Beim 0:3 in Bochum am vergangenen Wochenende hat sich die Diva vom Main mal wieder von ihrer nicht ganz so schillernden Seite gezeigt. Typisch Eintracht, dürften da selbst eingefleischte Fans der Adler gedacht haben. Ein paar Tage zuvor war der Mannschaft noch ein beeindruckender Auftritt gegen Tottenham Hotspur (0:0) in der Champions League gelungen. Und am 8. Spieltag hatte man in der Bundesliga den Tabellenführer 1. FC Union Berlin mit 2:0 nach Hause geschickt, den Köpenickern damit die erste Saisonniederlage zugefügt. Dann folgte der schwache Auftritt beim bis dahin sieglosen Schlusslicht VfL Bochum 1848. Die Eintracht erwies sich als Aufbaugegner, erwischte einen rabenschwarzen Nachmittag an der Castroper Straße. „Wir waren überhaupt nicht da“, ärgerte sich Frankfurts Sportvorstand Markus Krösche. „So eine Leistung darf man einfach nicht abrufen.“
Zeigt die Eintracht also auch in dieser Saison wieder ihre zwei Gesichter? Wie 2021/22? Da setzten die Adler zum internationalen Höhenflug an, gewannen die Europa League und landeten in der Bundesliga am Ende nur auf Platz 11. Auch Cheftrainer Oliver Glasner wurmt dieses Phänomen. Der Österreicher will sein Team zu mehr Konstanz führen. „Da werde ich mich richtig reinknien, damit wir diese Diva vom Main zwar immer noch Diva sein lassen, aber nur noch die positive Seite davon.“
Durchaus viel Positives von seiner Mannschaft sah der Coach am Mittwochabend an der White Hart Lane in London. Bei Tottenham Hotspur verlor die SGE zwar mit 2:3, zeigte aber einen mutigen und kämpferisch starken Auftritt. Seine Mannschaft habe ihn „sehr beeindruckt mit vielen Sachen“, sagte Glasner und konkretisierte: „Ich möchte, dass wir mit unserer Identität und Persönlichkeit spielen. Das haben wir gemacht. Was die Jungs nach dem Platzverweis von Tuta geleistet haben, ist unglaublich. Wir kommen nach einem Viererwechsel noch mal ran und haben Situationen für den Ausgleich. Das ist Eintracht-Frankfurt-Identität.“ In Gruppe D belegen die Hessen nun zwar den letzten Platz, dennoch hat der Tabellenachte der Bundesliga in der Champions League noch alle Chancen auf das Achtelfinale. „Dafür müssen wir aber die beiden letzten Spiele gewinnen“, weiß Kapitän Sebastian Rode.
Wie bereits in London wird Glasner auch am Samstag gegen Bayer 04 auf seinen Flügelstürmer Ansgar Knauff verzichten müssen. Der 20-Jährige zog sich im Abschlusstraining vor dem Champions-League-Gruppenspiel eine Faszienverletzung im Oberschenkel zu und hatte die Reise auf die Insel erst gar nicht angetreten. Ebenso wenig wie der linke Außenbahnspieler Luca Pellegrini (23), den eine Schulterprellung plagte. In London übernahm Christopher Lenz (28) die Position. Als offensivere Alternative bietet sich hier auch der junge Faride Alidou (21) an, der am Mittwoch gegen Tottenham nach seiner Einwechslung den Anschlusstreffer zum 2:3 erzielte.
Abzuwarten bleibt, ob Abwehrchef Makoto Hasebe gegen die Werkself auflaufen kann. Der 38-jährige Japaner musste in London angeschlagen ausgewechselt werden. Sollte der Routinier ausfallen, könnte für ihn erstmals in dieser Saison der Kroate Hrvoje Smolcic (22) von Beginn an auflaufen. Oder Glasner kehrt zur Viererkette zurück, in der Evan Ndicka (23) und der in London mit Gelb-Rot vom Platz gestellte Brasilianer Tuta (23) die Innenverteidigung bilden würden. Im zentralen Mittelfeld waren zuletzt Sebastian Rode und Djibril Sow erste Wahl. Eine Alternative wäre hier Eric Dina Ebimbe (21).
Offensiv verfügt Glasner über eine Vielzahl an Top-Spielern. Mario Götze (30), im Sommer vom PSV Eindhoven an den Main gewechselt, fühlt sich nach eigenem Bekunden „super happy“ in Frankfurt. Der Weltmeister von 2014 stand bislang fast immer in der Anfangsformation. Noch nicht so rund läuft es für den Ex-Werkself-Profi Lucas Alario (30). Der Mittelstürmer aus Argentinien kam bislang erst zweimal in der Startelf zum Einsatz. Auch der Kolumbianer Rafael Borré (27), Frankfurts Europa-League-Held in der vergangenen Saison, sitzt meist auf der Bank. Was vor allem daran liegt, dass sich bei der Eintracht ein neuer Shootingstar ins Rampenlicht gespielt hat: der Franzose Randal Kolo Muani (23) war bislang in der Spitze gesetzt. Der vom FC Nantes verpflichtete Stürmer traf zwar erst zweimal, ist aber mit fünf Assists bislang bester Vorbereiter in der Bundesliga. Auf den offensiven Halbpositionen überzeugen Daichi Kamada (26) und Jesper Lindström (22) als bewährte Kräfte. Kamada ist mit vier Treffern aktuell erfolgreichster Torschütze der Eintracht.
Die Eintracht und ihre Stürmer, das war in den zurückliegenden Jahren meist eine Erfolgsgeschichte. Sebastien Haller, Ante Rebic, Luka Jovic und André Silva entwickelten sich in Frankfurt zu begehrten Topspielern, die ihren Weg inzwischen woanders fortsetzen. Nun also ist Randal Kolo Muani auf bestem Wege, der nächste Hochkaräter im Eintracht-Angriff zu werden. Der 1,87 m große Franzose bringt alles mit: Geschwindigkeit, Durchsetzungskraft, Einsatzfreude, Technik, Teamgeist und Torhunger. Sein exzellenter Start in der Bundesliga brachte ihm unlängst die erste Nominierung für die Equipe Tricolore ein. Aber auch darüber hinaus sind die Adler in der Offensive hervorragend besetzt. Kamada, Alario, Lindström, Borré, Knauff, Götze: das Personal für die vorderen Reihen bietet Oliver Glasner reichlich Variationsmöglichkeiten. Aufpassen sollte die Werkself auch bei den Standards der Frankfurter. Sechs ihrer 16 Tore erzielten sie nach ruhenden Bällen.
Apropos Standards: So gefährlich die Hessen bei ihren eigenen sind, so anfällig zeigen sie sich bei ruhenden Bällen des Gegners. Neun Gegentore nach Standards sind der zweitschlechteste Wert in der Bundesliga. So schoss zuletzt der VfL Bochum seine drei Treffer gegen die Eintracht nach einer Ecke, einem Freistoß und einem Einwurf. Auch beim 4:3-Sieg in Bremen schluckte Frankfurt alle Gegentore nach ruhenden Bällen. Die fehlende Zuordnung und Konzentration seiner Vorderleute brachte Torhüter Kevin Trapp, der sich seit Wochen in starker Form präsentiert, des öfteren auf die Palme. Was zudem auffällt: Bei aller Spielfreude bietet die Eintracht ihren Gegnern in der Rückwärtsbewegung viele Räume an – zuletzt zu beobachten beim 2:3 gegen Tottenham.
Die Eintracht bleibt eine Wundertüte. Zu allem fähig, im Positiven wie im Negativen. Ob Oliver Glasner der Diva wirklich die Launenhaftigkeit austreiben kann, bleibt abzuwarten. Die Partien in der Champions League sind Festspieltage für die Eintracht und ihre Fans. Aber da die Hessen hier nicht zu den Titelanwärtern zählen, werden sie sich in dieser Saison stärker auf die Bundesliga konzentrieren müssen – damit man sich am Ende über die Platzierung wieder für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren kann. Stark genug dafür ist der Kader allemal.
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