Der Frauenfußball rückt durch die seit dem 7. Juni stattfindende Weltmeisterschaft momentan in den Fokus – unsere Bayer 04-Spielerin Sandra Maria Jessen hat sich mit Island für das Turnier zwar nicht qualifiziert, doch in dieser Woche geht auch die 24-Jährige Mittelfeldspielerin wieder auf Nationalmannschafts-Reise für zwei Freundschaftsspiele gegen Finnland. Im Winter ist die Isländerin mit deutschen Wurzeln zu Bayer 04 gewechselt - schon zum zweiten mal – und kämpfte mit der Mannschaft um den Klassenerhalt. Diesmal allerdings fühlte sich die 24-jährige in der Bundesliga noch besser gewappnet als bei ihrem ersten Engagement...
Sie glaubt nicht an Elfen, Feen, Gnome und Trolle und hat auch noch nie einen Vulkan-Ausbruch gesehen! Ist doch ganz normal – das tun und haben die wenigsten, möchte man meinen – aber die Bewohner Islands haben da so ihre ganz eigenen Mythen und Abenteuer. Über die Nachfrage hat sich Sandra Maria Jessen köstlich amüsiert und erstere ganz schnell verneint. „Es gibt tatsächlich sehr viele Menschen in Island, die daran glauben. Aber vielleicht sind das meine deutschen Gene, die sich dagegen sträuben“, lacht sie. Die Isländerin mit deutschen Wurzeln verstärkt seit der Winter-Transferperiode wieder die Frauen von Bayer 04. In der Rückrunde der Saison 2015/16 ist sie schon einmal für vier Monate vom isländischen Erstligisten Thór Akureyri während der isländischen Winterpause an den Werksklub ausgeliehen worden.
Deutsche Wurzeln hat die 24-Jährige durch ihren Vater, der ursprünglich aus Düsseldorf stammt. Ihre Mutter war damals als Studentin nach Deutschland gekommen und hatte hier Sandras Vater kennen und lieben gelernt. Zusammen sind ihre Eltern nach der Uni zurück nach Island gezogen. Für Sandra Maria hat das Rheinland eine besondere Bedeutung. „Ich mag es sehr, fühle mich hier sehr willkommen – nicht nur im Team“, sagt sie. „Ich habe einen guten Eindruck, ein gutes Gefühl. Seitdem ich hier bin, fühle ich mich schon fast wie zu Hause – das ist ein guter Start.“ Leichter macht das „Auswandern“ auch die Familie, die sie hier väterlicherseits ganz in der Nähe hat. „Meine Großeltern sind sehr glücklich darüber, dass ich jetzt hier bin. Auch meine Familie hat hier viele Freunde – die sind alle happy, dass ich mir Deutschland ausgesucht habe.“ Zuletzt waren die Besuchszeiten bei Oma und Opa weniger geworden – nicht zuletzt auch der zeitaufwändigen Profi-Karriere geschuldet. Schön, dass auch rund 2.700 Kilometer von der Heimat entfernt nahestehende Leute um sie herum sind, findet Jessen – das macht alles viel einfacher. „Es ist immer jemand da – ich kann jederzeit Familie und Freunde besuchen. Wenn wir z.B. in Frankfurt spielen mit der Mannschaft, dann weiß ich jetzt schon, dass ich dort Unterstützung habe“, freut sie sich.
Auf ihre Familie hätte sie auch zählen können, wenn es Schweden oder ein anderes Land geworden wäre, aber aufgrund der Wurzeln lag der Schritt, nach good old Germany zu gehen, natürlich nahe. Doch wie sieht‘s mit den Sprachkenntnissen aus? Zu Hause wurde nur isländisch gesprochen, aber: „In Island haben wir drei Jahre Deutsch als Unterrichtsfach gehabt, ich kann mich also ein bisschen verständigen – lerne aber noch weiter“, so Jessen, die sich für einen Sprachkurs angemeldet hatte. Auf dem Platz reicht es jedenfalls für die grundlegende Verständigung. Schon 2016 hat sie die wichtigsten Wörter sofort gelernt – „rechts“, „links“, „Zeit“ und „Tor“ waren die ersten. Und wenige Trainingseinheiten nach der Rückkehr war vieles sofort wieder da. Bayer 04-Co-Trainer Eskandar „Essi“ Zamani hatte sich mit der isländischen Nationalspielerin vor dem ersten Training zusammengesetzt und eine Liste geschrieben mit den wichtigsten Begriffen, die sie lernen musste. Auf dem Platz wird deutsch gesprochen – „ich verstehe alles“, sagt Sandra. Bei den Antworten hilft sie sich manchmal noch mit Englisch aus. „Ich bin noch ein bisschen schüchtern, deutsch zu sprechen“, sagt sie.
Bei Sprache und Vokabular ist ihr auch Torhüterin Anna Wellmann, der zweite Winter-Neuzugang der Werkself-Frauen, behilflich. Die beiden Neulinge haben nahe der BayArena eine WG gegründet. Jede hat ihr eigenes Zimmer, ein Wohnzimmer, Küche, Bad – nicht groß, aber es reicht. „Für uns ist es sehr gemütlich“, sagt Jessen, die sich sichtlich wohl fühlt in ihrem neuen Heim. „Es tut gut, eine Mitbewohnerin zu haben. Es ist das dritte Mal,dass ich ins Ausland gezogen bin zum Fußballspielen, aber das erste Mal, dass ich mit jemandem zusammenwohne.“ Bei ihrem ersten Aufenthalt lebte sie in Köln-Klettenberg in einem Apartment – die zweite Auslands-Stippvisite führte sie im vergangenem Jahr ebenfalls für eine halbe Saison in die Tschechische Republik zum Erstligisten Slavia Prag auf Leihbasis.
In Leverkusen kennt Sandra bereits einige Adressen, deren Besuch sich lohnt. „Aber es gibt so viele Dinge, die ich noch nicht ausprobiert habe!“ Sobald wie möglich will sie ein bisschen die Gegend erkunden und rumreisen. „Ich will nicht bloß an einem Ort hocken. Ich möchte auch sehen, was die Umgebung zu bieten hat. Gerne würde ich nochmal nach Düsseldorf, Hamburg oder München! Gerne aber auch ein paar kleinere Städte besichtigen – ich bin für alles offen!“ Zu Ostern waren die Eltern zu besuch, dann startete die erste Erkundungstour. Der Rest folgt aufgrund des straffen Trainings- und Spielplans nun nach Saisonende in der spielfreien Zeit.
Insgesamt blickt die Mittelfeldspielerin, die bereits beim ersten Pflichtspiel nach der Winterpause ihr Debüt gab, auf acht Einsätze und einen Treffer in der Rückrunde 2018/19 zurück. Ihre Stärken auf dem Platz: „Schnelligkeit und Torgefahr! Wenn ich etwas erreichen möchte, gebe ich immer 100 Prozent. Ich hoffe, ich kann meine Stärken ins Team einbringen“, sagt sie. Für die Bayer 04-Frauen ein Gewinn! Seit dem Aufstieg ins Oberhaus im vergangenen Sommer kämpfte die Mannschaft Spiel um Spiel um den Klassenerhalt – und war erfolgreich. 2016 kam sie in einer ähnlichen Situation zu Bayer 04, damals gelang als Tabellenzehnter knapp die Rettung. Aktuell fühlt sich Jessen allerdings reifer als damals. „Ich war jung und noch nicht so bereit dafür, wie ich es jetzt bin. Das letzte Mal war ich noch nicht wirklich aufgeschlossen, nun bin ich es gegenüber den Mädels und dem Team“, gibt sie zu. „Jetzt fühle ich mich besser.“
Zwischenzeitlich hat die Rückkehrerin weitere internationale Erfahrungen bei Slavia Prag und der isländischen Nationalmannschaft gesammelt. Bemerkenswert: Bereits seit sieben Jahren gehört die erst 24-Jährige dem A- Kader ihres Nationalteams an! 2012 – Sandra Maria war gerade mal 17 Jahre alt – wurde sie das erste Mal ins isländische Frauen-Team berufen. Im gleichen Jahr lief sie sowohl für die U17, U19 als auch die U23 auf. „Ich habe nie damit gerechnet, so früh nominiert zu werden. Ich war ehrlich gesagt schockiert, aber zugleich überglücklich. Aber gerade weil ich so jung war, war ich voller Selbstvertrauen und hatte keine Angst, irgendwelche Fehler zu machen. Ich war froh über jedes weitere Spiel, das ich bestreiten durfte.“ Einige dürften da sicher noch folgen – zwei kommen diesen Monat hinzu!
Den Fokus legt Jessen aber immer auf das Hier und Jetzt. „Es ist wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was man im Moment tut“, findet sie. „Natürlich will ich eine gute Karriere im Fußball machen. Ich möchte mich immer weiter verbessern und hoffentlich eines Tages mal für einen ganz großen Klub auflaufen.“ Und danach? „Vielleicht ziehe ich zurück nach Island – vielleicht bleibe ich auch hier. Wir werden sehen“, sagt sie schmunzelnd. Aktuell befindet sie sich in der letzten Phase ihres Bachelors in Psychologie. Eingeschrieben ist sie an einer Uni in Island, die Kurse können online belegt werden. So geht die Hälfte des Tages fürs Lernen und Schreiben an der Bachelor-Thesis drauf – ein guter Mix, wie sie findet. Thematisch – wie könnte es auch anders sein – bleibt‘s sportlich: Über Sportverletzungen und mentale Stärke schreibt sie ihre Abschlussarbeit. Ist dieser Brocken geschafft, soll erst einmal eine kleine Pause eingelegt werden. „Dann will ich mir ganz sicher sein, auf welchem Gebiet ich mich spezialisieren möchte.“ Dem Fußball-Business wird die angehende Psychologin aber wohl treu bleiben: „Das ist meine Nummer 1, 2 und 3!“ – danach folgt lange nichts.
Sollte doch mal die eine oder andere freie Minute Zeit sein, beschäftigt sich die Hobby-Köchin und -Bäckerin ausgiebig mit dem Thema Ernährung. „Ich achte darauf, was gut für mich ist. Ich koche viel von Hühnchen über Pasta bis typisch isländisch Lamm, mixe mir Smoothies oder mache aber auch mal Kuchen oder Muffins. „Meine Familie findet es nicht schlecht – das ist ein gutes Zeichen“, lacht Jessen, deren Nachname übrigens alles andere als typisch isländisch ist. In Island werden die Kinder typischerweise nach dem Vornamen des Vaters benannt – Jungs erhalten dazu die Endung -son, Mädchen die Endung -dóttir. Die Eltern hatten sich für ihre Tochter und die beiden älteren Söhne für die deutsche Variante entschieden. „In der Nationalmannschaft haben wir einen dóttir-Anfeuerungsspruch – meine Teamkolleginnen erlauben sich da schon mal den einen oder anderen lustigen Spruch mir gegenüber, aber ich finde es cool, dort einen speziellen Namen zu haben.“ Einen deutschen aus Nordfriesland stammenden Namen. Also: Herzlich Willkommen zurück in der zweiten Heimat, Sandra Maria Jessen.
Janine Uckermark
(Die Geschichte erschien im Werk11-Magazin Nr. 19)