Vor 90 Jahren: Aufstieg in unruhigen Zeiten

Am 22. März 1931 gelang der Sportvereinigung Leverkusen 04 der Aufstieg in die 1. Rheinische Bezirksklasse. Damit spielte die Fußball-Abteilung erstmals seit ihrer Gründung 1907 drittklassig. Wir blicken zurück auf einen Erfolg in der Vereinsgeschichte, der in schwerer Zeit vieles in Gang setzte.
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Man kann nicht wirklich behaupten, dass der Leverkusener Fußball 1930 allzu großes Interesse in der Stadt und ihrem Umfeld geweckt hätte. Die Sportvereinigung Leverkusen 04 kickte damals freilich auch nur in der Rheinischen 2. Bezirksklasse, war also viertklassig unterwegs. Immerhin: Vor der neuen Saison 1930/31 gönnte die Opladener Zeitung dem lokalen Topspiel des Wochenendes in ihrem Sportteil drei längere Absätze – und frohlockte: „‘Endlich wieder Meisterschaftsspiele‘ hört man überall bei den Sportbeflissenen unserer Heimat. Und gleich gibt es eine Sensation. Am Manforter Stadion treffen sich […] wohl die beiden ältesten Rivalen der hiesigen Gruppe zum fälligen Meisterschaftsspiel.“

TuS Manfort 1904 gegen die SpVg. Leverkusen 04 hieß also das „sensationelle“ Duell am 1. Spieltag, an dem aus der näheren Nachbarschaft auch TuSpo Richrath und der BV Opladen gegeneinander antraten. Zudem gehörte neben einigen Kölner Vereinen (Rodenkirchen, KBB 07, Köln 93) auch Leverkusens Nachbar Langenfeld zur dritten Gruppe der 2. Bezirksklasse. Die Opladener Zeitung rief vor dem Start am 28. September 1930 „allen unseren Vereinen ein kräftiges hipp, hipp, hurra“ entgegen.

Auftaktsieg im Manforter Stadion

Fast 500 Zuschauer sahen den 2:0-Premierensieg der SpVg. im Manforter Stadion. Die „Gäste“ spielten damals – wie schon seit Januar 1929 – in blau-orangenen Trikots. Tags drauf fanden sich im Lokalblatt unter der Rubrik „Bergisch-Rheinischer Sport“ nur 14 schmale Zeilen über die Partie. Der geneigte Leser erfuhr nur das Nötigste, wenn überhaupt: „Die beiden Tore bei Leverkusen schoss der Rechtsaußen. Bei Manfort konnte der Sturm gar nicht gefallen. […] Bei Leverkusen war kaum eine Niete vorhanden.“

Gut, nun hatte am selben Sonntag auch die deutsche Nationalmannschaft unter Trainer Otto Nerz im Länderspiel gegen Ungarn sensationell einen 0:3-Pausenrückstand noch in einen 5:3-Sieg verwandelt. Dieser Triumph stellte sportlich an diesem Wochenende alles andere in den Schatten.

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1927 eingeweiht, diente das Manforter Stadion in den Folgejahren als Trainings- und Spielstätte der SpVg. Leverkusen 04.

Überhaupt hielten die nationalen Geschehnisse die Menschen in dieser beunruhigenden Zeit nicht minder in Atem als die Situation vor ihrer Haustür. Die „Goldenen Zwanziger“ waren vorbei. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit sowie politischer Extremismus von rechts und links kündigten den Untergang der Weimarer Republik an. Die gerade am 1. April 1930 gegründete Stadt Leverkusen zählte rund 40.000 Einwohner. Im Januar 1931 registrierte man hier knapp 7.500 Arbeitssuchende – das war eine Arbeitslosenquote von fast 19 Prozent.

Fußball, der längst etablierte Volkssport, bot auch manchem Leverkusener eine willkommene Ablenkung vom harten Alltag. Auch die Feldhandballer und vor allem die Boxer fanden in der Stadt ihr Publikum. Bereits in den 1920er Jahren bestritten Letztere ihre Klubkämpfe vor rund 1.000 Zuschauern, „während die Fußballer an der Dhünn vor einem Häuflein von 150, oft missmutigen Besuchern spielten“, wie Vereinschronist Walter Scharf festhielt. 1928 bündelten der Box- und Sportverein Wiesdorf und der Fußballverein (FV) 04 Leverkusen schließlich ihre Kräfte und schlossen sich zur Sportvereinigung Leverkusen 04 zusammen.

Zu Hause auf mehreren Plätzen

Die Fußballer legten sich in der Saison 1930/31 mächtig ins Zeug, um das Publikum nicht zu enttäuschen. Zu den Leistungsträgern in der Mannschaft zählten Stürmer Peter „Fitti“ Schmitz, Torhüter Alfred Schaumann, Linksaußen Heinrich Odenthal und der halblinke „Zehner“ Fritz Schorn. Auch die Namen Peter Schüller, Jean Breuer und Karl Peckhaus fanden in den kurzen Spielberichten als Torschützen oder Vorbereiter häufiger Erwähnung. Einen Trainer hatte die Truppe übrigens nicht. Professionellere Strukturen mit einem Fußball-Lehrer sollten im Verein erst 1936 nach dem Aufstieg in die Bezirksklasse Niederrhein, die 2. Gauliga, eingeführt werden.

Fast vom Start weg übernahm das Team die Tabellenführung und festigte Platz 1 bis zur Winterpause. Das Fußball-Jahr 1930 klang am 2. Weihnachtsfeiertag mit einem „Gesellschaftsspiel“ – wie Freundschaftsspiele damals genannt wurden – gegen einen weiteren Stadt-Rivalen, Jahn Küppersteg, aus. „Das Lokaltreffen dieser beiden Vereine auf dem Platze des Ballspielvereins hatte viele Zuschauer angelockt, die ihren Verdauungsspaziergang machen wollten“, schrieb die Opladener Zeitung. Die SpVg. gewann die Partie gegen den Heimatverein des späteren deutschen Nationalspielers Paul Janes, der inzwischen aber für Fortuna Düsseldorf kickte, mit 2:1. Dass die Leverkusener ihre Heimspiele immer wieder mal nicht auf ihrem eigenen Dhünnplatz austrugen, sondern wie in diesem Fall auf den Sportplatz des BV Wiesdorf oder auch ins Stadion Manfort ausweichen mussten, lag am Hochwasser, das den Dhünnplatz vor allem im Winter oft unbespielbar machte.

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Auf dem Dhünnplatz mussten die Leverkusener Fußballer regelmäßig unter widrigen Bedingungen spielen.

Die Schlagzeilen aber wurden in der Zeit um den Jahreswechsel auch in der Opladener Zeitung von anderen Themen beherrscht. „Sturmszenen im preußischen Landtag“ titelte das Lokalblatt am 17. Dezember. Die Ende November erstmals gezeigte Verfilmung des Literaturklassikers „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque über die Gräuel des Ersten Weltkrieges sorgte in einer Zeit, in der die Nationalsozialisten immer stärker an die Macht drängten, für Aufruhr in Berlin. Ein anderer Film hatte sich bereits in den Monaten zuvor zum Kassenschlager entwickelt: „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen war am 1. April – dem Tag der Stadtgründung Leverkusens – in Deutschland uraufgeführt worden. Der UFA-Streifen, einer der frühesten Tonfilme, lief wohl auch im Leverkusener Lichtspieltheater von Samuel van Frank, dessen Söhne Karl und Richard van Frank einige Jahre für die SpVg Leverkusen 04 kickten. 1933 emigrierte die jüdische Familie in die Niederlande.

„Kampf bis auf den letzten Mann“

Das Jahr 1931 begann für den Leverkusener Tabellenführer in der Rheinischen 2. Bezirksklasse mit dem Spiel gegen den Kölner Ballspielverein 07 (KBV 07). In der Vorschau auf die Partie schlug der General-Anzeiger Leverkusen am 3. Januar einen militaristischen Ton an: „Kampf bis auf den letzten Mann – das muss die Parole für dieses Spiel sein!“ Es half nichts: Die Kölner gewannen mit 2:0.

Aber die Blau-Orangenen fanden schnell zurück zu alter Form. Am 18. Januar schlug man ein anderes Team aus der Domstadt, Köln 93, zu Hause mit 3:2. Auf viel größere Resonanz in Leverkusen stieß an diesem Tag allerdings eine „erhebende Veranstaltung im Erholungshause“ (General-Anzeiger), wo der Reichsgründungstag in Erinnerung an die deutsche Reichsgründung 1871 gefeiert wurde. Der erste Leverkusener Bürgermeister Dr. Heinrich Claes brachte anlässlich des 60. Jahrestags „das Hoch auf unser deutsches Reich, unser deutsches Volk und den verehrten Reichspräsidenten aus“, berichtete der General-Anzeiger.

Blutige Zusammenstöße zwischen Nazis und Kommunisten

Doch die Zeiten wurden rauer. Während Marlene Dietrich, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, als neuer Stern am deutschen Kino-Himmel aufstieg und die Fußballer in Leverkusen trotz einer zwischenzeitlichen 1:2-Niederlage gegen die Nachbarn von TuSpo Richrath Ende Januar weiterhin die Tabellenspitze behaupten konnten, flogen auf den Straßen und in Gaststätten landesweit zunehmend die Fäuste.  Auch in Leverkusen kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern extremistischer politischer Lager. Im Leverkusener Restaurant Steinacker lieferten sich bei einer Versammlung der NSDAP am 10. Februar Nationalsozialisten und Kommunisten erbitterte Kämpfe. „Die Polizei, die verstärkt wurde, griff bei dem Zusammenstoß energisch durch und konnte weitere Schlägereien und weiteres Blutvergießen verhindern. Das sei gebührend anerkannt.“ (General-Anzeiger)

Friedlich, wenn auch sportlich umkämpft, ging es Anfang Februar auf dem Opladener Birkenberg zu. Nur ein Punkt trennte die SpVg als Spitzenreiter vom Dritten BV Opladen. Eine „außergewöhnlich große Zuschauermenge“ wollte sich das Spiel nicht entgehen lassen, das die Gäste knapp mit 1:0 für sich entscheiden konnten. So lief es gegen Ende der Saison immer mehr auf den Zweikampf zwischen den Leverkusenern und dem VfB Langenfeld hinaus.

Wie sehr der Fußball in der Region damals noch in den Kinderschuhen steckte, zeigte sich einmal mehr am 28. Februar. Vor dem Topspiel zwischen dem Tabellenersten und dem Tabellenzweiten orakelte der General-Anzeiger: „Es geht um Sein und Nichtsein.“ Doch ganz so dramatisch sahen es nicht alle. Schon gar nicht der für die Partie angesetzte Schiedsrichter. Der nämlich erschien einfach nicht. Die Mannschaften einigten sich auf ein „Gesellschaftsspiel“ von zwei Mal 30 Minuten, das 1:1 endete. Das Meisterschaftsduell wurde auf den 22. März verlegt.

„Die Würfel sind gefallen“

Nachdem sie in der Woche zuvor 3:1 gegen Rodenkirchen gewonnen hatten, gingen die Leverkusener mit einem Punkt Vorsprung ins entscheidende Spiel um den Aufstieg gegen den Zweiten VfB Langenfeld. Zitieren wir noch ein letztes Mal aus dem Nachbericht des General-Anzeigers vom 23. März 1931: „Die beiden Spitzenführer lieferten sich gestern ein äußerst flottes Spiel. […] Man wusste vor dem Spiele tatsächlich nicht, wem man die größeren Aussichten für einen Sieg geben sollte. Nun, die Würfel sind gefallen. Die Langenfelder hatten das Nachsehen. Dass sie vielleicht nach dem Ende des Spieles etwas neidisch geblickt haben mögen, als den Leverkusenern ein Kranz als Gratulation zum Aufstieg überreicht wurde, ist menschlich. Auch sie hatten sich wacker geschlagen, aber sie hatten eben Pech.“

24 Jahre nach Gründung der Fußball-Riege im TuS 04 und knapp ein Jahr nach der Stadtgründung Leverkusens hatte die SpVg Leverkusen 04 erstmals den Aufstieg in die 1. Rheinische Bezirksklasse und damit in die dritthöchste deutsche Liga geschafft. Schon anderthalb Jahre später durften die Fußballer den „Sumpfplatz“ an der Dhünn verlassen und endlich in einem ordentlichen Stadion, der Sportanlage „Am Stadtpark“ spielen. In politisch unruhigen Vorkriegsjahren hatte die Entwicklung des „Bayer-Fußballs“ nun deutlich an Fahrt aufgenommen.

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