Die Europa-Reise des SC Freiburg war zwar gerade im London Stadium mit einem deutlichen Ergebnis zu Ende gegangen, aber die 2.500 mitgereisten Fans feierten ihre Mannschaft trotz des 0:5 bei West Ham United lautstark. Sie honorierten damit die zweite gute Europa-League-Saison ihrer Mannschaft, die es wie im Vorjahr (gegen Juventus Turin) bis ins Achtelfinale geschafft hatte. „So eine Reaktion ist nicht selbstverständlich, im Gegenteil, das ist schon außergewöhnlich bei uns“, sagte SC-Kapitän Christian Günter zum Support des eigenen Anhangs nach einer Niederlage, die auf den ersten Blick nach dem 1:0-Sieg der Breisgauer im Hinspiel brutal ausfiel. Dennoch mochte Trainer Christian Streich nicht zu hart ins Gericht gehen mit seiner Mannschaft. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass West Ham uns 90 Minuten an die Wand gespielt hat. Wir hatten eine ungünstige Spielentwicklung und sie haben ihre abartige individuelle Qualität gezeigt. Deshalb ist das Ergebnis jetzt leider sehr hoch ausgefallen.“ Freiburg hatte über die gesamte Spielzeit 61 Prozent Ballbesitz und nur einen Torschuss weniger zu verzeichnen als die Gastgeber.
Die Breisgauer richteten bereits unmittelbar nach dem Spiel den Fokus wieder auf die nächste Partie in der Bundesliga. Dort hatte der SC am vergangenen Wochenende nach sechs sieglosen Spielen erstmals wieder gewonnen. Maximilian Eggestein und Michael Gregoritsch erzielten beim 2:1-Sieg beim VfL Bochum 1848 die Treffer für effektive Freiburger. In der Woche zuvor hatte der Sport-Club dem FC Bayern München im Europa-Park Stadion ein 2:2 abgetrotzt. Am Sonntag nun will Freiburg, das vor dem 26. Spieltag auf Platz acht stand, auch dem Spitzenreiter Paroli bieten. „Wir müssen die Kräfte bündeln“, sagt Kapitän Christian Günter mit Blick auf die Partie gegen die Werkself. „Wir können jeder Mannschaft das Leben schwer machen und werden auch am Sonntag voll dagegenhalten. Die Hütte ist voll, was gibt’s Schöneres als dann gegen den Tabellenführer zu spielen.“
Bislang stand Maximilian Eggestein in sämtlichen 25 Bundesliga-Spielen der laufenden Saison stets in der Startelf. Das schaffte außer ihm nur noch SC-Torhüter Noah Atubolu. An diesem Sonntag allerdings wird es nichts mit einem Einsatz für Eggestein. Der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler kassierte beim 2:1 in Bochum seine fünfte Gelbe Karte und ist gegen die Werkself gesperrt. Seine Position könnte gegen Bayer 04 Merlin Röhl übernehmen, der in der Liga zuletzt zweimal von der Bank kam. Der 21-Jährige ist nach Vincenzo Grifo (acht Assists) mit vier Torvorlagen bester Vorbereiter der Breisgauer.
Verletzungsbedingt werden den Freiburgern weiterhin die Innenverteidiger Kenneth Schmidt (Bauchmuskel-OP) und Max Rosenfelder (Patellaspitzensyndrom) fehlen. Auch der offensive Mittelfeldspieler Daniel-Kofi Kyereh ist nach seinem zweiten Kreuzbandriss noch nicht wieder einsatzbereit. Verteidiger Philipp Lienhart stand am vergangenen Donnerstag bei West Ham United erstmals nach überstandener Leistenverletzung wieder im Kader und ist für Sonntag eine weitere Alternative in der Abwehr.
Traditionell gefährlich sind die Freiburger bei Standardsituationen. Das ist auch in dieser Saison wieder so. Nach ruhenden Bällen erzielte der Sport-Club 16 Tore und liegt im Ranking damit gemeinsam mit der Werkself auf Rang drei. Auch in der Luft sind Gregoritsch und Co. stark. Neun Kopfballtreffer und nur vier Gegentore per Kopf sind jeweils Topwerte in der Liga. Im Offensivspiel läuft bei den Breisgauern viel über die Flügel, die in der Regel von Standardkönig Vincenzo Grifo und dem Japaner Ritsu Doan besetzt werden. Grifo ist mit sieben Toren – sechs davon per Elfmeter – und acht Assists einmal mehr bester Scorer des Teams. Der Italiener hatte in der Hinrunde auch bei der 1:2-Niederlage in Leverkusen den Anschluss-Kopfballtreffer von Manuel Gulde vorbereitet. Neben Grifo sorgten die Offensivkräfte Lucas Höler (7), Michael Gregoritsch (5) und Roland Sallai (3) für zwei Drittel aller Freiburger Tore. Dass die Breisgauer seit jeher auch über ihre Physis und intensive Zweikampfführung kommen, ist hinlänglich bekannt. In Matthias Ginter, Manuel Gulde und Lukas Kübler verfügt der SC über drei Verteidiger, die in puncto Zweikampfwerte zu den Top 20 der Liga zählen.
Und dennoch: In der Rückrunde stellt der SC Freiburg mit 19 Gegentoren die schwächste Abwehr der Liga. Insgesamt kommen die Breisgauer auf 45 Gegentore in 25 Spielen – das ist bereits ein Gegentor mehr als in der gesamten Vor-Saison. Gerade eine stabile Defensive war in den vergangenen beiden Jahren Grundlage der guten Platzierungen in der Liga – 2021/22 wurde Freiburg Sechster, in der Saison 2022/23 Fünfter. Beide Male zählte man jeweils zu den Top-5 der defensivstärksten Teams. Insbesondere bei schnellem Umschaltspiel der Gegner erweist sich der SC als anfällig. Kein Team kassierte mehr Konter-Gegentore als das Streich-Team (10). Die Freiburger selbst konnten hingegen noch kein einziges Kontertor erzielen. Vor allem in der Schlussviertelstunde schlucken die Freiburger viele Gegentore (11). Nur Borussia Mönchengladbach musste in dieser Phase noch ein Tor mehr hinnehmen.
Auch wenn die erste Enttäuschung nach dem Achtelfinal-Aus in London groß war, dürfte sich der SC Freiburg schnell wieder fangen. Denn erstens hat der Sieg in Bochum am vergangenen Wochenende Auftrieb für den Liga-Endspurt gegeben. Und zweitens stehen die Chancen für die Breisgauer immer noch gut, dass sie auch in der kommenden Saison wieder international spielen können. Sogar Platz acht könnte dafür eventuell reichen, weil die UEFA ihre drei europäischen Wettbewerbe zur Saison 2024/25 umfassend reformiert hat. Aber auch die Ränge sieben und sechs sind noch in Reichweite für den Sport-Club, der sich ab sofort voll und ganz auf die Bundesliga konzentrieren kann. Sollten sich Ginter, Günter und Co. noch etwas in der Defensive stabilisieren, könnte der SC Freiburg am Ende der Saison wieder das Ticket für die nächste Europa-Reise lösen.
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