht, dass der Ascheboden in einen Naturrasenplatz umgewandelt wird, hat Sponsoren besorgt, Spenden zusammengetrommelt und ein tolles Eröffnungsevent inszeniert. Beim Einweihungsspiel 2014 bildeten Klaus Toppmöller, Hans Sarpei und Ulf Kirsten das Trainertrio, auch Jens Nowotny, der nicht weit entfernt wohnt, folgte dem Ruf seines alten Kumpels Calle, Boris Zivkovic kam aus Kroatien angeflogen, Thomas Häßler war dabei und am Rande achtete Dieter Trzolek als Physiotherapeut auf die Unversehrheit der Muskeln und Beine.

"Ich mag die Drecksarbeit!"

Beim Karnevalsumzug in Bechen gingen 50 Leute in selbst genähten Bienchen- kostümen durch die Straßen. Carsten Ramelow, auch als Berliner Bub‘ dem rheinischen Brauchtum längst aufgeschlossen gegenüber, hatte für diesen Anlass passend Biene Maja und Willi als Riesenfiguren in Pappmaché ersteigert und mit einem Anhänger angeschleppt. Da ist und bleibt er eben einfach ein Teamplayer. Calle, der Kümmerer. Wenn der benachbarte Bauer die Heuernte einfährt, ist er natürlich dabei und nimmt wie selbstverständlich die Mistgabel in die Hand. „Das ist hier einfach ein schönes Miteinander, man hilft sich, und man hilft sich gern. Anpacken war schon immer mein Ding, da mach‘ ich auch gern mal die Drecksarbeit für andere.“ Eine Eigenschaft, die ihn früher auch auf‘m Platz ausgezeichnet hat.

Mit dem aktiven Kicken ist es jetzt nicht mehr so weit her, ab und an tritt er noch mal im Trikot der Traditionsmannschaft von Bayer 04 auf. „Aber eher sporadisch“, sagt er, „ich muss immer gucken, was der Körper sagt.“ Acht Operationen am Knie, vier auf jeder Seite, lassen sich nicht wegreden. „Aber ich kann nicht klagen“, sagt Calle, „ich kann joggen und auch die Gartenarbeit komplett bewältigen. Da brauchst du dann sowieso kein anderes Krafttraining mehr.“ Und wenn‘s mal etwas bequemer und flotter sein darf, setzt er sich immer noch gern auf sein knatterndes Quad und brettert mit kindlicher Freude durch die waldige Wallachei.

Bindung zum Ball hat er aber immer noch. Dafür sorgt auch schon seine langjährige ehrenamt- liche Tätigkeit als Vizepräsident der VDV, der Vereinigung der Vertragsfußballer, einer Spielergewerkschaft, die ihre über 1.300 Mitglieder mit professionellen Serviceleistungen in den Bereichen Vorsorge, Recht, Bildung, Berufsplanung, Medizin, Sportpsychologie, Medienschulung, Wettbewerbsintegrität und Vereinslosentraining unterstützt. In Duisburg-Wedau stellt die VDV einmal im Jahr ein großes professionelles Camp mit Trainingswochen und Testspielen auf die Beine, „als Plattform für die vereinslosen Jungs, um sich für neue Klubs präsentieren zu können“.

Aus Berlin zu Bayer 04

Er selbst hatte da in seiner Karriere ein glückliches Händchen, als er im Winter 1995 von Hertha BSC zu Bayer 04 wechselte, nachdem er der Werkself gut zwei Jahre zuvor noch im Dress der Hertha-Amateure als Gegner im Pokalendspiel begegnet war. Es folgten 13 Jahre als Profi in Leverkusen mit weit über 400 Pflichtspielen für die Werkself, 333 davon in der Bundesliga. Der Abschied 2008, als die Knie dann endgültig streikten und auch keine Unterstützung der damaligen U23 von Ulf Kirsten mehr zuließen, war nicht ganz ohne für ihn. „Die Umstellung ist schon schwierig, du musst eine neue Aufgabe im Leben finden.“ Mittlerweile hat er sich‘s da gut zurechtgelegt, mit der richtigen Mischung aus Arbeit und Freizeit. In der er ja wie beschrieben eher selten nichts tut. Bei so vielen menschlichen und tierischen Mitbewohnern im Hause auch kein Wunder.

In der BayArena ist Ramelow nur noch unregelmäßig anzutreffen. „Ich bin immer noch gerne da, aber es ist über die letzten Jahre doch schon weniger geworden. Mit Kieß hab‘ ich ab und an noch Kontakt, wir haben so eine gemeinsame Wellenlänge, auch mit Zeugwart Klaus Zöller“, sagt Calle. Dann wird ihm ein platter Ball vor die Füße gerollt. Der „Eisbär“ fordert sein Recht. Für Calle ist jetzt wieder Duke-Zeit.

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