Beim Blick auf die Tabelle präsentierte sich die Gruppe D vor dem 3. Spieltag absolut ausgeglichen. Alle vier Teams hatten je einmal gewonnen sowie einmal verloren und dementsprechend drei Punkte auf dem Konto. Bayer 04 war nach dem 0:4-Fehlstart bei Juventus Turin durch ein 3:0 zu Hause gegen Deportivo La Coruna wieder voll im Geschäft. Und nun also trafen die Leverkusener im 81. Spiel auf europäischem Parkett zum ersten Mal auf einen englischen Klub. Der FC Arsenal hatte seine Auftaktpartie in der Zwischenrunde mit 0:2 bei Deportivo La Coruna verloren, dann aber gegen Juventus Turin im Highbury-Stadion 3:1 gewonnen. „Es ist eine Ehre, dass wir uns mit solchen Mannschaften messen dürfen“, schwärmte Klaus Toppmöller vor der Partie gegen die „Gunners“ (Kanoniere), die allerdings ihre letzten sechs Auswärtsspiele in der Champions League allesamt verloren hatten. Gleich sechs Franzosen spielten im Team des französischen Trainers Arsène Wenger, darunter die Welt- und Europameister Thierry Henry, Patrick Vieira und Robert Pires sowie der Europameister Sylvain Wiltord. Kurios: Der unter panischer Flugangst leidende Niederländer Dennis Bergkamp war wegen der personell angespannten Lage bei Arsenal im Auto nach Leverkusen chauffiert worden und damit erstmals nach über zwei Jahren wieder bei einem internationalen Auswärtsspiel seines Klubs dabei – trotzdem saß er 90 Minuten nur auf der Bank.
Bei Dauerregen übernahmen die Gastgeber in der BayArena sofort die Initiative, während sich der FC Arsenal zunächst auf kompakte Defensivarbeit beschränkte. Trotz der geballten Ansammlung hochveranlagter Offensivspieler hüben wie drüben sahen die Zuschauer in der ersten Hälfte nur wenig Torchancen auf beiden Seiten. Die beste Möglichkeit der Werkself durch Ulf Kirsten vereitelte Sol Campbell kurz vor der Linie (25.). Auch nach dem Seitenwechsel blieb Bayer 04 tonangebend. Doch der Vizemeister aus der englischen Hauptstadt konterte nun gefährlicher und erwiesen sich als äußerst effektiv. Gleich die erste große Chance verwertete Arsenal dank einer Kooperation der Franzosen Wiltord und Pires zum Führungstreffer (56.). Die Toppmöller-Truppe antwortete mit verstärkten Angriffsbemühungen, vergab aber Möglichkeiten durch Yildiray Bastürk (61.), Oliver Neuville (62.) und Ze Roberto (63.) im Minutentakt. Nach der Gelb-Roten Karte gegen Arsenals Ray Parlour, der Bastürk einmal zu viel rustikal von den Beinen geholt hatte, schaltete Bayer 04 auf totale Offensive. Toppmöller brachte Dimitar Berbatov als dritten Stürmer neben Neuville und Kirsten. Der Bulgare hatte kurz nach seiner Einwechslung Pech mit einem Kopfball, der nur an die Querlatte ging (83.). Kirsten gelang schließlich kurz vor dem Abpfiff nach Flanke von Bernd Schneider doch noch der hochverdiente 1:1-Ausgleich (90.).
Bis zum Schluss mussten die 22.500 Zuschauer in der ausverkauften BayArena zittern, es schien, als seien die cool verteidigenden Gunners an diesem Abend einfach nicht zu knacken. Bis „Schnix“ dann einen letzten langen Ball Richtung Fünfmeterraum schlug, der immer länger wurde und vier Meter vor dem Kasten von David Seaman noch einmal auf dem regennassen Rasen aufsetzte. Es bedurfte einer fast artistischen Einlage von Ulf Kirsten, damit daraus noch etwas Zählbares werden konnte. „Wie Karate Kid“ sei er in den tückischen Flankenball gesprungen, schilderte der „Schwatte“ sein Last-Minute-Tor, das seiner Mannschaft einen ganz wichtigen Punkt sicherte.
Natürlich Ulf Kirsten – der 36-Jährige war in seinem 70. Europapokalspiel mal wieder im richtigen Moment zur Stelle. Sein per Spreizschritt erzieltes Tor war sein 41. Europacup-Treffer – es sollte sein letzter auf internationalem Parkett bleiben. „Solche Tore macht nur er. Ulf ist ein Phänomen, sein Torriecher ist unnachahmlich, er ist ein Vorbild für seine Teamkollegen“, lobte „Toppi“ seine Nummer 9 nach dem Spiel.
„Wenn man gegen Arsenal über weite Strecken so feldüberlegen ist, zeigt das, dass wir über eine gewisse Qualität verfügen“, sagte Bayer 04-Kapitän Jens Nowotny nach dem 1:1. Manager Reiner Calmund befand: „Um solch ein Klasseteam in die Knie zu zwingen, hätten wir 10 bis 15 Prozent mehr Frische gebraucht.“ Arsenals Coach Arsène Wenger freute sich über „das beste Auswärtsspiel meiner Mannschaft in dieser Saison“ und ergänzte: „Wir haben verteidigt wie die Löwen. Wenn man die Heimspiele gewinnt und einen Auswärtspunkt holt, sollte es für das Viertelfinale reichen.“
Die Rheinische Post hielt fest, dass „Arsenal Londons ‚French Connection‘ um ein Haar die Punkte aus der BayArena entführte hätte“ und zeigte sich vom Niveau der Partie eher enttäuscht. „Die kaum steigerbare Anzahl von Stars internationalen Standards bürgt noch nicht für unübertreffbare Qualität. Das ist als Erfahrung keine Weltneuheit und tröstete das Publikum nur bedingt. … Bayer und Arsenal wahrten zu oft und zu lange Neutralität im Gleichgewicht der Kräfte.“ Die Kölnische Rundschau sah zwei grundverschiedene Halbzeiten. „Eine Hälfte lang hatten die Spieler aus London dafür gesorgt, dass die Bemühungen beider Mannschaften, für spektakuläre Szenen vor den Toren zu sorgen, ähnlich trübe waren, wie das Wetter. Ganz anders Halbzeit zwei: Zwar hatte sich nicht das Geringste am regnerischen Wetter geändert, aber die etwas energischeren Angriffsbemühungen der Leverkusener brachten endlich Feuer ins Spiel.“ Der Kölner Stadt-Anzeiger rühmte Ulf Kirsten: „Dass seine Mannschaft nicht als bereits ausgeschiedene Equipe zu der mit vier französischen Nationalspielern bestückten Auswahl von Arsenal reisen muss, hat sie letztlich den immer noch frischen Instinkten des alten Fußballers zu verdanken.“
Bayer 04: Butt – Zivkovic, Nowotny (61. Vranjes), Lucio, Placente (75. Berbatov) – Schneider, Ballack, Bastürk, Ze Roberto – Neuville, Kirsten
FC Arsenal: Seaman – Lauren, Campbell, Stepanovs, van Bronckhorst – Wiltord (71. Grimandi), Parlour, Vieira, Pires – Kanu (75. Edu), Henry
Tore: 0:1 Pires (56.), 1:1 Kirsten (90.)
Gelbe Karten: Zivkovic – Stepanovs
Gelb-Rote Karte: Parlour
Chancenverhältnis: 6:3
Torschüsse: 17:7; aufs Tor: 7:6
Ecken: 11:4
Schiedsrichter: Alain Sars (Frankreich)
Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)
Nicht nur die Fans von Bayer 04 sehnten offenbar das Ende der langen Champions-League-Winterpause herbei. Das letzte Spiel in der Königsklasse gegen La Coruna lag ja auch über zweieinhalb Monate zurück. Aber das Duell zwischen der Werkself und den Gunners in der BayArena hatte auch bei den Supportern des Gäste-Teams für eine starke Ticket-Nachfrage gesorgt. Etliche Reisebusse mit Arsenal-Fans waren in London gechartert worden, einige kamen auch aus Dänemark angereist. Der Gäste-Fanblock war gut gefüllt. Und selbst auf der Pressetribüne sah man aufgrund der starken Präsenz britischer Medienvertreter deutlich mehr Journalisten als üblich. Atmosphärisch hatte schon diese Partie der Zwischenrunde Play-off-Charakter – und war dennoch nur ein Vorgeschmack auf die großen, begeisternden, nervenaufreibenden Spiele gegen Liverpool und Manchester United, die noch kommen sollten.
Es blieb spannend: Auch das Parallelspiel zwischen Juventus Turin und Deportivo La Coruna endete mit einem Remis (0:0), sodass weiterhin alle Mannschaften in der Gruppe vier Punkte auf ihrem Konto hatten. Schon eine Woche später, am 27. Februar, würde Bayer 04 erstmals ein internationales Spiel in England bestreiten. Die Vorfreude auf Highbury war riesengroß.
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