Hausmeister, Platzwart, Zeugwart: Fast 40 Jahre hat Klaus Zöller für Bayer 04 in unterschiedlichen Funktionen gearbeitet. Viele Spieler und Trainer sind ihm ans Herz gewachsen. Jetzt geht das Urgestein in Rente.
Der Raum im Kabinentrakt der Bayer 04-Profis ist klein, zweckmäßig und von Kunstlicht erhellt, Katakombencharme halt. Er ist sein zweites Zuhause, hier hat sich Klaus Zöller tagein, tagaus, wenn zwischen den täglichen Pflichten mal Zeit blieb, mit seinen Kollegen Hansi Blum oder Harald Wohner auf einen kurzen Kaffee in einen der schwarzen Sessel gesetzt. Immer beobachtet von einer Auswahl prominenter Wegbegleiter aus den vergangenen knapp 30 Jahren. Rund 150 dürften da verewigt sein, aufgehängt in Reih' und Glied thronen sie über der Sitzecke und grüßen mit ihren Unterschriften auf den Autogrammkarten – Tita, Schuster, Völler, Schneider, Kirsten, Cha, Jorginho, Paulo Sergio, all die Helden in Schwarz und Rot, denen er das Arbeitszeug bereitet hat. Manch einer hat auch eine persönliche Widmung dazugesetzt. „Für meinen Freund Klaus“ hat Jens Melzig mit dickem schwarzen Filzer geschrieben. Mit „Melle“, dem beinharten sächsischen Innenverteidiger, der Mitte der 90er-Jahre 40 Bundesligaspiele für Bayer 04 bestritt, verbindet Zöller eine Freundschaft: „Ich hab' ihn schon in der Lausitz in der Nähe von Cottbus, wo er lebt, besucht, und wenn er mal hier ist, bringt er mir immer Spreewald-Gurken mit.“
Es ist reichlich was zusammengekommen an Kontakten, Begegnungen und täglichem Austausch mit den Werkself-Profis, seit sich der berufliche Lebensweg von Klaus Zöller durchaus überraschend in die Bismarckstraße verlagert hatte. Anfang 1980 war das – und der Beginn einer Partnerschaft des damals 28-Jährigen mit Bayer 04, die nun ausklingt. Die ersten Jahre als eine Art Hausmeister, danach fast drei Jahrzehnte im Team der Zeugwarte – kurz vor Weihnachten erfolgt jetzt der dienstliche Abpfiff für Klaus Zöller. Und so sehr er seine Arbeit bei Bayer 04 auch geliebt und mit Herzblut erledigt hat, der 65-Jährige freut sich auf seinen künftigen Ruhestand. „Es wird ein schönes Gefühl sein, nicht mehr an Termine gebunden zu sein und sich einfach die Zeit nehmen zu können, wie man es möchte.“ Einem Takt folgen, der nicht mehr von Spielansetzungen, Trainingszeiten und Flugplänen bestimmt ist, sondern viel Raum für Muße und Beschäftigung mit den schönen Dingen des Daseins lässt.
Klaus Zöller wird es gewiss nicht langweilig werden als junggebliebener Rentner. Wer schon vor langem Reisen als liebstes Hobby entdeckt hat, dem können die Ziele nicht ausgehen. Gerade erst ist er von einem fünfwöchigen Trip aus den USA zurück, wo er mit Ehefrau Gisela die komplette Route 66 abgefahren hat, die nächste Tour in die Vereinigten Staaten steht auch schon, die Ostküste runter von New York nach Key West. Gerade gebucht, Ende Mai kommenden Jahres geht’s wieder rüber. „Seit 2005 sind wir regelmäßig in den USA. Erst immer nach Florida, aber das wurde uns irgendwann zu klein“, sagt Zöller. Seitdem ist Kalifornien das Ziel, „seit 2008 sind wir jedes Jahr dahin und haben doch erst 20 Prozent gesehen“. Was ihn am Land der unbegrenzten Möglichkeiten so packt? „Die unheimliche Weite hat mich sofort begeistert, das faszinierende Licht, dort in den Weiten der Natur unterwegs zu sein, ist oft einfach unbegreiflich schön.“
Draußen ist eigentlich immer schön für Klaus Zöller, das hat er all die Zeit auch besonders geliebt an seinem Aufgabengebiet für Bayer 04. „Eine Arbeit an der frischen Luft ist durch nichts zu ersetzen. Da wirst du auch fast nie krank, Erkältungen und solche Geschichten kenn' ich eigentlich gar nicht.“ Dass er mal als leidenschaftlicher Outdoorworker tätig sein würde, hatte für den jungen Klaus – in Schlebusch geboren, aufgewachsen in Wiesdorf und Rheindorf – nicht unbedingt auf der Hand gelegen. Er machte nach der Schule eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Hertie, „mein Vater war Maschinist und meinte, sein Junge solle nicht im Dreck wühlen müssen“. Dumm nur, dass der Junge durchaus gerne mal im Dreck wühlte. Zumindest wenn es was mit Öl, Motoren und Getrieben zu tun hatte. „Autos auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, war genau mein Ding, Schrauben meine Passion.“ Deshalb trat er mit 17 flugs noch eine weitere Lehre als KFZ-Schlosser an und arbeitete danach in einem großen Autohaus in Leverkusen.
Dort war auch Heinz Heitmann Kunde. Dem damaligen Manager von Bayer 04 fiel der tüchtige Mechaniker, der seinen Wagen so zuverlässig wartete und reparierte, schnell auf. „Lass da mal den Zöller ran“, habe Heitmann immer zu seinem Chef gesagt, wenn er sein Auto zum Check gebracht hat, erzählt Klaus mit einem Schmunzeln. Und dann sagte Heitmann noch etwas anderes, ziemlich Unerwartetes zu Zöller: „Hör mal Junge, wir hätten bei Bayer 04 noch eine Stelle als Platzwart zu besetzen. Wär' das nichts für dich?“ „Herr Heitmann, ich weiß, dass der Rasen grün ist, aber sonst habe ich keine Ahnung davon“, antwortete der Angesprochene – und hatte den Job. „Ich war neugierig, und ein bisschen mehr Geld als mit den Autos gab's auch“, sagt Zöller.
Einzige Voraussetzung für den Neuen im Außendienst: „Ich musste in die Dienstwohnung im Stadion ziehen.“ Die war gleich neben dem alten Clubhaus und der Haberland-Halle gelegen, ein Flachbungalow mit rund 80 m² Wohnfläche, der für die nächsten 15 Jahre das Domizil für Klaus und Gisela Zöller sein sollte. „Meiner Frau war's schon ein bisschen mulmig, so ganz alleine da zu wohnen auf dem Gelände, ohne Nachbarn und so.“ Die Nachtruhe der beiden wurde auf jeden Fall ab und an ernsthaften Belastungsproben unterzogen, wenn mal wieder Busse vorfuhren und zu vorgerückter Stunde gut und laut gelaunte Menschen einsammelten, die es bei der abendlichen Kegelfeier zuvor im Bayer 04-Clubhaus ordentlich hatten krachen lassen. Manchmal kletterten sonntags auch schon mal Kinder aufs Dach des Bungalows und tanzten den Zöllers im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Kopf rum. „Die haben immer groß geschaut, wenn ich aus dem Haus kam und sie da verscheucht habe, und sagten, sie hätten ja nicht wissen können, dass da jemand wohnt.“ Schöner Charme der guten, alten Zeit.
Klaus Zöller war in seinem neuen Job so etwas wie ein Mädchen für alles. Er fuchste sich in die Arbeiten des Platzwartes rein, lernte die alten Ascheplätze zur Dhünn hin abzukreiden und beschäftigte sich mit der Rasenpflege. „Damals war das ja alles noch nicht so professionell durchorganisiert, ich hab' mir das alles learning-by-doing-mäßig beigebracht.“ Greenkeeper kannte man zu jener Zeit höchstens auf Golfplätzen. Zöller schloss morgens die Anlage auf und schaltete abends das Flutlicht ab, zwischendurch war er einfach der Mann für alle Fälle, der sämtliche technischen Probleme und Herausforderungen mit handwerklich geschultem Auge und Geschick zu lösen wusste: „Vor allem die Rasenmäher hab' ich mir gern mal vorgenommen.“ Zöller fand Gefallen an seinem vielseitigen Job, der im Winter 1989 unerwartet um eine weitere Aufgabe erweitert wurde. Zeugwart Harald Wohner war kurz vor Abfahrt zum Trainingslager erkrankt, und der neue Bayer 04-Manager Reiner Calmund fragte bei Zöller an, ob er nicht spontan einspringen und das Team von Rinus Michels materialtechnisch begleiten könne: „Hören's Jung, du musst mit der Truppe ins Trainingslager fahren!“
Zöller sagte dienstbeflissen zu und hatte die Sportschule Hennef, Bitburg oder Grünberg als übliches Ziel der Vorbereitungsmaßnahme im Kopf. Dass es nach Guatemala ging, hatte der alte Fuchs Calmund dem guten Klaus mal eben vorsorglich verschwiegen. „Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, aber zum Glück hatte der Harry vorher schon alles gepackt. Im Unterschied zu heute war das ja alles damals auch noch sehr überschaubar, da sind wir mit fünf großen Kisten hingeflogen“, sagt Zöller – und geriet doch nervlich mächtig ins Flattern, als Mijnherr Michels bei der Zwischenlandung in Houston (Texas) plötzlich in den Sinn kam, auf den Hotelfluren ein gymnastisches Lockerungsprogramm durchzuführen und der alternative Zeugwart rasch die richtigen Trainingsklamotten rauszusuchen hatte. Als die Bayer 04-Belegschaft Ende Januar 1989 aus dem zwischen Mexiko, Belize, Honduras und El Salvador gelegenen Staat in Zentralamerika zurückkehrte, hatte Klaus Zöller seine Feuertaufe fernab der Heimat als Betreuer und Zeugwart bestanden – und arbeitete fortan als zweiter Materialmeister neben Harald Wohner. „Ich bin dann einfach dabeigeblieben“, sagt er.
Fast 30 Jahre sind daraus schließlich geworden, einige im Team sind dazugekommen und wieder gegangen, andere wie Harry Wohner seine Kollegen geblieben. 30 Jahre im täglichen Dienst für die Profis, umgeben von Waschmaschinen, Bällen und Beflockungstechnik, von Trikots, Trainingsanzügen, Stutzen, Schuhen oder Schienbeinschonern. Und vor allem: Kisten und Koffern! Ein einziges permanentes Ein-, Um- und Ausräumen, quasi 30 Jahre im Verpackungsdienst, vor jedem Auswärtsspiel, jeder Auslandstour, jedem Trainingslager. Da ist Klaus Zöller mittlerweile Profi, „aber der absolute Könner in diesem Metier ist Hansi Blum, du glaubst gar nicht, was der alles in so'nen Metallkoffer reinkriegt“. Bei den privaten Reisen hat allerdings seine Frau Gisela die Hosen beim Packen an. „Da lässt sie mich nicht ran und verzichtet gern auf meine Dienste.“
30 Jahre jeden Morgen um 7 Uhr Dienstbeginn, 30 Jahre im ständigen Austausch mit vielen Cheftrainern und unzähligen Profis. „Ich hab' die Jungs nie als Fußballstars gesehen und behandelt, sondern immer als Arbeitskollegen“, sagt Zöller. Sachlich, hilfsbereit, loyal und zuverlässig ist er ihnen gegenübergetreten, die vertraulich-beichtväterliche Ansprache war weniger sein Instrument. „Da hat es immer andere für gegeben. Früher wusste ich von einigen Spielern zwar sehr viel, aber unsere heutigen Profis ticken ja auch ganz anders. Für die bin ich eher der alte Mann“, sagt er mit einem Hauch von Koketterie. Eines ist jedenfalls unbestritten: Durch die Arbeit mit Fußballern hat sich Klaus Zöller eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt, Frische und Beweglichkeit auch im Geist. „Die Jungs fordern einen ja auch und sorgen dafür, dass man in vielen Dingen up to date bleibt. Es gibt ja auch manche Menschen in meinem Alter, die gar nicht mehr so richtig wissen, was los ist auf der Welt. Vielleicht liegt's ja auch an meinen Genen, dass ich mich noch recht jung fühle.“ Zöllers Opa immerhin ist 99 geworden...
Mit manchen Weggefährten der Werkself pflegt er auch heute noch Kontakt, ob Jens Melzig oder Ulf Kirsten, Andy Thom („Er ist kürzlich Großvater geworden“) oder dem neuen österreichischen Nationalcoach Franco Foda. Ganz besonders imponiert in all der Zeit hat ihm aber ein Älterer und ganz Großer der Trainerzunft. „Der Jupp Heynckes ist ein außergewöhnlicher Mann mit einer ganz natürlichen Autorität. Er hat es verstanden, immer alle mit ins Boot zu nehmen und jedem das Gefühl zu vermitteln, dass er ein wichtiger Teil des Ganzen ist. Wie er mit Menschen umgegangen ist, war einfach sensationell. Für so jemanden würdest du auch durchs Feuer gehen.“ Seit Heynckes mal die selbstgemachten Plätzchen von Zöllers Frau Gisela gekostet hat und auf den Geschmack gekommen ist, bekommt der jetzige Bayern-Coach jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit eine Kiste Gebäck aus Leverkusen geschickt.
Rund 60 Trainingslager dürften zusammengekommen sein in Zöllers Wirken im Betreuerteam von Bayer 04. Diesen Sommer in Zell am See war er ein letztes Mal mit der Werkself auf Tour, nachdem er die Auswärtsfahrten zu den Spielen schon länger nicht mehr mitmacht. „Da sollen mal ruhig die Jungen ran“, sagt er und denkt dabei an Martin Kowatzki, den er im vergangenen Jahr schon mal eingearbeitet hat, „damit es auch einen fließenden Übergang gibt“. Die Frage nach möglichen Schattenseiten seines Jobs verneint er lachend: „Höchstens, dass ich gerne genauso viel verdient hätte wie die Spieler.“ Die sportlichen Dienstreisen in aller Herren Länder waren ihm stets ein Vergnügen, auch wenn er kaum einmal Zeit hatte, deren touristische Vorzüge auch tatsächlich zu erkunden. Aber da er seit rund 30 Jahren ein passionierter Jogger ist, „dürfte ich mittlerweile durch die meisten Metropolen der Welt gelaufen sein“. Auch heute noch spult er jeden Tag seine zehn Kilometer ab, so viel Sport darf's und muss es dann auch als Rentner in spe noch sein.
Von einem anderen geliebten Hobby hat er sich indes kürzlich verabschiedet. Viele Jahre ist der begeisterte Motorradfahrer mit einer Harley durch Leverkusen und das Bergische Land gecruist – ebenfalls ein Resultat seiner Amerika-Affinität. Auf drei verschiedenen Modellen saß er im Sattel, ehe er sich als alter Auto-Liebhaber nun doch wieder auf vier Räder verständigt hat. Jetzt fährt er seit drei Jahren einen weißen 1965er Mustang, der auf Oldtimer-Treffen oft schmachtenden Blicken des fachkundigen Publikums ausgesetzt ist. Das gute und 200 PS schwere Stück, das er bei Harry Gniech, Mitglied der Bundesliga-Aufstiegself von 1979, in der Garage stehen hat, kam aber bislang eher selten auf hiesigen Straßen zum Einsatz: „Im letzten Jahr waren's nicht mal 200 Kilometer.“ Gut möglich, dass die Tendenz da in nächster Zeit eher steigend ist...
Auch nach seinem Ausstieg wird Klaus Zöller seinem Team, der Werkself, natürlich eng verbunden bleiben – als Fan auf seinem angestammten Tribünenplatz in der BayArena, nachdem er bis vor zwei Jahren bei allen Bayer 04-Spielen noch mit auf der Bank gesessen hat. „Beim Zuschauern werde ich zwar manchmal innerlich ein bisschen unruhig, aber eigentlich bin ich da schon eher der introvertierte Typ“, sagt er. Besonders beeindruckt hat ihn die Stimmung bei den zahlreichen Leverkusener Europapokal-Auftritten in England: „Da ist die Atmosphäre einfach eine andere, das Publikum in Manchester oder Liverpool honoriert es auch, wenn du als Gegner richtig gut spielst, einfach überragend.“
Zöllers Blick fällt noch mal auf die „Ahnenwand“ der Werkself-Historie in seinem kleinen Kabinenraum und die Fotos der Lucios, Emersons und Juans, der Berbatovs, Ballacks und Bulykins, der Friedrichs, Fodas und Francas und wie sie alle heißen. „Das sind meine Schätzchen“, sagt Klaus Zöller mit ruhiger Stimme, „die kommen auch alle mit, wenn ich hier in ein paar Tagen ausziehe.“ Sie werden ihn künftig daheim in Schlebusch an ein bewegtes Berufsleben erinnern, das ihn fast überall hin auf der Welt geführt hat. „Ich glaube, Australien und Neuseeland sind so ziemlich die einzigen Fleckchen, wo wir noch nicht waren.“ Auch mit bald 66 werden ihm die Ziele so schnell nicht ausgehen.