Über eine Stunde lang lief es wie geschmiert in der Puskas Arena. Die Werkself führte durch den frühen Treffer von Moussa Diaby 1:0 bei Ferencvaros Budapest und war auf dem besten Weg ins Viertelfinale der UEFA Europa League. Niko Hartmann und Cedric Pick, die beiden Kommentatoren vom Werkself-Radio, ließen die nicht mitgereisten Fans von Schwarz-Rot wie immer kompetent und emotional am Geschehen teilhaben. Doch dann: Funkstille. Kein Ton mehr. Die Übertragung abgebrochen. Technischer K.o. nach 75 Minuten. Das war noch nie passiert, seit das Werkself-Radio fast auf den Tag genau vor fünf Jahren an den Start gegangen war.
Bis dahin hatte das technische Equipment in 228 Pflichtspielen in Folge zuverlässig seinen Dienst getan. Und jetzt der kurze Hinweis per Messenger-Dienst: „Ihr seid nicht mehr zu hören.“ Natürlich begab sich das Duo Hartmann/Pick vor Ort sofort auf Fehlersuche. Die Internet-Verbindung stand. Ein Neustart brachte nichts. Dass das akustische Signal nicht mehr rausging, lag, so viel war schnell klar, an der Hardware. Xenyx, das Mischpult, hatte den Geist aufgegeben. Hatte der Dauerbeanspruchung Tribut zollen müssen. Glücklicherweise in einem relativ entspannten Augenblick. „Na klar, beim 2:0 von Amine Adli in der 81. Minute ärgerten wir uns, dass wir dieses Tor nicht schildern konnten“, sagt Cedric Pick. „Es war schließlich das erste Mal, dass wir bei einem Treffer der Werkself nicht live auf Sendung waren.“ Und doch hätte es schlimmer kommen können. Nicht auszudenken, der Worst Case wäre beim Elfmeterschießen in Monaco eingetreten.
So hielt sich der Frust in Grenzen, auch wenn das unverschuldete Malheur bei Vollblut-Radiomann Niko Hartmann in Budapest noch eine Weile für schlechte Laune sorgte. Aber auch die Lebensdauer von technischen Geräten ist nun mal endlich. Wobei Xenyx, das gute Stück, angesichts der hohen Belastung doch lange durchgehalten hat. Gäbe es so etwas wie ein Fahrtenbuch, könnte sich der Leistungsnachweis des Mischpultes sehen lassen. Denn während ähnliche Exemplare oft nur stationär verwendet werden, war Xenyx ständig auf Achse. In Deutschland sowieso. Aber auch in ganz Europa.
Gut geschützt zwar in einem Hartschalenkoffer, musste es auf internationalen Auswärtsreisen dennoch einiges einstecken können und mit den unterschiedlichsten Bedingungen klarkommen. Musste bei 35 Grad im Schatten in Sevilla genauso performen wie bei minus zehn Grad in Moskau. Wurde bei den obligatorischen Kontrollen am Flughafen vom dortigen Sicherheitspersonal nicht immer pfleglich behandelt. „Auch wenn’s komisch klingt: Du baust fast so etwas wie eine emotionale Beziehung zu dem Ding auf, redest ihm vor jedem Spiel gut zu und bittest darum, dass es dich nicht im Stich lässt“, erzählt Pick mit einem Schmunzeln. Ohne das Mischpult läuft nun mal nichts. Es ist die zentrale Komponente für jede Übertragung. Ob nebenan in Köln, wie im März 2018 bei der Premiere, oder später im bulgarischen Rasgrad, in Larnaka auf Zypern, in Madrid, Turin, Porto, Glasgow oder bei Hapoel Be’er Sheva nahe des Hebron-Gebirges in Israel. Rund 29.000 Flugkilometer und 22 Reisen in 13 europäische Länder hat Xenyx auf dem Buckel. Dazu kommen ungezählte Kilometer mit der Deutschen Bahn zu den Bundesliga- und DFB-Pokalspielen.
Insgesamt haben Hartmann und Pick für das Werkself-Radio mit exakt diesem Mischpult über 553 Stunden (oder 33.200 Minuten) aus der BayArena, anderen deutschen sowie europäischen Stadien gesendet. Kein Wunder, dass all das Spuren hinterlässt. Ein paar der zahlreichen Mischpultregler und einige Knöpfe waren schon nicht mehr vorhanden. „Dennoch funktionierten sämtliche Einstellungen bis zum Schluss einwandfrei“, betont Hartmann. Natürlich gibt es vor jedem Spiel ohnehin ein Check-up mit Heiko Schulz, der bei Bayer 04 die Abteilung Digitale Entwicklungen verantwortet, und der stets von Leverkusen aus Verbindung und Tonqualität überprüft und erst dann den Daumen hebt. „Je nach Größe und Akustik des Stadions variieren unsere Einstellungen etwas. Zudem gibt es unterschiedliche Voraussetzungen hinsichtlich Internetanbindung und Bandbreite vor Ort, die es manchmal spannend machen. Das Einrichten des Set-ups vor Ort und der Check-up können bis zu einer halben Stunde dauern“, sagt Schulz.
Zum Set-up gehören neben dem Mischpult ein damit verbundenes Laptop, über das die Signale nach draußen zu einem Streaming-Dienstleister gehen, zwei Headsets für das Duo Hartmann/Pick sowie diverse Kabel. Alles fein säuberlich im Koffer verstaut. Normalerweise. Einmal, bei jenem Champions-League-Gruppenspiel bei Lokomotive Moskau, hatten die beiden ein kleines, aber entscheidendes Kabel beim Einpacken vergessen. Und weil keiner vor Ort helfen konnte oder wollte, machte sich Pick eine halbe Stunde vor dem Anpfiff eben selbst auf die Suche. Spazierte durch die Katakomben des Stadions, sah irgendwann ein offenes, aber gerade unbesetztes Büro, in dem eine Kaffeetasse dampfte. Ging zum Drucker und schnappte sich kurzerhand das benötigte Kabel. Die Übertragung war gerettet. Bayer 04 gewann 2:0 unter anderem durch ein Traumtor von Sven Bender.
„Die 30 Sekunden in dem Büro waren die längsten meines Lebens“, sagt Pick, „hätte mich dort jemand auf frischer Tat ertappt, wäre es peinlich geworden. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Aber es durfte doch nicht sein, dass wir tausende Kilometer fliegen, um am Ende wegen eines fehlenden, ganz banalen USB-Druckerkabels nicht auf Sendung gehen zu können.“ Natürlich hat er das ausgeliehene Kabel nach dem Spiel wieder an Ort und Stelle zurückgebracht.
Dass seit dem Startschuss vor fünf Jahren wirklich jedes Pflichtspiel von Schwarz-Rot vom Werkself-Radio übertragen wurde, liegt eben auch am Wagemut und kämpferischen Einsatz seiner beiden Kommentatoren. Manchmal wurde es dennoch verdammt eng. So wähnte sich Niko Hartmann im August 2021 auf der Fahrt zum Pokalspiel bei Lokomotive Leipzig, das er ausnahmsweise alleine kommentieren musste, zwar nicht im falschen Film. Aber als ihm klar wurde, dass er im falschen Zug saß und der nächste Halt nicht Leipzig-Hauptbahnhof, sondern Berlin-Südkreuz sein würde, brach der Schweiß aus. Schuld daran war eigentlich ein Zeitungskollege, der beim Umsteigen in Frankfurt auf diesen Zug verwiesen hatte, dann aber selbst in Halle ausgestiegen war, um mit dem Mietwagen weiterzufahren. Heute kann Hartmann über die Episode lachen: „Ich steckte im Schlamassel, schilderte dem Zugpersonal den Ernst der Lage, erklärte, dass ich unbedingt pünktlich zum Anpfiff in Leipzig sein müsse, was nicht zu schaffen wäre, wenn ich bis zum Berliner Südkreuz an Bord bleiben müsste.“ Und tatsächlich ließ sich der Zugführer überzeugen und hielt außerplanmäßig in Bitterfeld. „Ein sogenannter Nothalt, der Schaffner sagte mir, ich hätte zehn Sekunden Zeit zum Aussteigen, dann würde der Zug weiterfahren. Für diese Aktion werde ich der Deutschen Bahn ewig dankbar sein“, sagt Hartmann. Am Bahnhof Bitterfeld rief er den Zeitungskollegen an, der ihn dann mit dem Mietwagen aufgabelte. Erst zehn Minuten, bevor er mit dem Werkself-Radio auf Sendung gehen musste, saß Hartmann auf seinem Platz im Bruno-Plache-Stadion. Es war noch mal gut gegangen.
Genauso wie Ende Februar 2022 beim Bundesliga-Heimspiel gegen den DSC Arminia Bielefeld, als beide Kommentatoren gleichzeitig an Corona erkrankt waren und für sie dankenswerterweise die Blindenreporter Philip Heuser und Jan Zimmermann von der Südtribüne als Ersatz einsprangen.
Manchmal muss eben improvisiert werden. Und auch wenn es vor jedem Auswärtsspiel ein Briefing mit dem entsprechenden Verein gibt, in dem Bayer 04 die Anforderungen an die Übertragung kommuniziert, sind die Gegebenheiten vor Ort nicht immer optimal. Manchmal ist die Firewall vor Ort nicht richtig konfiguriert und sorgt für Ärger oder es fehlt schon mal gänzlich der eigentlich zugesagte Internetanschluss am Platz wie in Brügge. Gut, wenn man dann ein 20-Meter langes LAN-Kabel dabei hat und man sich am anderen Ende der Pressetribüne einstöpseln kann. Auch kürzlich in Monaco standen Pick und Hartmann vor demselben Problem. Und wieder halfen Kollegen auf der Pressetribüne des Stade Louis II aus.
Das Achtelfinal-Rückspiel in der Europa League brach schließlich alle Übertragungsrekorde. Insgesamt hatten 35.500 Hörerinnen und Hörer das Duell im Fürstentum mit dem abschließenden Elfmeterkrimi über das Werkself-Radio verfolgt. Dessen Erfolgsgeschichte spiegelt sich in den Einschaltquoten, die sich bis heute fast verdreifacht haben.
Eine Entwicklung, die jetzt auch wieder auf technisch robustem Fundament steht. Noch in der Nacht nach dem Übertragungsabbruch in Budapest hat Heiko Schulz ein neues Mischpult per Express bestellt: dasselbe Xenyx-Modell wie zuvor. Es hat sich schließlich bewährt. Und gab nun beim 2:1-Heimsieg gegen den FC Bayern München sein erfolgreiches Debüt. Ein gutes Omen für die nächsten fünf Jahre. Mindestens.