Vier Jahre lang trug Paulo Roberto Rink das Werkself-Trikot. Der Deutsch-Brasilianer, dessen Urgroßvater 1904 (!) von Heidelberg nach Brasilien ausgewandert war, wurde zweimal Vizemeister mit Bayer 04 und bestritt zwischen 1997 und 2001 insgesamt 120 Pflichtspiele für Schwarz-Rot. Mit der deutschen Nationalmannschaft nahm er an der EM 2000 in den Niederlanden und Belgien teil. Heute feiert Paulo Rink seinen 50. Geburtstag. Bayer 04 gratuliert seinem ehemaligen Stürmer dazu herzlich und hat mit ihm aus diesem Anlass unter anderem über seine zweite Karriere als Politiker und seine Erinnerungen an die Zeit in Leverkusen gesprochen.
Paulo, wie geht’s dir?
Rink: Danke, sehr gut, ich bin gerade in meinem Ferienhaus auf der Ilha do Mel, einer Insel rund 200 Kilometer östlich von Curitiba, meiner Heimatstadt in Brasilien. Wenn ich auf der Terrasse sitze, schaue ich auf aufs Meer, der Strand ist nicht weit entfernt. Hier lässt es sich gut leben.
Wirst du dort am Dienstag deinen 50. Geburtstag feiern?
Rink: Ja, zusammen mit meiner Familie, meine Eltern werden auch da sein. Wir werden im kleinen Kreis ein bisschen feiern. Meine Söhne Gustavo und Guilherme kommen mit ihren Freundinnen.
Was machst du heute beruflich?
Rink: Ich habe eine Farm, auf der ich vor allem Holzwirtschaft betreibe. Außerdem halte ich rund 400 Rinder dort. Bis 2020 war ich noch in der Politik und saß als Abgeordneter und Stadtrat im Kommunalparlament von Curitiba, meiner Geburts- und Heimatstadt. Mit Fußball habe ich aktuell nichts zu tun. Ich will es momentan ein bisschen ruhiger angehen lassen, genieße die Zeit mit meiner Familie. Meine Söhne Gustavo und Guilherme sind inzwischen 25 und 21 Jahre alt – beiden wurden übrigens in Leverkusen geboren – und kommen gerne mit ihren Freundinnen vorbei zum Essen. Wir unternehmen viel zusammen, verreisen hin und wieder auch gemeinsam. Für all das hatte ich in den vergangenen, ziemlich arbeitsintensiven Jahren zu wenig Zeit.
Warum bist du in die Politik gegangen?
Rink: Vermutlich aus denselben Gründen wie die meisten, die es tun: Ich wollte etwas bewegen, verändern, gestalten.
Um welche Bereiche hast du dich als Kommunalpolitiker gekümmert?
Rink: Ich war von 2012 an für zwei Legislaturperioden in diversen Ausschüssen, unter anderem war ich Vorsitzender des Finanzausschusses für Curitiba. Das ist die Hauptstadt des südbrasilianischen Bundesstaates Paraná. Curitiba hat knapp zwei Millionen Einwohner. Auch in der Stadtplanung war ich aktiv. Ein Projekt, das mir sehr am Herzen lag, war die Modernisierung und Vergünstigung des öffentlichen Nahverkehrs. Aber natürlich macht man sich nicht mit allen Maßnahmen immer nur beliebt. Ich habe beispielsweise auch mit dafür gesorgt, dass Arbeitskonten für Bedienstete der Stadt eingeführt worden sind. Alle müssen sich also vor Dienstbeginn per Fingersensor einchecken und, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen, sich auf dieselbe Art abmelden. Diese Transparenz, die zu mehr Effizienz führte, hat nicht allen gefallen, wie man sich vorstellen kann.
Du bist auch sozial sehr engagiert, unter anderem als Botschafter für ein Projekt, das Spenden für ein Kinderkrankenhaus sammelt.
Rink: Ja, es stand unter der Schirmherrschaft von Pelé, der Ende vergangenen Jahres leider verstorben ist. Es sind hier einige ehemalige Fußballer engagiert. Und es ist doch großartig, wenn man allein mit seinem Namen und ein bisschen Engagement helfen kann. Wir haben einmal über eine Aktion Spenden für einen Röntgenapparat gesammelt, mit dem nun über 8.000 Röntgenaufnahmen pro Jahr durchgeführt werden. Das ist ein schönes Gefühl, das mich stolz macht.
Lass uns zurückblicken auf deine Zeit bei Bayer 04: Du kamst 1997 gemeinsam mit deinem Landsmann Emerson nach Leverkusen. Aber du warst nicht der typische brasilianische Ballzauberer…
Rink: Das stimmt. Ich kam schon immer über meinen Willen, meine Dynamik und meine Kraft. Ich war kein Techniker wie Zé Roberto oder Bernd Schneider, den sie ja den weißen Brasilianer nannten. Ich war auch nicht so schnell wie Olli Neuville und ganz sicher nicht so ein kompletter Fußballer wie Michael Ballack. Wenn ich mich an meine erste Zeit in Leverkusen erinnere, dann war es am Anfang nicht so leicht für mich. In Brasilien war ich immer Stammspieler gewesen, bei Bayer 04 saß ich zunächst oft auf der Bank. Ich hatte ein bisschen Stress mit dem damaligen Trainer Christoph Daum. Ich war aber auch kein einfacher Typ, das muss ich gestehen.
Inwiefern?
Rink: Im Training war ich extrem ehrgeizig, hab viel Aufwand betrieben. Vielleicht war ich zu verbissen, wollte zu schnell zu viel. Und dann wurde ich eben meist nur für ein paar Minuten eingewechselt. Als ich nach einem halben Jahr schon ganz gut Deutsch konnte, lief es auch sportlich besser. Unser erster Sohn war inzwischen geboren, ich unterhielt mich oft mit Christoph Daum, vor dem ich übrigens heute noch großen Respekt habe.
Was sind deine schönsten Erinnerungen an die Zeit bei Bayer 04?
Rink: Das Erste, was mir einfällt, sind die Fans. Das Stadion war fast immer ausverkauft, die Stimmung fantastisch. Ich spielte unglaublich gerne in der BayArena. Jedes Mal ein volles Haus. Aber auch auswärts genoss ich die Atmosphäre. Ich werde nie unseren 9:1-Sieg in Ulm vergessen. Als die Ulmer in der letzten Minute ihren Ehrentreffer erzielten, wurden sie von ihren Fans gefeiert. Das fand ich überragend. Diese Energie von der Tribüne habe ich immer gebraucht. Vor halbleeren Rängen, wie es in Brasilien oft der Fall ist, hat mir das Fußballspielen nie so großen Spaß gemacht.
Du hast 1998 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und unter Berti Vogts gegen Malta dein Debüt für die DFB-Auswahl gegeben. Damit warst du der erste Brasilianer in der deutschen Nationalmannschaft. Wie fanden das damals eigentlich deine Familie und deine brasilianischen Freunde?
Rink: Ich bekam damals nach der für Deutschland enttäuschenden WM in Frankreich einen Anruf von Berti Vogts. Er lud mich zum Mittagessen ein und sagte mir, dass er mich gerne im Nationalteam hätte. Ich rief danach meinen Vater in Brasilien an und bat ihn um seine Meinung. Er sagte mir: ‚Mein Junge, dieser Trainer zollt dir Respekt und gibt dir eine Chance. Nutze sie. Du bist kein Verräter, wenn du für Deutschland spielst. Im Gegenteil, du darfst stolz darauf sein.‘ Also sagte ich Berti Vogts am nächsten Tag zu. Und diese Entscheidung hat mein Leben in Brasilien wirklich verändert. Ich bin deshalb nie angefeindet worden, sondern gelte seitdem als ‚Alemão“, als ‚der Deutsche‘. Auch meine Freunde haben das sofort respektiert. Deutschland hat in Brasilien einen sehr guten Ruf. Die einzige Sorge, die meine Freunde hatten: ‚Was machst du, wenn du mit Deutschland gegen Brasilien spielst?‘ Ich antwortete: ‚Hoffentlich ein Tor.‘ (lacht) Leider verloren wir 1999 beim Confederations Cup mit 0:4 gegen die Selecao. Ich musste mir einige Späße gefallen lassen, dabei hatte ich nur auf der Bank gesessen.
Du bist 1999 im Sommer mal für sechs Monate zum FC Santos ausgeliehen worden. Dann kamst du zurück und spieltest vielleicht dein bestes halbes Jahr bei Bayer 04, machtest zehn Tore in 16 Spielen, darunter zwei Kopfballtore beim 3:1 gegen Borussia Dortmund. Aber es gab kein Happy End, sondern das Trauma von Unterhaching…
Rink: Ja, wir durften uns für ein paar Minuten als Deutscher Meister fühlen, und dann kam das Eigentor von Michael Ballack. Trotzdem: Dieses halbe Jahr zu Beginn des neuen Jahrtausends war eine super Zeit in Leverkusen. Wohl die schönste Zeit meiner Karriere. Wir hatten eine sensationelle Mannschaft und ich glaubte wirklich fest an den Titel. Ich war fit, voller Selbstvertrauen, ich konnte inzwischen gut Deutsch und mich mit allen unterhalten. Ich hätte gerne Geschichte geschrieben mit Bayer 04. Noch heute bin ich traurig, wenn ich an Unterhaching denke.
Bei der anschließenden EM in den Niederlanden und Belgien gab’s die nächste Enttäuschung für dich, obwohl du als einziger Spieler in allen drei Vorrundenpartien dabei sein durftest – oder musstest, je nachdem wie man‘s nimmt…
Rink: (lacht) Ja, es war eine von Anfang an verkorkste Europameisterschaft. Es gab keinen Teamgeist, einige Spieler hatten mit Trainer Erich Ribbeck ihre Probleme, einer aus der Mannschaft hatte sogar schon vor dem letzten Gruppenspiel gegen Portugal, das wir unbedingt gewinnen mussten, seine Tickets für den Urlaub gebucht, weil er nicht mehr an einen Sieg geglaubt hatte. Das machte mich damals unglaublich wütend. Es gab keinen Teamspirit. Leider war ich zur falschen Zeit in der Nationalmannschaft.
Bei der WM in Brasilien 14 Jahre später saßt du beim legendären Halbfinale in Belo Horizonte zwischen Brasilien und der DFB-Auswahl im Deutschland-Trikot auf der Tribüne. Hast du wirklich gesagt: „Als Deutschland gewonnen hat, war das für mich ein super Gefühl“?
Rink: Ja, das stimmt. Ich gehörte bei der WM zum lokalen Organisationskomitee des Spielorts Curitiba und habe auch dem DFB hin und wieder ein bisschen geholfen. Ich besuchte das deutsche Team in dessen Trainingscamp und ich war bei fast jedem Spiel der deutschen Mannschaft im Stadion. Ein besonderes Erlebnis hatte ich einen Tag vor dem Halbfinale, als ich Brasiliens Nationalcoach Luiz Felipe Scolari am Flughafen traf. Er fragte mich: ‚Alemao, was glaubst du, wie wird es ausgehen morgen?‘ Ich antwortete: ‚Ich denke, die Deutschen werden gewinnen. Aber ich kann dir einen Tipp geben. Spielt eher ein bisschen defensiv, so wie die Franzosen beim 0:1 gegen Deutschland im Viertelfinale, und setzt auf Konter.‘ Aber er sagte: ‚Nein, wir müssen vor eigenem Publikum von Anfang an Druck machen.‘ Das Ergebnis ist bekannt. Brasilien wurde gnadenlos ausgekontert und bekam sieben Tore von den Deutschen. Heute ist Scolari Trainer bei Athletico Paranaense, meinem Heimatverein in Curitiba. Neulich trafen wir uns mal wieder zum Essen und erinnerten uns auch an 2014. ‚Ja‘, sagte Scolari zu mir, ‚du hattest recht damals, Paulo‘.
Du bist immer wieder mal in Deutschland, hast während deiner Besuche sogar schon für die Traditionsmannschaft von Bayer 04 gespielt.
Rink: Ja, wenn ich in Deutschland bin, versuche ich immer auch, ein Spiel in der BayArena zu besuchen. Und wenn es zeitlich passt, spiele ich sehr gerne in der Traditionsmannschaft. Leider gab es in den vergangenen zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie nicht so viele Möglichkeiten. Aber ich habe immer noch guten Kontakt zu Dirk Dreher, auch zu Peter Lehnhoff und Simon Rolfes. Ich telefoniere öfter mit Olli Neuville, Michael Ballack, Calle Ramelow, Bernd Schneider und mit Ulf Kirsten. Ja, ich fühle mich dem Klub noch eng verbunden und werde ihm immer dankbar dafür sein, dass ich hier Fußball spielen konnte.
Zur Person:
Geboren: 21.2.1973 in Curitiba
Bei Bayer 04 von: 1997 – 2001
Pflichtspiele für Bayer 04: 120 Spiele, 35 Tore (Bundesliga: 88 Spiele, 29 Tore)
Nationalspieler: 1998 – 2000, 13 Länderspiele für Deutschland
Weitere Stationen als Fußballer: 1. FC Nürnberg, Energie Cottbus, Olympiakos Nikosia, Vitesse Arnheim, Hyundai Motors (Südkorea), Omonia Nikosia, Karriereende bei Athletico Paranaense in Brasilien 2007