Klaus „Atze" Schulze: Applaus für den Anti­hel­den

crop_Schulze_Tag_der_Aufsteiger-46704-2.jpg

Er stand sportlich gesehen eher in der zweiten Reihe bei den Bayer 04-Aufstiegshelden von 1979. Und doch hatte auch Klaus Schulze seine ganz besonderen Momente in jenem Jahr. Das Wiedersehenstreffen mit den früheren Kollegen am zweiten Mai-Wochenende in der BayArena genoss „Atze“ (oben im Bild 4. von rechts) in vollen Zügen.

Als die Werkself in der Saison 1978/79 überraschend den Aufstieg in die Bundesliga schaffte, gehörte Klaus Schulze lange Zeit nicht zu jenen, denen die Fans damals freudig zugejubelt haben. Nachdem er einmal im Haberland-Stadion für eine Stunde eingewechselt wurde, verlor und verstolperte er nahezu jeden Ball, und von den Rängen schlug dem 24-Jährigen mit dem lichten Haarkranz eine Mischung aus Mitleid und Spott entgegen. Erst einige  Monate später auf der Zielgeraden der Saison, als der Berliner unerwartet in die erste Elf gespült wurde, blühte der vormals Verschmähte im Schatten der Etablierten auf, stand seinen Mann und avancierte sogar zum Publikumsliebling.

Klaus „Atze“ Schulze muss herzhaft lachen, als er beim „Tag der Aufsteiger“ im Rahmen der Feierlichkeiten zu „40 Jahre Bundesliga unterm Bayer-Kreuz“ damit konfrontiert wird. „Ja, ja, ich weiß, die erste Zeit in Leverkusen war echt hart. Für mich sowieso, und für die Fans mit Sicherheit auch“, sagt der 65-Jährige, damals der erste Berliner, der zu Bayer 04 gewechselt war. Viele andere wählten in den Jahren danach denselben Weg: Rüdiger Vollborn, Günter Drews, Thomas „Atze“ Zechel, Christian Hausmann, Marcus Feinbier, Falko Götz, Dirk Schlegel, Andy Thom, Calle Ramelow, Zecke Neuendorf. Von BFC Preußen Berlin war Schulze 1978 an die Dhünn gekommen, nachdem er bis 1975 für Blau-Weiß 90 gespielt hatte – jenem Verein, dem auch Rüdiger Vollborn entstammt. Vollborn als damals achtjähriger Knirps hat Schulze noch in der A-Jugend von Blau-Weiß 90 spielen sehen. Mit Karl-Heinz Hausmann, dem Vater von Bayer 04-UEFA-Cup-Sieger Christian Hausmann, spielte Schulze in Berlin in einem Team. Die Fußball-Welt kann sehr klein sein.

Ein Jahr vor seinem Wechsel nach Leverkusen war ein Umzug ins Rheinland schon einmal konkret gewesen. „Ich hatte 1977 bereits bei Bayer Uerdingen unterschrieben, nachdem der damalige Trainer Klaus Quinkert auf mich aufmerksam geworden war. Aber dann kam der Wechsel doch nicht zustande, weil ich erst mein Lehramtsstudium in Mathe und Sport in Berlin zu Ende bringen wollte.“ Als Schulze den Abschluss in der Tasche hatte, erfolgte der Transfer zum anderen Bayer-Klub. Leverkusen statt Krefeld, 04 statt 05.

Schulze_imago05990725h.jpg
In Aktion: Klaus Schulze im DFB-Pokal-Viertelfinale im Mai 1979 in Düsseldorf (Endstand 1:2) im Duell mit den Fortunen Josef Weikl (rechts) und Gerd Zewe.
Ich glaube, dass ich technisch einer der besten Spieler im Team war

Atze Schulze, mit 24 schon in einem recht fortgeschrittenen Alter für die erste Profi-Station, musste sich in neuer Umgebung erst mal zurechtfinden. „In Berlin vorher war ich mehrmals Torschützenkönig und habe mich wie ein kleiner König gefühlt. Jetzt in Leverkusen hieß es für mich: erst mal  unterordnen und hinten anstellen.“ Gar nicht so einfach für den forschen Novizen aus der Metropole, der sich in seinen ersten Wochen bei der Werkself gleich mal richtig beliebt bei den neuen Kollegen machte. „Ich glaube, dass ich technisch einer der besten Spieler im Team war. Also habe ich hier erst mal angefangen, den Jungs im Training den Ball durch die Beine zu spielen und so‘n Mist. Ich habe das gar nicht mal als bewusste Provokation gemacht. Aber das hat den einen oder anderen natürlich gereizt, und dann gab‘s auch mal ordentlich was auf die Stäbe. So sind auch ein paar Vorbehalte mir gegenüber entstanden. Und dadurch, dass die Mannschaft so erfolgreich war, gab es für den Trainer keine Veranlassung, da Veränderungen vorzunehmen. Schon gar nicht nach meinem Auftritt gegen Wacker 04 Berlin.“

Wacker 04 – beim Gedanken an dieses Spiel am 26. November 1978 graust‘s ihm selbst heute noch mächtig! Schulze kam nach einer halben Stunde ins Spiel – und erfuhr ein 60-minütiges Spießrutenlaufen vor eigenem Anhang. Am Ende hieß es zwar 3:1 für Bayer 04, aber der blasse Mittelfeldspieler hatte sein persönliches Waterloo erlebt. „Ich war so grottenschlecht, dass die Leute alle gesagt haben: Was wollt ihr denn mit der Pflaume? Die könnt ihr gleich mal als Notopfer nach Berlin zurückschicken.“ Seine Premiere im Bayer 04-Dress hatte er jedenfalls richtig vermasselt und an die Wand gefahren. „Mein Problem war: Ich war ein hervorragender Techniker, aber Tempo, Biss, Athletik und Dynamik gingen mir leider ziemlich ab“, sagt Schulze in der Rückschau. „Bei anderen in unserer Truppe war‘s eher umgekehrt. Jürgen Gelsdorf etwa war nicht begnadet am Ball, aber absolut vorbildlich in seiner körperlichen Einsatzbereitschaft. Ich war da eher ein bisschen verhätschelt.“

Schulze_Tag_der_Aufsteiger-46717.jpg
Signierstunde: Schulzes Autogramm war begehrt beim Abend in der 19nullvier-Lounge.

Die folgenden 13 Spiele schaute Schulze wieder von draußen aus zu, wie die Kollegen Punkte auf Punkte scheffelten und fleißig am Aufstieg schraubten. Dann aber gewährte ihm das sportliche Schicksal unverhofft eine neue Chance. Bei der Begegnung mit Holstein Kiel kam Schulze nach einer Viertelstunde ins Spiel. „Ich weiß noch, dass der Boden damals ganz tief war, eigentlich nicht so gut für mich als eher unathletischen Typen. Aber irgendwie habe ich ein gutes Spiel hingelegt, und damit war das Eis gebrochen“, sagt Schulze. Beim nächsten Spiel gegen Preußen Münster saß er zunächst noch auf der Bank, doch dann musste Norbert Ziegler zur Pause verletzt raus und fiel länger aus – und Schulze blieb im Saisonendspurt dauerhaft in der ersten Elf. Dass ihm auf einmal auch die Herzen der Fans zuflogen, „war sicherlich auch der extrem geringen Erwartungshaltung geschuldet nach meinem Desaster gegen Wacker“, sagt er grinsend. Kurz darauf machte Atze Schulze beim 4:1-Sieg in Aachen das Spiel seines Lebens im Bayer 04-Dress und erzielte kurz vor der Pause das 3:0 – sein einziges Tor in einem Pflichtspiel für die Werkself.

 

Schulze_Tag_der_Aufsteiger-46578.jpg
Die Leverkusener Aufstiegshelden bei ihrem Treffen im Lindner-Hotel.

In der Bundesliga fand Schulze nach dem Aufstieg nicht mehr wirklich statt auf dem Platz, zumal der Verein fürs Mittelfeld in Kurt Eigl und Jürgen Glowacz zwei gestandene Profis verpflichtet hatte, die fortan gesetzt waren im Team. Es langte gerade mal zu zwei Kurzeinsätzen beim 0:5 in Duisburg und beim 0:3 in Frankfurt, beide Male vermochte er einer schwachen Werkself keine neuen Impulse zu vermitteln. „Danach hat mir Willibert Kremer ziemlich unmissverständlich angedeutet, dass es hier für mich nicht mehr reicht.“ Klaus Schulze zog es 1980 von Leverkusen nach Österreich zu Casino Salzburg. Er spielte mit dem Team im Europapokal der Pokalsieger, musste in Runde eins aber gegen Fortuna Düsseldorf die Segel streichen, 0:5 und 0:3. Danach ging‘s für ihn noch mal auf kurze sportliche Wanderschaft: erst zu Viktoria Köln, dann nach Belgien in die 1. Liga zu SK Tongeren und schließlich zum Wuppertaler SV. „Dort riss ich mir das Kreuzband, und das war‘s dann mit meiner Profi-Karriere.“

Ich bin noch ganz gut dabei, wir sind schon mehrfach Deutscher Meister geworden
Schulze_imago34628769h-1.jpg
Erfolgreicher Routinier auf dem Court: Schulze spielt seit langem mit viel Ehrgeiz und Können Tennis.

Mit 30 zog der Fußballer Klaus Schulze den Schlussstrich – und konzen-trierte sich auf das berufliche Leben. Am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Lützenkirchen machte er zwar noch sein Referendariat, als Lehrer aber hat er danach nie gearbeitet. In Düsseldorf stieg Schulze bei einer international ausgerichteten Bank ins Kapitalmarkt-Geschäft ein und verlegte seinen Lebensmittelpunkt schließlich vor 35 Jahren ins Finanzzentrum Frankfurt, wo er später als erfolgreicher Manager in zwei Aufsichtsräten saß. „Ich habe eine gute berufliche Karriere hingelegt. Wirtschaftlich geht’s mir prima.“

Mittlerweile weiß er die Freuden des Ruheständlers zu schätzen. Sportlich hat sich Atze seit langem auf Tennis verlegt und spielt in der höchsten nationalen Senioren-Liga beim TC Eschborn 65. „Ich bin noch ganz gut dabei, wir sind schon mehrfach Deutscher Meister geworden.“ Seine früheren Stärken im Fußball, feines Auge und gute Technik, zeichnen ihn auch mit dem Filzball aus.

Im Mai dieses Jahres tauchte Klaus Schulze aber noch einmal ganz tief in seine Vergangenheit als Fußball-Profi in Leverkusen ab. „Es ist sensationell, was Bayer 04 an diesem Wochenende auf die Beine gestellt hat und wie hier die Fahne der Tradition hochgehalten wird“, sagt er, kurz bevor er zum Gespräch mit Moderator Tobias Ufer auf die Bühne der 19nullvier-Lounge in der BayArena gebeten wird. „Wahrscheinlich wissen die meisten im Publikum gar nicht, wer ich bin und dass ich damals überhaupt dabei war.“ Er täuscht sich gewaltig. Klaus „Atze“ Schulze erzählt den fast 400 Zuhörern noch mal, wie das damals so war mit ihm und der Werkself in der Spielzeit 1978/79. Es wird ein Abgang mit reichlich Applaus für den Antihelden des Aufstiegsteams.

Ralph Elsen