Bayer 04 musste auf dem Weg zum ersten Titelgewinn den großen FC Barcelona aus dem Weg räumen. Nach dem 0:0 im Hinspiel des UEFA-Cup-Viertelfinals kam es heute vor 30 Jahren, am 16. März 1988, zum zweiten Vergleich in der spanischen Metropole.
Sie hatten sich das schon gleich nach dem torlosen Hinspiel fein ausgemalt. „Wenn wir im eigenen Stadion vor 100.000 Zuschauern spielen, wird das für die Leverkusener ein Problem. Sie sind so etwas nicht gewohnt“, orakelte Bernd Schuster gleich nach dem Abpfiff in Müngersdorf vor den Mikrofonen der Reporter. Da war dann freilich der spanische Wunsch Vater des Gedankens gewesen. Als der englische Referee George Courtney das Viertelfinal-Rückspiel zwischen dem FC Barcelona und Bayer 04 im katalonischen Fußball-Tempel anpfiff, verloren sich gerade mal 20.000 Fans in der gewaltigen Arena, die das sechsfache an Publikum aufnehmen konnte. Für Barcas erfolgsverwöhnte Anhängerschaft war der UEFA-Cup eben kein sonderlich attraktiver Wettbewerb, dazu genossen die Leverkusener bei ihrer erst zweiten internationalen Teilnahme noch keine Reputation.
„Ich hatte vorher Gänsehaut bei dem Gedanken an eine solche Riesenkulisse. Aber als wir aus der Kabine die Treppen ins Stadion runtergingen und den Platz zum Warmmachen betraten, war das Stadion gefühlt fast leer und ich hörte aus der Ferne ein leises ,Rudi, Rudi' von unseren Fans im obersten Winkel des Oberrangs“, sagt Bayer 04-Keeper Rüdiger Vollborn in der Rückschau. Für Erich Ribbecks Mannschaft bildeten diese wenig atmosphärischen Umstände aber gewiss keinen Nachteil, sie fühlte sich ohnehin ganz wohl in der Rolle des krassen Außenseiters. „Bayer 04 hat bislang elf Europacup-Spiele bestritten und ist immer ungeschlagen geblieben. Warum sollten wir in Spanien nicht bestehen, Barcelona ist keine Übermannschaft“, sagte Vorstopper Alois Reinhardt. Und auch Coach Ribbeck verbreitete vor dem Spiel durchaus Zuversicht: „Unsere Lage ist trotz des 0:0 im ersten Spiel gar nicht so schlecht. Zu Hause kann sich Barcelona nicht so massiv hinten reinstellen. Uns stehen noch alle Türen offen.“
So konnte man das sehen, wenn man es denn so sehen wollte. Vereinspräsident Gert-Achim Fischer hatte dem Team diese Vorgabe mit auf den Weg gegeben: „Das ist das bedeutendste Spiel in unserer Vereinsgeschichte.“ Die Mannschaft jedenfalls verinnerlichte diese Einstellung zu hundert Prozent. Von der ersten Minute an zeigte die Werkself ihr Sonntagsgesicht, sie ging aggressiv und hochkonzentriert in die Zweikämpfe und nahm spielfreudig das Heft in die Hand. Chancen für Barca? Erst mal keine, da Libero Thomas Hörster mit überragender Antizipation viele Angriffe der Spanier schon im Ansatz erstickte und Alois Reinhardt dem englischen WM-Torschützenkönig Gary Lineker nicht das Schwarze unter dem Fingernagel gönnte. Die erste Hälfte ging klar an die Gäste, nur noch nicht im Resultat.
Das änderte sich eine knappe Viertelstunde nach Wiederanpfiff. Barcelona wähnte sich sicher, Bayer 04 setzte den entscheidenden Konter. Herbert Waas schickte Christian Schreier auf rechts steil, der kurvte in den Strafraum, Barca-Keeper Zubizarreta legte sich in den Weg und brachte ihn zu Fall. Der fällige Pfiff zum Elfmeter blieb aus, was aber nichts machte, da Tita aus dem Hintergrund angestürmt kam und die Kugel aus sieben Metern mit aller Konsequenz ins Tor knallte. Wild jubelnd drehte der Brasilianer ab, rannte in Richtung der Bank und sprang Falko Götz in die Arme. Die komplette Bayer 04-Belegschaft stand am Spielfeldrand und feierte den Treffer zum 1:0. Und auf dem Oberrang machten 2.000 Werkself-Fans ordentlich Party.
Barcelona brauchte jetzt zwei Tore zum Weiterkommen und antwortete mit wütenden Angriffen, doch Bayer 04 blieb cool und hielt die Hausherren gekonnt vom Tor fern. Bis fünf Minuten vor Schluss. Dann brachte Falko Götz Roberto zu Fall, es gab Strafstoß für Barca – und Bernd Schuster jagte den Ball vom Punkt in die Wolken. Auch die letzten verzweifelten Versuche der Spanier verpufften, wenig später folgten der Abpfiff und ekstatische Feierlichkeiten der Sieger. Die Spieler schmetterten im Entmüdungsbecken fröhliche Karnevalslieder, während nebenan Bernd Schuster zum Sündenbock erkoren und als „Verräter“ beschimpft wurde und das Stadion auf geheimen Wegen verlassen musste. In der Kabine erhöhte Präsident Fischer die Siegprämie spontan auf 17.000 Mark pro Mann, Trainer Ribbeck setzte den Zapfenstreich aus. „Die Nacht haben wir in der Hotelbar in Barcelona verbracht – mit Bier und Zigarren“, sagt Rüdiger Vollborn.
Tags darauf wurde Barcas ausgeschiedenes Star-Ensemble von der spanischen Presse abgewatscht. „El Mundo Deportivo“ haute besonders heftig drauf: „Die hoffnungslose Unfähigkeit der Mannschaft war eine Ohrfeige für die wenigen treuen Anhänger. Leverkusen hat Barca klar wie kaum ein anderer Gegner in den letzten Jahren beherrscht und eine Lehrstunde in moderner Fußballkunst erteilt.“ Als die Bayer 04-Profis sich am Morgen auf die Heimreise begaben, begegneten ihnen am Flughafen Spieler und Fans von Espanyol Barcelona. Das Team hatte sich in Vitkovice durchgesetzt und stand ebenfalls im Halbfinale des UEFA-Cups. Und weil die Werkself den ungeliebten großen Lokalrivalen aus dem Wettbewerb geworfen hatte, wurde sie von Espanyols Anhängern mit Sprechchören gefeiert.
Das Los für die Vorschlussrunde indes bereitete Bayer 04 weit weniger Freude: Bundesliga-Spitzenreiter Werder Bremen, ein innerdeutsches Duell, noch dazu das erste Spiel am 6. April 1988 zu Hause. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen.
Die Statistik:
FC Barcelona: Zubizarreta – Gerardo, Migueli, Roberto, Manolo – Victor, Schuster, Calderé (46. Nayim), Urbano – Carrasco, Lineker
Bayer 04: Vollborn – Hörster – A. Reinhardt, Hinterberger – Schreier, Rolff, Tita (77. Buncol), Falkenmayer – Cha, Waas (72. Götz), Täuber
Tor: 0:1 Tita (59.)
Schiedsrichter: Courtney (England)
Gelbe Karten: Victor, Manolo
Zuschauer: 20.000
Hier gibt es den TV-Bericht vom Rückspiel in Barcelona:
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