Vor genau zehn Jahren erzielte Manuel Friedrich gegen Schalke 04 das wahrscheinlich spektakulärste Tor seiner Karriere. Im Kasten von Königsblau stand damals kein Geringerer als Manuel Neuer. Friedrichs „krummes Ding“ von ganz weit rechts außen wurde länger und länger und schlug hinter Neuer im Netz ein. Der entscheidende Treffer zum 1:0-Sieg am 23. Februar 2008 wurde später zum Tor des Monats gewählt. Lang, lang ist’s her. Manuel Friedrich hat seine Fußballschuhe längst an den Nagel gehängt. Aber mit Bällen arbeitet der 38-Jährige immer noch.
Manuel Friedrich ist ein herrlich analoger Mensch. In gewisser Weise. Nicht, dass die digitalen Errungenschaften der vergangenen Jahre spurlos an ihm vorübergezogen wären, nein. Aber er macht offenbar ganz bewusst nur sehr sparsamen Gebrauch von ihnen. Wer sich mit ihm verabreden will, muss Geduld mitbringen. Der 38-Jährige, der sechs Jahre lang für Bayer 04 die Fußballschuhe geschnürt hat, schaut eben nicht ständig auf sein Smartphone.
Wenn man sich mit ihm trifft, zeigen sich schnell die angenehmen Seiten einer solchen Haltung: Das Handy, wenn er denn überhaupt eines dabei hat, bleibt in der Tasche. Und dann fängt er an, zu erzählen: von seiner Ausbildung zum Golflehrer beim GC Hubbelrath, die er gerade begonnen hat, von seiner Zeit bei Mumbai City FC, Begegnungen mit Straßenkindern und abenteuerlichen Busfahrten in Kathmandu. Friedrich lacht, witzelt, schwärmt und strahlt eine fast kindliche Neugierde aufs Leben aus, dass es eine Freude ist. Man spürt: Der Mann ist absolut mit sich im Reinen, völlig entspannt und trotzdem extrem tatendurstig. Herzlich Willkommen in der Welt des Manuel Friedrich!
Das Clubhaus liegt an der höchsten Stelle des Düsseldorfer Stadtgebietes, 160 Meter über dem Meeresspiegel. Im gediegen-stilvollen, gar nicht so super-feinen Golf-Restaurant hat man einen schönen Blick auf die Anlage, die Düsseldorfer Skyline und das Bergische Land. Auf der großen Tafel gleich am Eingang, auf der all die Klub-Sieger im Senioren- und Juniorenbereich aufgelistet sind, finden sich illustre Namen wie Martin Kaymer und Maximilian Kieffer, zwei der erfolgreichsten deutschen Profigolfer. Der Golfclub Hubbelrath ist zweifellos eine der besten Adressen im nationalen Golfsport.
Seit dem 1. Februar 2017 macht Manuel Friedrich hier seine Ausbildung zum Golflehrer - oder genauer gesagt zum ”Fully qualified teaching professional“ der „Professional Golfers Association of Germany“ (PGA). Friedrich lacht. „Ja, das hört sich ein bisschen umständlich an, aber was will man machen, so heißt das eben.“
Er ist also dem gepflegten Grün treu geblieben. Wie so viele Fußballer hat er schon während seiner aktiven Zeit Gefallen am Golfen gefunden. „Leider habe ich in den ersten zehn Jahren immer nur auf die Murmel draufgehauen. Jetzt muss ich erst mal ’ne Menge an meinem Spiel korrigieren.“ Dass er überhaupt die Möglichkeit hat, sein zweites großes Hobby wieder zum Beruf zu machen, wundert ihn selbst manchmal. Die Aufnahmebedingungen waren schon mal härter. Das Alter spielt ohnehin keine Rolle, das Handicap sollte nicht schlechter als 12,4 betragen. Friedrichs liegt bei 10,8. Knapp geschafft also.
Er weiß, dass er noch viel zu lernen hat, wenn er andere etwas lehren will. Roland Becker, sein Ausbilder in Hubbelrath, habe ihm gesagt, er sei golferisch vermutlich der schlechteste Auszubildende, den der Klub je hatte. Friedrich legt ein breites Grinsen auf: „Da habe ich ihm geantwortet: ‚Dann hast du endlich mal was zu tun‘.“ Immerhin: Becker sah das Potenzial, und nun darf Friedrich lernen, wie man mit dem kleinen Ball richtig umgeht.
Das mit dem großen Ball hatte er ja auf höchstem Niveau beherrscht. Sechs Jahre stand der gebürtige Bad Kreuznacher bei Bayer 04 unter Vertrag, 2007 war er vom 1. FSV Mainz 05 an die Dhünn gewechselt und absolvierte bis 2013 als Innenverteidiger 188 Pflichtspiele für die Werkself, verrichtete hier zuverlässig, grundsolide und torgefährlich seinen Dienst. Besonders gerne erinnert er sich natürlich an sein ”Tor des Monats“ gegen Manuel Neuer, der damals, im Februar 2008, noch Schalker war. Aus eigentlich unmöglicher Situation hatte Friedrich aus 25 Metern von der rechten Außenseite abgezogen, die Bogenlampe senkte sich hinter Neuer unhaltbar in den linken Winkel. Ob verunglückte Flanke oder gewollter Torschuss, wen interessierte das schon. „Das Ding war drin und gut“, schmunzelt Friedrich.
Hier noch mal sein Tor des Monats zum Genießen:
Nicht ganz so spektakulär, aber von großer Bedeutung war sein Kopfballtreffer gegen den FC Chelsea in der Champions League. In der letzten Minute der Nachspielzeit hatte Friedrich eine Ecke von Gonzalo Castro zum 2:1-Siegtreffer per Kopf in die Maschen gewuchtet. Damit war das Spiel gedreht und der vorzeitige Einzug ins Achtelfinale perfekt. „Ja, das sind sicher zwei Highlights meiner wunderschönen Zeit in Leverkusen“, sagt Friedrich, der auch außerhalb des Platzes wichtig für die Chemie innerhalb der Mannschaft war. Mit ihm konnte man Spaß haben, der Mann war für fast jeden Schabernack zu haben - auch für herrlich abgedrehte Interviews auf der Rheinfähre zwischen Leverkusen-Hitdorf und Köln-Langel…
Als seine Zeit in Leverkusen im Sommer 2013 auslief - Friedrich war jetzt 33 -, sollte gleich im Anschluss eigentlich das nächste Kapitel beginnen. Er wollte, wie so viele Profis im Herbst ihrer Karriere, ins Ausland wechseln. Allerdings nicht, um finanziell noch einmal hübsch was auf die Seite zu legen. Ihm ging’s vor allem um die Befriedigung seiner Neugierde. Um Abenteuer. Um Kultur - je fremder und exotischer, desto besser. „Ich hatte Lust darauf, in ein Land zu gehen, in dem ich mich total umstellen muss, in dem mich keiner versteht, wo ich erst mal mit Händen und Füßen kommunizieren und dann eine neue Sprache lernen muss.“ Irgendwas in Asien sollte es werden. Der Kontinent hatte es ihm schon bei früheren Urlaubsreisen angetan.
Die Umsetzung des großen Traums sollte allerdings komplizierter werden als gedacht. Friedrich flog ein paar Mal nach Bangkok, machte Probetrainings bei zwei, drei verschiedenen thailändischen Klubs. Im November 2013 reiste er nach Kuala Lumpur, absolvierte in Kuching, der Hauptstadt von Sarawaka auf Borneo, ebenfalls ein paar Übungseinheiten. Der Trainer dort war ein Holländer. „Der sagte zu mir: ,Du bist ja überhaupt nicht fit!‘ Ich antwortete: ‚Ja, das weiß ich, das sagte ich ja vorher. Ich habe seit vier Monaten kein Mannschaftstraining gemacht, wie soll ich da fit sein? Deshalb bin ich hier, um die komplette Vorbereitung bei euch zu absolvieren, dann kann ich im Januar zur neuen Saison voll einsteigen.‘“ Den Vertrag legten sie ihm dann zwar zur Unterschrift vor, aber Friedrich fühlte sich angesichts der Trainer-Bedenken gar nicht gut dabei. Und flog zurück nach Deutschland.
Über seinen alten Kumpel Benjamin Weigelt hatte er Kontakt zu Rot-Weiß Oberhausen aufgenommen, um sich fit halten zu können. Er trainierte gerade eine Woche dort, als Jürgen Klopp anrief, sein alter Freund aus gemeinsamen Mainzer Tagen. Die beiden hatten noch zusammen für den FSV gespielt. Klopp klang am Telefon fast vorwurfsvoll: „Sag mal, gibt’s dich auch noch!? Wo steckst du überhaupt?“ Friedrich musste grinsen. „Na, in Oberhausen, ich halte mich fit, weil ich im nächsten Jahr nach Malaysia will.“
Jetzt musste Klopp lachen. Er sagte: „Ey, du hast doch echt einen Vogel, komm einfach nach Dortmund und trainiere bei uns mit.“ Friedrich staunte und verstand die Welt nicht mehr. „Wieso, was ist denn los bei euch?“ Natürlich war er über den aktuellen Stand der Dinge nicht im mindesten informiert. Er las ja den Sportteil einer Zeitung nicht, er sah auch keine Sportschau geschweige denn Sky. All das Drumherum hatte Friedrich noch nie interessiert. Also wusste er auch nicht, dass beim BVB Innenverteidiger Neven Subotic längerfristig ausfallen würde. Klopp schilderte ihm die Lage, wenig später machte Friedrich die erste Trainingseinheit in Dortmund, dann wurde noch ein Testspiel extra für ihn organisiert. Friedrich bekam in dieser Partie einen Schlag aufs Wadenbeinköpfchen, musste zur Halbzeit raus. Klopp war trotzdem zufrieden. „Also unterschrieb ich einen Vertrag bis zum Saisonende.“ Dortmund wurde für Friedrich zum unplanmäßigen Zwischenstopp.
Kurz darauf verletzte sich auch Mats Hummels. Der BVB stand quasi ohne Innenverteidiger da. „Kloppo sagte: ‚Du musst am Samstag anfangen.‘ Ich fragte: ‚Gegen wen spielen wir denn?‘ Er: ‚Gegen die Bayern.‘“
Die Partie missriet den Dortmundern gehörig, sie verloren mit 0:3, viele klopften dem Neuzugang Friedrich trotzdem auf die Schultern. Das sei doch für den Anfang echt gut gewesen. „Ich selber war mega unzufrieden mit mir, weil es mir für Kloppo leid tat, der so viel Vertrauen in mich gesetzt hatte.“ Immerhin, im zweiten Spiel fuhr der BVB mit Friedrich einen 3:1-Sieg - ausgerechnet in Mainz - ein. Dann folgte der Heimauftritt gegen Bayer 04, beim dem ihm ein ziemlich blöder Fehlpass unterlief, der zum Siegtreffer der Werkself durch Heung-Min Son führte. „Ich war eben immer noch nicht wieder ganz der Alte, hatte erst zwei Wochen trainiert.“
Friedrich spielte die Hinrunde leidlich zu Ende und klotzte im Wintertrainingslager mächtig rein. Danach fühlte er sich fit wie nie - und die Rückrunde sollte in der Tat noch einmal einige Highlights für ihn parat haben. Zum Beispiel in Bremen. Robin Dutt war seinerzeit Trainer dort. „Der hatte seiner Mannschaft offensichtlich gesagt, sie sollen Sokratis zustellen und mich mal ruhig machen lassen. Ich hatte also super viel Platz, wurde überhaupt nicht angegriffen, wenn ich den Ball hatte. Die Bremer hatten wohl darauf spekuliert, dass ich irgendwas Vogelwildes machen würde, wenn ich Sokratis nicht anspielen konnte.“ Mit dieser Einschätzung lagen sie allerdings komplett daneben. Friedrich gelang alles, jeder Pass fand einen Abnehmer und dann schoss er zu Beginn der zweiten Halbzeit auch noch höchstpersönlich das 3:0 für Dortmund. „Das fühlte sich so genial an, weil ich dem BVB mit dieser Leistung endlich mal etwas zurückgeben konnte“, sagt Friedrich. Am Ende gewannen die Borussen mit 5:1 in Bremen. Und auch wenn er in den folgenden Wochen nicht immer zum Einsatz kam, ein richtig großes Duell wartete noch auf ihn: das Champions-League-Rückspiel in Dortmund gegen Real Madrid. Das Hinspiel hatte Real 3:0 gewonnen. Die Sache schien durch. „Aber dann wuchsen wir noch mal über uns hinaus und hätten das Ergebnis am Ende fast noch egalisiert. Aber leider haben wir unsere zahlreichen Chancen nicht alle genutzt, so dass wir uns am Ende mit dem 2:0 begnügen mussten.“
Wenige Tage nach diesem Spiel meldete sich plötzlich der FC Hanoi bei Friedrich. Vietnam? Cool, dachte er. Das war genau sein Ding. Kein normaler Mensch, der gerade noch ein Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid gespielt hatte, käme wohl auf die Idee, kurz darauf in der vietnamesischen Liga abzutauchen. Friedrich schon. Zumal er Hanoi noch von einem Urlaub her kannte. Das Problem war nur: Sein Vertrag in Dortmund lief noch bis zum 30. Juni, der FC Hanoi wollte ihn aber schon zum 1. Mai verpflichten. „Ich machte also alle Pferde scheu, bat die Verantwortlichen beim BVB, mich früher ziehen zu lassen.“ Und das wenige Wochen vor dem DFB-Pokalfinale gegen Bayern München. Dortmund kam seinem Drängen trotzdem ohne zu murren nach, auch wenn sie ihn gerne noch ein weiteres Jahr behalten hätten. „Dann unterschreibe ich also diesen Vertrag, schicke ihn nach Hanoi - und die sagen auf einmal, nee, machen wir doch nicht. Ich dachte, ich wäre bei der Versteckten Kamera. Unfassbar!“ Friedrich kriegt heute noch einen dicken Hals, wenn er daran denkt. Als Klopp davon hörte, habe er sich totgelacht, erzählt er.
So langsam entwickelte sich das herbeigesehnte Abenteuer Asien zum Albtraum. Friedrich gab dennoch nicht auf, flog noch einmal nach Bangkok, führte noch einmal Verhandlungen im Stadion von Muangthong United, einem der führenden Klubs der thailändischen Liga. Und bekam dort erneut ein Schriftstück vorgelegt, das ihm wieder nur ein Kopfschütteln entlockte. Der Vertrag wäre nur dann rechtskräftig geworden, wenn Muangthong noch einen Spieler XY losgeworden wäre, Friedrich sollte aber trotzdem bis dahin mittrainieren. „Ich fragte: ‚Sagt mal, lesen eure Spieler eigentlich ihre Verträge, bevor sie sie unterschreiben? Ich tue das jedenfalls. Dann stand ich auf und ging. Die wollten mich verarschen.“
Es war zum Mäusemelken. Vielleicht war das mit Asien doch keine so gute Idee. Vielleicht hatte er aber auch einen taktischen Fehler gemacht. Denn er ließ bei den Vorgesprächen durchblicken, dass das Geld für ihn eine untergeordnete Rolle spiele. „Setzt ein Gehalt ein, das fair ist, ich will vor allem Erfahrungen sammeln, hatte ich immer gesagt - kann schon sein, dass da manch ein Verein dachte: ‚Da muss doch ein Haken dran sein.‘“ Welcher ehemals hochbezahlte Profi aus einer der besten Ligen der Welt wechselt schon ins Ausland, um vor allem eine andere Kultur kennenzulernen?
Friedrich blieb also doch bis zum Saisonende bei Borussia Dortmund, kam im Pokalfinale beim 0:2 gegen die Bayern nicht mehr zum Einsatz, hatte sich aber eine Woche zuvor am letzten Bundesligaspieltag mit einem 90-Minuten-Einsatz beim 4:0-Sieg in Berlin erfolgreich verabschiedet und hier sein 258. und letztes Bundesligaspiel absolviert.
Lange warten bis zum nächsten Angebot aus Asien musste er nicht. Ein in Deutschland geborener Inder, der für Mumbai City FC arbeitete, meldete sich und erzählte Friedrich vom Plan, eine eigene indische Liga zu gründen, die Indian Super League (ISL). Das Thema war organisatorisch schon recht weit gediehen. Acht teilnehmende Mannschaften, die alle erst ganz neu gegründet worden waren, sollten in einem zweimonatigen Wettbewerb, der eher einem Turnier denn einem Ligabetrieb glich, den Meister ausspielen. Friedrich war, trotz aller bisherigen negativen Erfahrungen, gleich Feuer und Flamme. Warum also nicht Indien?! Mumbai kannte er zudem auch schon von einer Urlaubsreise.
Und diesmal klappte es tatsächlich. Keine bloßen Absichtserklärungen von Vereinsseite, keine Hinhalte-Taktiken, kein falsches Spiel. Alles hatte Hand und Fuß, der Vertrag war wasserdicht und auf eine Saison befristet. Inhaber von Mumbai City FC war der Bollywoodstar Ranbir Kapoor, „eine Art indischer Brad Pitt“, sagt Friedrich. Als der Klubchef zum ersten Mal mit seiner Familie aufs Trainingsgelände kam, standen alle Spieler auf und verneigten sich. Gut, die Strukturen und Verhältnisse waren also geklärt. Was die rein fußballerische Ausrüstung betraf, galt es hingegen noch einige Fragen zu beantworten. Trainingsklamotten? Fehlanzeige! Wer kümmerte sich um die Fußballschuhe? Hmhh…
„Bei der irren Luftfeuchtigkeit trockneten die Fußballschuhe natürlich nur langsam, wer kein zweites Paar hatte, musste seine Schuhe für die nächste Trainingseinheit eben im Hotelzimmer mit dem Föhn trocknen.“ Andere Länder, andere Sitten. In Indien war ohnehin alles anders. Friedrich musste laut Vertrag im Hotel leben. Für den zehn Kilometer langen Weg zum Trainingsgelände brauchte der Mannschaftsbus je nach Verkehrslage schon mal anderthalb Stunden. „Dieses Chaos aus Autos, Mopeds, Rikschas und Kühen, dieses Gehupe und Gewusel Tag und Nacht - das war schon eine völlig andere Welt.“ Aber auf genau die hatte er sich ohne Wenn und Aber eingelassen.
Sportlich lief es in Indien allerdings nicht so gut. Obwohl in seiner Mannschaft noch Stars wie der Schwede Freddie Ljungberg (ehemals FC Arsenal) und der Franzose Nicolas Anelka (u.a. FC Chelsea, Manchester City) kickten, kam Mumbai City FC, trainiert vom Briten Peter Reid, nicht in Schwung und landete am Ende der Spielperiode auf dem vorletzten Platz. Friedrich hatte sich reingehängt und alle 14 Saisonspiele über die volle Distanz bestritten, oft als Kapitän der Truppe. Ljungberg und Anelka, der eine Saison darauf sogar den Spielertrainer-Job übernahm, waren seltener dabei. „Freddie war auch schon 38, den zwickte es hier und da“, sagt Friedrich.
Er selbst und seine Frau Gina, die ihn für das halbe Jahr nach Mumbai begleitet hatte, stürzten sich abseits des Fußballs mit viel Empathie in ein Land, das so voller krasser Gegensätze war. Sie nahmen Unterricht in Hindi, reisten in die entlegensten Ecken, nutzten jede Minute ihrer gemeinsamen Freizeit, um Stadt und Menschen kennenzulernen. Das hatten sie schon immer so gemacht bei ihren vielen Reisen in den vergangenen Jahren. Auch 2009 bei einem Trip durch das Mekong-Delta in Vietnam. Als sie dort an einer Waldhütte vorbeikamen, wurden sie herzlich zum Tee eingeladen, hatten mit den Kindern „Tierstimmen erraten“ gespielt und mit ihnen gesungen. „Wir verbrachten nur Zeit mit ihnen und zauberten damit ein Lächeln auf so viele Gesichter“, erinnert sich Friedrich an den Moment, in dem eine Idee geboren worden war. Gina und Manuel gründeten mit ein paar Freunden einen Verein und nannten ihn „Bringing smiles“. Bei all ihren weiteren Reisen wollten sie sich zukünftig immer auch für die Kinder und Benachteiligten engagieren. In Indien hatten sie dazu reichlich Gelegenheit.
In Mumbai lernten die Friedrichs die Organisation „Anstrengung United“ kennen, die Straßenkindern auf der Straße Unterricht gibt. Gina und Manuel nahmen oft daran teil, setzten sich zu den Kindern auf den Bürgersteig, malten und lernten mit ihnen. „Die Kinder fragten uns: ‚Bringt ihr uns auch noch nach Hause?‘ ‚Klar‘, sagten wir, und nahmen sie an unsere Hände. Als wir eine Weile gegangen waren, sagte ein Geschwisterpärchen: ‚So, da sind wir.‘ Wir standen immer noch mitten auf einem Bürgersteig, rechts und links tobte der Verkehr. An einer Bushaltestelle saß die Mutter auf einem Stück Pappe. Das hier war ihr Zuhause. Wir mussten mit unseren Tränen kämpfen.“
Mit ihrem eigenen Verein „Bringing Smiles“ wollen Gina und Manuel nicht die Welt retten. Sie sammeln keine Spenden für Brunnen, Schulen oder Krankenhäuser. Was sie an materiellen Dingen mitbringen, sind Kleinigkeiten: Lebensmittelpakete, Süßigkeiten, Barbiepuppen. Die Friedrichs haben einen anderen Ansatz: „Es geht nicht ums Geld. Wir wollen den Kindern vor allem Zeit und ehrlich gemeinte Aufmerksamkeit schenken“, sagt Friedrich. Warum er das alles mit so viel persönlichem Einsatz macht? Die Antwort kommt ohne Zögern: „Ich hatte so viel Glück in meinem Leben. Für mich ist es wichtig, etwas zurückzugeben.“
Wenn er nicht trainierte oder Ligaspiele absolvierte, waren er und Gina deshalb oft unterwegs auf den Straßen Mumbais oder in den umliegenden Stadtteilen und Dörfern.
So organisierten sie noch vor dem Beginn der Saison ein Fußballspiel in einem Kinderheim. Vier Mannschaftskollegen von Mumbai City FC waren spontan mitgekommen, um mit 36 Kids auf einem vom Monsunregen völlig vermatschten Platz zu kicken. „Wir hatten einen Heidenspaß!“
Friedrich hatte als erster Spieler in Mumbai unterschrieben und er war einer der letzten, der nach der Meisterschaftsrunde wieder ging. Ein knappes halbes Jahr hatte das Abenteuer Indien gedauert. Unmittelbar danach versuchte er es noch einmal mit einem Engagement in Thailand und Japan. Hat nicht funktioniert. „Dann soll es das mit dem Fußball gewesen sein, sagte ich mir. Es war endgültig Schicht im Schacht. Ich wollte mich ja nirgendwo anbiedern.“ Was nun? Gut, da gab’s ja noch den anderen Traum, von dem er schon in seiner aktiven Zeit in Leverkusen geschwärmt hatte: eine Weltreise. Zeitlich passte es gerade gut, seine Frau Gina stand ohnehin vor einer beruflichen Veränderung, und so ging‘s im Februar 2015 los. Zehn Monate flog das Ehepaar mit einem Around-the-world-ticket einmal kreuz und quer über den Erdball. Sie starteten in Kathmandu, zogen mit Rucksäcken durch die faszinierende nepalesische Bergwelt und knatterten dort in einem Bus beängstigend knapp an Abgründen vorbei. „Eine Woche nach unserer Fahrt ist da mal wieder ein Bus in die Tiefe gestürzt“, sagt Friedrich und schüttelt den Kopf: „Wir sind da ganz schön naiv eingestiegen.“
Die nächsten Stationen waren Bangkok, Kambodscha, Tokio und Singapur. Anschließend erkundeten sie mit dem Wohnmobil Australien und Neuseeland, legten einen kurzen Zwischenstopp in der Südsee auf Rarotonga und Aitutaki ein. Von dort weiter nach Kanada und Alaska, dann in die USA, nach Buenos Aires und Patagonien, schließlich in die Karibik, noch mal in die USA und von dort wieder zurück nach Hause. Was für eine Tour!
„Diese Reise hat uns beide verändert. Es gibt so wahnsinnig schöne Flecken auf diesem Planeten, und wir Menschen machen uns immer nur Stress“, sagt Friedrich, der sehr wohl weiß, dass er zu den privilegierten Menschen gehört, die sich solche Erlebnisse zeitlich und finanziell leisten können.
„In Neuseeland gibt es diesen berühmten Lake Tekapo, dessen Umgebung fast gar nicht besiedelt ist, so dass dort ein Nachthimmel ohne Einflüsse künstlicher Beleuchtung zu bewundern ist. Da sah ich zum ersten Mal einen überwältigend klaren Sternenhimmel und war hin und weg. Ich war eigentlich immer eher der Stadttyp, aber diese Reise hat mich zu einem absoluten Naturliebhaber werden lassen. Ganz oft saßen wir abends in unserem Camp am Lagerfeuer und hörten einfach nur dem Knistern zu. Da brauchst du kein Buch und kein Handy.“
Manuel Friedrich ist ein guter Erzähler. Man hört ihm gerne zu, wenn er von den Iguazu-Wasserfällen schwärmt, von den menschenleeren Weiten Australiens oder von den Bergen Patagoniens. Aber auch, wenn er wieder von den Begegnungen mit den Kindern spricht, im Heim „Casa del Ninos“ in Ranchos, einem 150 Kilometer von Buenos Aires entfernten Dorf. Kinder, die er und Gina bei einem gemeinsamen Spielenachmittag mit Turnmatten und Bällen, Lehrbüchern und Malutensilien ausgestattet haben.
Mit der Reiserei hat es jetzt erst mal wieder ein Ende. Zumindest für die nächsten zwei Jahre bleibt Friedrich mit seiner Frau in der Düsseldorfer Altstadt wohnen. Aber wenn er den Golflehrerschein in der Tasche hat, ist er wieder auf selbständiger Basis unterwegs und kann den Job ausüben, wo er will. „Da bin ich sehr unabhängig. Und das ist genial“, sagt Manuel Friedrich und strahlt wieder wie ein Lausbube. Denn in Asien gibt‘s schließlich auch schöne Golfplätze.