Moussa Diaby: Wie ein Blitz mit Anlauf

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Es hat ein bisschen gedauert, bis Moussa Diaby bei Bayer 04 durchgestartet ist. In den ersten Monaten nach seinem Wechsel im vergangenen Sommer von Paris St. Germain musste sich der 20-jährige Franzose, der vor einer Woche erstmals Vater geworden ist, zunächst gedulden und in der neuen Umgebung ankommen – sportlich wie sprachlich. Mittlerweile aber ist der Flügelspieler mit dem eingebauten Turbo eine echte Waffe im Offensivspiel der Werkself.

Als es dann endlich so weit war mit der ersehnten Premiere, brauchte es gerade mal eine halbe Minute. 30 Sekunden ab Anpfiff, die Lust machten und das Publikum sofort elektrisierten. Moussa Diaby wurde auf dem linken Flügel angespielt und sah sich zwei Gegnern ausgesetzt, er deutete einen Zug in die Mitte an, spielte den Ball mit links vor, zog ihn mit der Sohle zurück, um ihn sich dann mit rechts selbst vorzulegen – die Linie entlang. Die beiden eingedrehten Freiburger Jonathan Schmid und Brandon Borrello hatten Mühe, den Stand zu halten und konnten dem im Vollspeed Richtung Grundlinie stürmenden Diaby nur noch ungläubig nachblicken.

Die pfiffig-unorthodoxe Aktion des forschen Novizen erwirkte zwar keinen Treffer, doch nach Abpfiff der Partie des zwölften Spieltags am 23. November gegen den SC Freiburg war Moussa Diaby in der Bundesliga angekommen. Die Fans auf den Rängen raunten, wenn der 20-jährige Franzose zu rasanter Beschleunigung ansetzte, sie tobten vor Begeisterung, als ihm mit einem platzierten Linksschuss aus 20 Metern ins Eck der Ausgleichstreffer zum 1:1 gelungen war, und sie stöhnten vor Entsetzen, als er in der zweiten Halbzeit den Torwart schon umspielt hatte und den Ball nur noch ins verlassene Tor hätte schieben müssen, auf seifigem Untergrund aber den Halt verlor, ausrutschte und den Siegtreffer im Fallen verpasste.

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Da kam Freude auf: Moussa Diaby bejubelt sein erstes Bundesliga-Tor gegen Freiburg.

Dieses spektakuläre Malheur änderte indes nichts daran, dass Moussa Diaby nach seinem bemerkenswerten Debüt als Startelfspieler in aller Munde war. Gegner wie Kollegen äußerten sich voll des Lobes. „Ich habe es schon befürchtet, dass er gegen uns spielt, er ist mir bereits in der Woche zuvor nach seiner Hereinnahme in Wolfsburg positiv aufgefallen“, sagte Freiburgs Trainer Christian Streich, und sein Mittelstürmer Nils Petersen gab schwer beeindruckt zu Protokoll: „Er war unglaublich gefährlich und kaum zu stoppen, er hat uns immer wieder vor Probleme gestellt.“ Die Medien fragten sich erstaunt, warum Peter Bosz diesen jungen Blitz denn nicht schon früher mal von Beginn an gebracht und ihm in den ersten drei Monaten eher in homöopathischen Dosen Einsatzzeit eingeräumt hat. Der Werkself-Trainer indes hatte gute Gründe dafür: „Wir mussten warten, bis sein Tag gekommen ist. Er ist 20 Jahre alt, spricht kein Deutsch und kein Englisch. Da braucht die Eingewöhnung Zeit, und es macht keinen Sinn, so einen Jungen zu früh von Anfang an zu bringen. Dann spielt er schlecht, und das Selbstvertrauen ist weg.“

Bis zur rauschenden Premiere gegen Freiburg hatte Moussa Diaby zwar in allen 17 Pflichtspielen im Kader gestanden, aber nur fünfmal auf dem Platz gestanden. Nicht gerade viel für einen, der im Sommer von Paris St. Germain losgeeist wurde und in die Bundesliga gezogen war, um dort deutlich mehr Gelegenheit zur Praxis zu finden als noch beim Starensemble von Trainer Thomas Tuchel, für das er wettbewerbsübergreifend in der vergangenen Saison immerhin zu 34 Einsätzen mit vier Toren und sieben Vorlagen gekommen war.

Die ersten Monate waren nicht einfach. Ich hatte zwar ein paar Probleme im Training, aber ich war doch überrascht, nur so wenige Einsätze zu haben

Dass ihn der behutsame Aufbau durch seinen neuen Trainer ein wenig irritiert hat, räumt Moussa Diaby freimütig ein. „Die ersten Monate waren nicht einfach. Ich hatte zwar ein paar Probleme im Training, aber ich war doch überrascht, nur so wenige Einsätze zu haben. Aber der Coach hat mir gesagt, dass ich mich in zwei, drei Punkten im Training noch verbessern muss. Ich bin konzentriert geblieben, habe hart an allem gearbeitet und meine Chance dann genutzt. Jetzt bin ich sehr zufrieden“, sagt der Flügelspieler mit malischen Wurzeln.

Diaby spricht leise und wirkt sehr sanft, beinahe scheu in seinem Wesen, das genaue Gegenstück zu seinem explosiven Verhalten auf dem Platz, wo er eine Urgewalt in Sachen Tempo entwickelt. Bei einem seiner raketenähnlichen Sprints im Heimspiel im Januar gegen Fortuna Düsseldorf in der ersten Hälfte wurde er von den Statistikern mit 35,95 Kilometern „geblitzt“, noch flotter war bislang in der Bundesliga nur Dortmunds Achraf Hakimi unterwegs (36,52 km). „Mit seiner Schnelligkeit kann Moussa ein ganz, ganz großer Faktor für unser Angriffsspiel sein“, sagt Bayer 04-Torhüter Lukas Hradecky, und Kerem Demirbay betont: „Er ist nicht nur ein sehr schneller, sondern auch sehr cleverer Spieler, wie man ihn nicht so oft hat in der Bundesliga.“

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Die Kommunikation zwischen Diaby und den Teamkollegen ist derweil noch ein wenig tricky, weil nur Trainer Peter Bosz, Jonathan Tah und Neuzugang Edmond Tapsoba des Französischen mächtig sind. „Es ist schon schwierig, wenn du mit deinen Mitspielern nicht reden kannst. Neuer Klub, neue Sprache, neue Stadt – das ist nicht leicht. Und jeder weiß, wie schwer es ist, diese Sprache zu erlernen“, sagt Moussa. Beim regelmäßigen Deutsch-Unterricht bei Bayer 04 standen für ihn zunächst die Basisworte im Fußball auf dem Lernplan, „damit ich unseren Coach leichter und besser verstehen kann. Jetzt gehen wir langsam dazu über, Deutsch zu üben, das ich im Alltag brauche.“ Und wenn Not an Worten und Verständigung herrscht, kommt im Kabinenkreis eben auch schon mal eine Übersetzungs-App auf dem Handy zum Einsatz. „Manchmal muss man sich ja mitteilen, und dann benutzen wir eben diesen Weg. Jona ist ja auch nicht immer da und kann übersetzen“, sagt Moussa und schmunzelt.

Der Weg des in Paris geborenen und im 19. Arrondissement im Nordosten der Stadt aufgewachsenen Diaby in den Profifußball ist zunächst einer wie in vielen anderen Jungenträumen auch: Früh mit den Kumpels in den Parks und auf den Spielplätzen gekickt, Lionel Messi ist sein Idol, der ältere Bruder meldet den kleinen Moussa beim Verein um die Ecke an, Esperance Paris, wo er sechs, sieben Jahre lang spielt. Dann nimmt seine Entwicklung plötzlich Fahrt auf. Ein Vertreter von PSG offeriert ihm 2013 eine Art Praktikum im Verein, aus dem wenig später ein Vertrag über fünf Jahre resultiert – zwei davon in der sogenannten Vorschulung, drei im richtigen Ausbildungszentrum. Der junge Moussa, gerade 14 damals, lernt schnell, „mich gegen Jungs zu beweisen, die alle ein brutal hohes Niveau hatten“. Da, wo er trainiert, geht er auch zur Schule, Unterricht und Fußball wechseln sich stets am selben Ort ab. Familie und Freunde bekommt er manchmal zwei Wochen lang nicht zu sehen.

Im November 2017 dann der Quantensprung, Diaby unterschreibt bei PSG den ersten Profivertrag seiner Karriere. Um Spielpraxis zu sammeln, wird das hoffnungsvolle Offensivtalent im Januar 2018 für ein halbes Jahr nach Italien in die Serie A zum SC Crotone ausgeliehen, einem malerisch gelegenen Ort in Kalabrien am Ionischen Meer nahe des Golfs von Tarent. Sportlich wird daraus keine Erfolgsstory: Der Trainer setzt im Kampf um den Klassenerhalt auf ältere und erfahrene Spieler, Diaby kommt nur zweimal zum Einsatz, einmal davon in der Startelf beim 1:1 gegen Juventus Turin, der Klub steigt am Saisonende ab.

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Der Coach als Förderer: Moussa hält große Stücke auf Thomas Tuchel.

Nach der Rückkehr im Sommer nach Paris wurde Diaby nach guten Leistungen in den Vorbereitungsspielen von Thomas Tuchel in die erste Mannschaft befördert. „Moussa ist sehr schnell, lernfähig und kann sich durchsetzen“, hatte der deutsche Coach seinerzeit befunden. Das hinterlegte der 1,70 m große Sprinter auch bei der U19-EM 2018, wo er sich mit starken Leistungen, einem Tor und drei Assists für Frankreich in das „Team des Turniers“ spielte. Unter Tuchel nahm Diaby mehrere Entwicklungsschritte auf einmal, entsprechend fällt dessen Wertschätzung für seinen Förderer in Frankreich aus. „Tuchel hat an mich geglaubt und mir die Chance gegeben, von Anfang an. Er ist davon überzeugt, dass man die Spiele am Wochenende nur gewinnt, wenn man die Gier und Lust auch täglich in den Einheiten aufbringt. Von ihm habe ich viel gelernt, und er hat mir auch erzählt, dass Leverkusen ein sehr guter Klub für mich sei“, sagte Diaby nach seinem Wechsel zu Bayer 04 im vergangenen Sommer im Interview mit spox.com.

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An der Seite der Topstars: Diaby bei PSG mit Neymar, Cavani und Julian Draxler (von rechts nach links).

Der ihn protegierende Trainer bei PSG war das eine, die großartigen Mitspieler das andere. Wer im tagtäglichen Übungsprogramm von Ausnahmekönnern wie Neymar, Kylian Mbappé, Edinson Cavani oder Angel di Maria begleitet wird, bekommt schon mal gratis was mit für den weiteren sportlichen Lebensweg. „Von denen lernst du eine Menge, vor allem habe ich als junger Spieler eine Menge Ratschläge erhalten und aufgenommen. Bei Mbappé hat mir immer imponiert, wie ausgeprägt seine Siegermentalität ist. Er ist ständig heiß auf Tore und zählt sogar die, die er im Training schießt. Und Neymar hab‘ ich als ganz normalen Kerl ohne jegliche Allüren kennengelernt“, sagt Moussa.

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Den ersten Ballkontakt muss ich noch besser hinkriegen

Von den Weihen solcher Superstars ist er noch ein Stückchen entfernt, aber die Équipe Tricolore hat er als bislang sechsmaliger U21-Nationalspieler natürlich im Blick. „So weit bin ich noch nicht, aber sicher ist das mein Ziel. Auch deshalb hoffe ich, mich hier bei Bayer 04 in den Fokus spielen zu können“, sagt Diaby. Dass er in einigen Bereichen noch Steigerungspotenzial in seinem Spiel hat, ist ihm dabei bestens bewusst: „In manchen Punkten habe ich mich schon verbessert, etwa in Bezug auf Technik und Spielintelligenz. Was ich auch noch besser hinkriegen muss, ist mein erster Ballkontakt. Der muss sehr sauber sein, damit die Kette an Bewegungen danach gut weiterläuft.“

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Diabys eingefärbter Blitz in den kurzrasierten dunklen Haaren erstrahlt aktuell golden. Sonst wahlweise gern auch mal silbern oder pink. „Das entscheide ich aus dem Bauch raus. Wozu ich gerade Lust habe“, sagt er und wählt auf die Frage nach dem Unterschied zum Leben zwischen Deutschland und Frankreich diese Antwort: „Wenn ich in Düsseldorf über die Straße gehe, werde ich nicht ständig erkannt und angesprochen. Die Leute sind cool. Wenn ich in Paris an einem normalen Tag unterwegs war, hat alle paar Minuten jemand angehalten, um ein Foto zu machen. Aber ehrlich gesagt, hat das auch Spaß gemacht.“

Nicht auszuschließen, dass ihm diese Art der Begegnungen bald auch hierzulande häufiger bevorsteht. „Voila! Ja, das kann schon passieren“, sagt Moussa. „Eines Tages.“