Muchas gra­cias, Xabi!

Nach zweieinhalb Jahren endet die überaus erfolgreiche und von hoher gegenseitiger Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit zwischen Bayer 04 und Cheftrainer Xabi Alonso. Der 43 Jahre alte Spanier hat die Werkself zu drei Titeln geführt. Vor allem der Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft in der Klub-Geschichte wird immer mit dem Namen Xabi Alonso verbunden bleiben. Nun verabschiedet sich der ehemalige Weltklasse-Fußballer, der auch als Mensch viele Herzen in Leverkusen gewonnen hat, von Bayer 04. Wir blicken noch einmal zurück auf eine fantastische Zeit mit dem Basken, der allen Bayer 04-Fans gemeinsam mit einer überragenden Mannschaft ihren größten Traum erfüllt hat.

Die Verpflichtung von Xabi Alonso im Oktober 2022 kam auch für manch einen Experten überraschend. Ja, natürlich eilte dem Spanier ein großer Ruf voraus. Als Profi hatte er nun wirklich alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Er war Weltmeister (2010) und zweimaliger Europameister (2008, 2012) mit Spanien geworden, hatte mit dem FC Liverpool (2005) und mit Real Madrid (2014) die UEFA Champions League gewonnen und mit dem FC Bayern München zwischen 2014 und 2017 dreimal die Deutsche Meisterschaft gefeiert. „Mit Xabi Alonso haben wir einen Coach unter Vertrag genommen, der als Spieler über viele Jahre hinweg ein absoluter Weltklasse-Profi war, ein intelligenter Stratege und extrem erfolgreich in gleich drei der anspruchsvollsten europäischen Ligen“, erklärte Simon Rolfes damals bei der Vorstellung des Basken in Leverkusen.

Bayer 04

Dem Geschäftsführer Sport bei Bayer 04 war gemeinsam mit Fernando Carro, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, und Werner Wenning, dem Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses, ein vermeintlicher Coup gelungen, der sich als solcher erst noch herausstellen musste. Denn als Trainer war Xabi Alonso mehr oder weniger ein unbeschriebenes Blatt. Er hatte 2017 nach seiner aktiven Karriere zunächst die U14 von Real Madrid trainiert und anschließend drei Jahre lang die zweite Mannschaft seines Jugendklubs Real Sociedad gecoacht. Jetzt würde er zum ersten Mal einen ambitionierten Bundesliga-Klub übernehmen. Und dass ehemalige Weltklasse-Spieler nicht unbedingt auch Weltklasse-Trainer werden müssen, ist hinlänglich bekannt. Bei Xabi Alonso standen die Chancen zumindest gut.

Einer hatte schon 2019 gewusst, dass auch die zweite Karriere des Spaniers eine erfolgreiche werden würde: „Er wurde von Pep Guardiola bei den Bayern, von mir und Carlo Ancelotti bei Real Madrid und von Rafael Benitez bei Liverpool trainiert“, sagte José Mourinho in der ihm eigenen Bescheidenheit über seinen ehemaligen Führungsspieler. „Wenn man all das zusammennimmt, hat Xabi die besten Voraussetzungen, ein sehr guter Trainer zu sein!“ Keine Frage, da hatte „The Special One“ durchaus Recht. Aber es war natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn mindestens genauso wichtig wie die namhaften Trainer, unter denen er spielen durfte, war sein eigener Charakter, waren die schon im Profi Xabi Alonso angelegten analytischen Fähigkeiten und sein Spielverständnis.

Als der Mittelfeldspieler zum Beispiel im Alter von 22 Jahren von Real Sociedad San Sebastian zum FC Liverpool wechselte, waren nicht alle Reds gleich begeistert, als sie erstmals vom Neuzugang aus dem Baskenland erfuhren. Liverpool-Legende Jamie Carragher erzählte dazu einst auf „Redmen TV“, dass Rafael Benitez, der damalige Coach der Reds, der Mannschaft seinen Landsmann Xabi Alonso mit folgenden Worten angekündigt habe: „Dieser Spieler wird uns verstärken, ich denke, er ist ein fantastischer Spieler. Er hat mit mir bereits darüber gesprochen, wo das Team sich verbessern kann und über andere taktische Dinge.“ Carragher, damals Liverpools Innenverteidiger und Vizekapitän, erinnert sich an seine Reaktion darauf: „Ich dachte nur: ‚Wer zur verdammten Hölle denkt er, der er ist? 22, kommt rüber aus Spanien und will uns erzählen, was wir falsch machen. Verdammt, zeig dich erst einmal im Trikot.‘“ Nun, Xabi Alonso zeigte sich im Trikot und Carraghers Zweifel verflogen rasch. Sein neuer Teamkollege entwickelte sich an der Anfield Road zu einem Weltstar und Publikumsliebling.

Mit neuem Teamspirit und Selbstvertrauen

Bedenken hinsichtlich seiner Fähigkeiten als Trainer kamen in Leverkusen erst gar nicht auf: Xabi Alonso feierte am 8. Oktober 2022 einen perfekten Einstand als neuer Coach der Werkself, die unter seinem Vorgänger Gerardo Seoane in der Bundesliga nach acht Spieltagen auf Platz 17 abgerutscht war und wenige Tage zuvor in der Champions League 0:2 beim FC Porto verloren hatte. Gegen den FC Schalke 04 gewann Schwarz-Rot unter dem Spanier deutlich mit 4:0. Aber eine verunsicherte Mannschaft zu stabilisieren, brauchte seine Zeit. Auf den Auftaktsieg folgten mit dem 0:3 gegen Porto und dem 1:5 bei Eintracht Frankfurt zwei Niederlagen. Gerade die derbe Schlappe in Frankfurt betrachtete Xabi Alonso später als Wendepunkt. Die Richtung definierte der Trainer sehr klar: „Wir mussten organisierter spielen, der Abwehrarbeit einen höheren Stellenwert einräumen, da wir sehr anfällig waren. Es fiel uns schwer, als Mannschaft richtig zu verteidigen und wir mussten auch lernen, wo wir verteidigen.“

Noch wichtiger als Taktik und Systeme war dem Spanier zunächst ein neuer Teamspirit. „Es ging von Beginn an darum, eine Mannschaft zu formen, eine Gruppe, die funktioniert, die zusammen Spaß hat, füreinander einsteht. Das war mein grundlegendes Ziel seit meiner Ankunft in Leverkusen.“ Als die Spieler seine Fußball-Philosophie verinnerlicht hatten, begann der Aufschwung unterm Bayer-Kreuz. Die Werkself qualifizierte sich als Dritter in ihrer Champions-League-Gruppe für die UEFA Europa League. In der Bundesliga ging es nach drei Siegen in Folge gegen Union Berlin, den 1. FC Köln und den VfB Stuttgart sukzessive nach oben.

Xabi Alonso

Xabi Alonso hatte seiner Mannschaft wieder das Selbstvertrauen zurückgegeben. Und mit zunehmender Sicherheit kehrte auch die alte Spielstärke zurück. Als schließlich Florian Wirtz nach über 300 Tagen Verletzungspause wieder ins Team zurückkehrte, startete Bayer 04 endgültig die Aufholjagd. Xabi Alonso führte das Team am Ende der Saison 2022/23 auf Platz sechs – die Qualifikation für die Europa League war geschafft.

Temperamentvoll in der Coachingzone

Und apropos Europa: Der Sieg nach Elfmeterschießen in Monaco löste eine Euphorie in Leverkusen aus, die die Mannschaft und Fans gemeinsam durch den Rest der Spielzeit trug. Die Werkself schaffte es erstmals nach über 20 Jahren wieder in ein Halbfinale eines europäischen Wettbewerbs. Bayer 04 traf auf die AS Rom und Xabi Alonso auf eben jenen José Mourinho, seinen ehemaligen Trainer bei Real Madrid, der ihm vor Jahren schon eine große Zukunft als Trainer prophezeit hatte. Am Ende verpasste Schwarz-Rot zwar knapp den Einzug ins Finale nach Budapest, aber das Fundament für eine vielversprechende Saison 2023/24 war gelegt. Vor allem dank Xabi Alonso und seinen Co-Trainern Sebastian Parrilla und dem gesamten Trainerteam. Der außerhalb des Platzes so ruhige und besonnene Chefcoach zeigte an der Seitenlinie immer vollen körperlichen Einsatz und viel spanisches Temperament. Gestikulierend, schreiend, anfeuernd, mitjubelnd. Und zuweilen wirkte es, als würde er in der Coachingzone im Geiste mitspielen und selbst noch aktiv eingreifen wollen.

Xabi Alonso

Großes Lob für seine Arbeit bekam Xabi Alonso aus berufenem Munde. Jupp Heynckes, der zwischen 2009 und 2011 auch zwei Jahre die Werkself trainiert hatte, war selbst der Schritt von einem Weltklasse-Fußballer zu einem Weltklasse-Trainer gelungen. Und als ehemaliger Coach von Athletic Bilbao ist Heynckes auch ein Kenner des Baskenlandes und seiner Menschen. „Die Mentalität von Xabi Alonso hat mich schon immer beeindruckt“, sagte der 79-Jährige im vergangenen Jahr im Interview mit dem Werkself-Magazin. „Seine fußballerischen Fähigkeiten kennt ja jeder – aber seine Haltung als Spieler auf dem Feld hat mir noch mehr imponiert. Es gab nie eine negative Geste, das war beeindruckend für mich. Seine charakterlichen Qualitäten sind schon früh zum Vorschein gekommen. Das ist der Ursprung für seinen großen Erfolg.“ Xabi Alonso sei ein typischer Baske. Respektvoll, demütig, bodenständig.

Ein typischer Baske

Werte, die ihm auch sein Vater mitgegeben hat. Periko Alonso war selbst Fußballprofi, wurde Anfang der 1980er-Jahre zweimal mit Real Sociedad San Sebastian und einmal mit dem FC Barcelona Spanischer Meister. Bei den Katalanen spielte er unter anderem an der Seite von Bernd Schuster und Diego Maradona. „Mein Vater ist sehr wichtig für mich und ein Vorbild – als Spieler und Trainer, vor allem aber auch als Mensch. Wie er sich anderen Menschen gegenüber verhält, wie er Dinge angeht und welchen Respekt er seinen Mitmenschen entgegenbringt, hat mich geprägt“, betont Xabi Alonso.

Eine Art Streetworker, der sich um seine Spieler kümmertJupp Heynckes über Xabi Alonso

In einer Dokumentation des Pay-TV-Senders Sky sagt Mikel Etxarri, ein früherer Verantwortlicher im Nachwuchsbereich von Real Sociedad, über den in San Sebastian aufgewachsenen Alonso: „Xabi ist immer Xabi geblieben. Bescheiden. Jemand, der dich aufhält, wenn er dich auf der Straße sieht, um dir eine Umarmung zu schenken und mit dir zu sprechen.“ Auch seine Spieler nimmt der 43-Jährige gerne in den Arm, vor allem die jüngeren. Er weiß mit den Hochtalentierten umzugehen, macht sie besser. Auch das ist eine große Stärke. Für Jupp Heynckes ist Xabi Alonso „eine Art Streetworker, der sich um seine Spieler kümmert. Das heißt, er ist empathisch. Er hat große Kompetenz und psychologisches Einfühlungsvermögen. Er ist kommunikativ, wenn er es sein muss. Er ist aber auch streng, wenn es angebracht ist. Das alles aber, ohne dabei autoritär zu sein. Er erhält den Respekt der Spieler auf eine natürliche Art und Weise.“

Xabi Alonso

Der Meistermacher

Die Fans der Werkself begegnen ihrem „König Xabi I.“ nicht nur mit Respekt, sondern mit großer Zuneigung. Der Spanier hat ihre Mannschaft auf ein anderes Level gehoben. Hat sie in der historischen Saison 2023/24 zu Höchstleistungen, unzähligen Rekorden und zwei Titeln geführt. Und ins Europa-League-Finale. Allein für die erste Deutsche Meisterschaft in der Klub-Geschichte hätte er ein Denkmal in Leverkusen verdient. Für einen magischen Tag, den 14. April 2024, an dem Bayer 04 mit dem 5:0 gegen Werder Bremen den Titel perfekt gemacht hatte, wurde die Bismarckstraße schon einmal spaßeshalber in Xabi-Alonso-Allee umbenannt. Aber zu viel Bohei um seine Person ist dem Doublesieger sowieso nicht recht.

In der aktuellen Saison gewann er mit der Werkself gleich zu Beginn den Supercup. Die Titelverteidigung in Meisterschaft und DFB-Pokal ist zwar nicht gelungen, dennoch spielte Bayer 04 in der Bundesliga als Vizemeister die zweitbeste Saison der Klub-Geschichte. In seinen zweieinhalb Jahren hat sich Xabi Alonso in Leverkusen unsterblich gemacht. Und deshalb:

Muchas gracias por todo, Xabi! Und viel Erfolg auf deinem weiteren Weg! Wir sehen uns.

Xabi Alonso