Das erste europäische Viertelfinale seit 2008 bestritt Bayer 04 unter besonderen Umständen: nicht in Leverkusen oder Mailand, sondern vor leeren Rängen in Düsseldorf - und das auch noch in nur einem Spiel gegen eine internationale Spitzenmannschaft. Mehr Kribbeln ging kaum!
Peter Bosz musste seine Mannschaft aufgrund der Gelbsperre von Charles Aránguiz aus dem 1:0-Sieg über die Glasgow Rangers im Zentrum umbauen. Julian Baumgartlinger und Kerem Demirbay (nach abgesessener Gelbsperre zurück) waren neu in der Startformation, Florian Wirtz rückte auf die Bank. Neben ihm saßen außerdem Nadiem Amiri, Karim Bellarabi und Mitchell Weiser, die gegen Glasgow aus verschiedenen Gründen noch gefehlt hatten.
Kurzfristig war der Werkself-Coach aber noch zu einem dritten Wechsel gezwungen: Erst eine knappe halbe Stunde vor Anpfiff stand fest: Sven Bender, der eigentlich bereits für die Startformation gemeldet worden war, musste wegen muskulären Problemen passen. Für ihn kam Jonathan Tah in die Innenverteidigung.
Der Nachrücker war aber gleich voll auf Betriebstemperatur: Erst gewann er in klassischer Tah-Manier einen wichtigen Zweikampf gegen Martinez (5.), dann klärte er eine gefährliche Hereingabe in Richtung Lukaku (6.). Generell waren es die Abwehrreihen, die die Anfangsphase dominierten, auch die traditionell starke Inter-Defensive ließ die Werkself kaum zur Entfaltung kommen. Schnell war klar: Um dieses Bollwerk zu überwinden, würde eine Menge Einfallsreichtum nötig sein. So kam es in der Offensive zu zahlreichen Positionswechseln, vor allem Kai Havertz war quasi überall zu finden.
So wirklich wollte Bayer 04 offensiv aber nicht ins Spiel finden. Stattdessen nutzten die Italiener gleich ihre erste Gelegenheit. Martinez leitete mit einer genialen Hacken-Ablage ein und die Kugel gelangte im Zentrum zu Lukaku, der seine ganze Physis einsetzte, von Edmond Tapsoba und Daley Sinkgraven aber eigentlich gut verteidigt wurde. Letzterer blockte den Schussversuch des Belgiers ab, doch der Abpraller landete vor dem Strafraum bei Barella. Der Mittelfeldmann nahm Maß und traf mit dem Außenrist präzise ins linke Eck (15.).
Durch diesen Wirkungstreffer bekam Inter nun klar Oberwasser, Barella kam nach erneut starker Vorarbeit von Martinez zur nächsten guten Chance, Jonathan Tah stand jedoch gut und blockte den Abschluss (20.). Wenige Momente später stand es dann aber doch 2:0 - und Lukaku zeigte seine ganze Physis. Nach einem Pass in den Strafraum erhielt der belgische Star-Stürmer den Ball mit dem Rücken zum Tor, schirmte ihn dann robust gegen Tapsoba ab und beförderte die Kugel im Fallen über die Linie (21.). Ohne Zweifel ein starker Treffer von Lukaku - allerdings auch einer am Rande der Legalität, da der Angreifer Tapsoba klar am Trikot gezogen hatte. Der VAR schaltete sich allerdings nicht ein, es blieb beim 2:0.
Bei Inter lief es nun kurzzeitig wie am Schnürchen und die Werkself konnte von Glück sagen, einen Klasse-Schlussmann wie Lukas Hradecky zwischen den Pfosten zu wissen: Gegen den durchgebrochenen Lukaku zeigte der Werkself-Keeper eine absolute Glanztat im Eins-gegen-eins (23.). Eine ganz wichtige Parade, denn wenige Sekunden später stand es statt 3:0 dann 2:1. Moussa Diaby leitete mit einem klasse Sprint über links ein, Havertz spielte zentral im Strafraum einen blitzsauberen Doppelpass mit Kevin Volland - und dann donnerte das Werkself-Juwel den Ball durch die Beine von Handanovic zum Anschlusstreffer in die Maschen (24.).
Doch die Geschichte einer wilden ersten halben Stunde war noch nicht zu Ende erzählt: Nach einem Zweikampf von D'Ambrosio und Sinkgraven im Werkself-Strafraum entschied Schiedsrichter del Cerro Grande zum Entsetzen der Schwarz-Roten auf Elfmeter. Lukaku stand schon bereit zum Schuss, dann schaltete sich der VAR ein und nach einem Besuch in der Review Area kam auch der spanische Referee zum einzig richtigen Schluss: Kein Elfmeter, enger als der Werkself-Linksverteidiger in dieser Szene kann man seinen Arm kaum anlegen (28.).
Erst nach dieser Szene beruhigte sich die bis dato wilde Partie ein wenig und Bayer 04 erlangte mehr Spielkontrolle. Vor allem Diaby machte über seine linke Seite einiges an Betrieb. Nach einer ersten Hereingabe des Franzosen kam Volland zu einer Halbchance (34.), eine weitere Flanke boxte Handanovic weg (38.).
Nach Wiederanpfiff musste Bayer 04 aber erst einmal wieder ein mögliches 3:1 verhindern: Gagliardini schoss in guter Position im Strafraum Lukaku an (50.), Hradecky klärte eine gefährliche Martinez-Hereingabe (52.), kurze Zeit später rettete Tapsoba gegen Gagliardini (54.).
Die Werkself musste sich auch in die zweite Hälfte regelrecht hineinbeißen, kam über Zweikampfintensität aber wiederum besser ins Spiel. Nach einem schönen Spielzug über links fand Demirbay in guter Position aber keinen Abnehmer in der Mitte (58.). Kurz darauf tauschte Peter Bosz zum ersten Mal und brachte Leon Bailey für Exequiel Palacios (59.). Die Partie wurde nun zunehmend offener und Bayer 04 wurde im Offensivspiel immer gefährlicher: Demirbay prüfte Handanovic mit einem satten Distanzschuss (61.).
Allerdings zeigte sich auch, über welch herausragende individuelle Qualität der Gegner aus Italien verfügt. Mitte der zweiten Hälfte wechselte Coach Antonio Conte kurzerhand in Christian Eriksen und Alexis Sánchez zwei Spieler von internationalem Top-Niveau ein. Der Chilene Sánchez kam gleich - jeweils nach starken Spielzügen - zu zwei guten Möglichkeiten: Zunächst scheiterte er an Hradecky (66.), dann wurde sein Abschluss von der vielbeinigen Werkself-Abwehr geblockt (67.). Der Ball lief nach der Hereinnahme der beiden Offensivkräfte wieder deutlich besser bei Inter, die Nerazzurri kamen zu weiteren vorzeigbaren Möglichkeiten durch Brozovic (75.) und den ebenfalls eingewechselten Moses (76.).
Doch Bayer 04, das nun natürlich deutlich offensiver agierte, baute seinerseits auch mehr Druck auf. Bailey schlug eine brandgefährliche Hereingabe, die sowohl Havertz als auch Volland nur um Haaresbreite verpassten (79.). Peter Bosz ging nun voll ins Risiko und warf eine Offensivkraft nach der anderen ins Spiel: Nach Amiri (für Baumgartlinger) und Wendell (für Sinkgraven) kamen in der Schlussphase auch Bellarabi für Lars Bender und Lucas Alario für Volland.
Und es sollte noch eine ziemlich lange Schlussphase werden: Der vierte Schiedsrichter zeigte eine Nachspielzeit von sechs Minuten an, von denen die ersten zwei gar nicht gespielt wurde: Wieder hatte del Cerro Grande nach einem Einsteigen von Bellarabi gegen Eriksen auf Elfmeter für Inter entschieden - und wieder nahm er den Strafstoß zurück, diesmal wegen eines vorangegangenen Handspiels. Bayer 04 warf noch einmal alles nach vorne, in der Schlussminute eilte bei einem Freistoß sogar Hradecky nach vorne. Doch es sollte einfach nicht sein, die große Chance zum Ausgleich blieb aus, in der Box fehlte Bayer 04 trotz einiger aussichtsreicher Situationen der letzte Punch.
Damit verabschiedet sich die Werkself nach einer intensiven Europa-Saison mit vielen hochklassigen Duellen aus dem Wettbewerb. Gleichzeitig ist für Bayer 04 die vermutlich längste Saison der Vereinsgeschichte vorbei - auf den Tag genau ein Jahr nach dem ersten Pflichtspiel, dem 4:1 im DFB-Pokal bei Alemannia Aachen.
Die Statistik:
Inter Mailand: Handanovic - Godin, de Vrij, Bastoni (84. Skriniar) - Brozovic - D'Ambrosio (59. Moses), Barella, Gagliardini (59. Eriksen), Young - Lukaku, Martinez (64. Sánchez)
Bayer 04: Hradecky – L. Bender (85. Bellarabi), Tah, Tapsoba, Sinkgraven (68. Wendell) – Palacios (59. Bailey), Baumgartlinger (68. Amiri), Demirbay – Havertz, Volland (85. Alario), Diaby
Tore: 1:0 Barella (15.), 2:0 Lukaku (21.), 2:1 Havertz (24.)
Schiedsrichter: Carlos del Cerro Grande (Spanien)
Gelbe Karten: D'Ambrosio, Trainer Conte, Eriksen, Barella - Sinkgraven, L. Bender, Tapsoba
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