Jedis, Gal­lier, Geiß­bock­jä­ger

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Tausende Stunden geopferte Freizeit, hunderte Liter Farbe, Kilometer an Stoff – alles für ein paar Sekunden schwarz-rotes Feuerwerk. Über die Jahre haben die Bayer 04-Fans einige bemerkenswerte Choreographien auf die Beine gestellt und die Verbreitung dieses Phänomens in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Dabei fanden die Anfänge noch in einem selbstgebauten Atelier auf dem elterlichen Dachboden statt.

Es sind Momente, in denen jeder Fußballfan den Atem anhält. Die Kurve verwandelt sich in Kunst, die Arena in eine Ausstellung großflächig aufgetragener Leidenschaft. Ligaweit begeistern Fußballfans mit ihren Choreographien im Block – und Bayer 04 ist seit jeher ein Garant für echte Hingucker. Die riesige Abschieds-Choreographie für Stefan Kießling im vergangenen Mai dürfte auch weit über das Rheinland hinaus vielen Menschen noch in bester Erinnerung sein. Mit dem über zwei Tribünen hinweg gestalteten Schriftzug „Danke Stefan“ und einem meterhohen Konterfei der Werkself-Legende durfte „Kies“ sein letztes Bundesligaspiel zelebrieren. Ein ganz besonderer Moment für den langjährigen Stürmer und jeden, der es mit Bayer 04 hält – aber bei weitem nicht der einzige in einer bewegten Geschichte der Fan-Choreos unterm Bayer-Kreuz. Denn: Für die vielen kreativen Einfälle und ihre aufwendigen Inszenierungen, die man mittlerweile an fast jedem Spieltag in Frankfurt, Dortmund oder Stuttgart sieht, leisteten die Werkself-Anhänger entscheidende Pionierarbeit.

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Ein absolutes Highlight in der Leverkusener Choreo-Geschichte: Die Fans bereiteten Stefan Kießling am letzten Spieltag der vergangenen Saison einen bewegenden Abschied.

Kurioserweise war an der Leverkusener Initialzündung auch der damalige VIP-Club nicht unbeteiligt – eine Personengruppe, die heutzutage eigentlich kaum mit Choreographien assoziiert wird. Anfang der 90er Jahre stellten eben die VIPs der aktiven Fanszene finanzielle Mittel zur Verfügung, um die Stimmung im Ulrich-Haberland-Stadion zu verbessern – die Geburtsstunde des „AK Stimmung“. Schon damals mittendrin: Andreas „Paffi“ Paffrath, heute Fanbeauftragter bei Bayer 04. „Es fing an mit Trommeln und Fahnen“, erzählt er. „Aber mit der Zeit wurden wir auch kreativ und fingen an, farbenfrohe Sachen zu machen.“ Für Paffi aufgrund seiner Kleidergröße gar nicht mal so einfach. „Ich habe mehr als nur XXL gebraucht, deswegen habe ich mir meine T-Shirts selbst gemalt.“ Not macht eben erfinderisch – und kreativ. Auf dem Speicher seines Elternhauses richtete sich „Paffi“ ein kleines Atelier ein, um sich das Bayer-04-Wappen mit Episkop und Stofffarben selbst auf die Fankleidung zu malen. Irgendwann waren es nicht mehr nur T-Shirts, sondern auch Doppelhalter und Banner – und irgendwann wurde der Speicher zu klein.

So etwas kannte man in deutschen Stadien für die Kurve noch nicht

In den Räumlichkeiten des 1996 geschaffenen Fanprojekts arbeitete fortan ein harter Kern des „AK Stimmung“ an der Umsetzung von Ideen, um die Unterstützung aus der Fankurve nicht nur hörbar, sondern auch optisch sichtbar zu machen. Eine Initialzündung, die in einer der ersten groß angelegten Choreographien Deutschlands gipfelte. Finanziert durch zwei Fanclubs sowie Einzelspenden hielt die gesamte Nordkurve beim Spiel gegen den FC Bayern am 9. März 1997 geschlossen schwarz-rote Folienstreifen hoch. Bestellt hatte man die in Italien, wo Choreographien damals schon verbreitet waren – anders als in Deutschland. „Sowas kannte man in deutschen Stadien für die Kurve noch nicht“,  erinnert sich Paffi. „Die Fotos waren in allen Zeitungen und Gazetten. Wir waren auf Titelblättern, sogar der kicker hat über uns berichtet.“ Überflüssig zu sagen, dass diese mediale Berichterstattung die Kreativität der Stimmungsmacher anspornte. „In den Jahren darauf haben wir Choreographien gezaubert, die Ihresgleichen suchten“, sagt Paffi. „Was das angeht, waren wir in der Bundesliga führend.“

Ein Meilenstein nicht nur in der Leverkusener Choreo-Chronik: Als sich die Werkself aus dem kleinen Leverkusen Ende der 90er Jahre zum Dauerrivalen der übermächtigen Bayern aufschwang, inszenierte die Nordkurve zu einem der direkten Duelle die BayArena als „Gallisches Dorf“ mit Reiner Calmund als Obelix, Christoph Daum als Asterix und den Spielern als Bewohnern des kleinen Dorfes, das immer wieder Widerstand leistet. Für diese einzigartige Choreographie wurde damals sogar ein professioneller Grafiker beauftragt – ebenfalls einzigartig für Bayer 04, denn ansonsten sind es ausschließlich die Fans, die sich um Konzeption, Umsetzung und Aufbau am Spieltag kümmern – mit teilweise wahnwitzigem künstlerischen Talent, aber auch sehr viel Opferbereitschaft.

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„Paffis“ Lieblingschoreographie kurz nach der Vize-Triple-Saison 2002 zeigte Reiner Calmund am Himmelstor und den Slogan: „Gäbe es einen Fußballgott, hätten wir Schale und den Pott.“ Bei einem von Coca Cola geschaffenen Bundesliga-Fan-Award landete Bayer 04 mit dieser Inszenierung – wie könnte es anders sein – auf dem zweiten Platz. Umso bemerkenswerter, da das großflächige Bild von gerade einmal vier Personen gemalt wurde. „Wir waren in der Endphase 48 Stunden am Stück beschäftigt, sind quasi mit dem Pinsel in der Hand eingeschlafen“, erinnert sich „Paffi“. Doch die Schlaflosigkeit zahlt sich am Ende doch meistens aus: „Wenn du danach die Fotos siehst, das ist Glückseligkeit. Damit wirst du belohnt für die hunderten von Stunden Arbeit.“

Auch, wenn bei einem derart hohen logistischen Aufwand nicht immer alles glattgeht. Zum 100-jährigen Vereinsjubiläum etwa feierte sich Bayer 04 bei einem Heimspiel gegen Schalke mit einer Choreographie als „achtes Weltwunder“. Gemalt wurde in einer leer stehenden Futtermittelfabrik in Kerpen, die Initiatoren wähnten am Spieltag alles in bester Ordnung. Das Problem: In der kalten Abrisshalle war die Farbe nicht wie gedacht getrocknet, sondern gefroren – und ergoss sich aufgrund der Stadion-Heizstrahler während der Inszenierung auf die beteiligten Fans. „Die Klamotten sahen danach aus wie Malerkittel“, erzählt Paffi schmunzelnd.

Über die Jahre haben die Anhänger von Bayer 04 dennoch für einige künstlerisch-kreative Highlights gesorgt. Neben Galliern wurden die Spieler bei der „Werkskrieger“-Choreographie 2011 zu Jedi-Rittern mit Lichtschwertern, 2016 wurden zum 30-jährigen Europapokal-Jubiläum die größten internationalen Momente auf Filmrollen verewigt. Häufig sind derartige Jahrestage Anlass für die Choreos, oft sind es Topspiele wie gegen Bayern München – oder natürlich das Derby gegen den 1. FC Köln. Die „Goatbusters“ sind mittlerweile beinahe schon so etwas wie eine Choreographie-Serie – directed by Werkself-Supporters.

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Mit dieser Inszenierung landete Bayer 04 bei einem Bundesliga-Fan-Award auf Platz zwei.
Wir sind quasi mit dem Pinsel in der Hand eingeschlafen

Seit 2016 werden die meisten Choreographien vom Verein „Kreativ Schwarz-Rot e.V.“ finanziert und umgesetzt. Die Gruppierung wurde von sieben Mitgliedern der aktiven Fanszene gegründet und stellte seine Kreativität und Organisationstalent bereits mehrfach unter Beweis. In der laufenden Saison begeisterten bereits die Jubiläums-Choreo (30 Jahre UEFA-Cup-Sieger, 50 Jahre Regionalliga-Meister, 25 Jahre DFB-Pokalsieger) und die Inszenierung zum 60. Geburtstag des Haberland-Stadions. Faszination in schwarz-rot, die aber nicht von ungefähr kommt. Für den Abschied von Stefan Kießling etwa waren 181 Liter Farbe und knapp 20 000 Papptafeln nötig, für die letzten „Goatbusters“ wurde über ein Kilometer schwarzer Stoff verbraucht. Klar, dass „Kreativ Schwarz-Rot e.V.“ da auch auf Sach-und Geldspenden angewiesen ist. Alleine die Materialien für die Haberland-Choreographie kosteten nach Angaben des Vereins knapp 18.000 Euro – Arbeitsstunden selbstverständlich nicht eingerechnet, denn Planung, Umsetzung und Aufbau geschehen weiterhin vollständig ehrenamtlich. Rund 1.000 Arbeitsstunden der Helfer protokollierte „Kreativ Schwarz-Rot e.V.“ für die Jubiläums-Choreo im vergangenen September – alles für diesen Moment, wenn die Mannschaft einläuft und gemeinsam mit ganz Fußballdeutschland die schwarz-rote Demonstration in der Nordkurve zu Gesicht bekommt.

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Für das auf Giulio Donati zurückgehende Transparent „#StärkeBayer" griff der ehemalige Bayer 04-Profi (3.v.l.) in einer Halle neben dem Fanprojekt sogar selber zum Pinsel.
Jede Choreo ist ein Aushängeschild für den Verein und die Fanszene

„Jede Choreo ist ein Aushängeschild für den Verein und die Fanszene“, fasst Paffi zusammen. „Das putscht jede Mannschaft und gibt einen Kick, auf dem Rasen nochmal zehn Prozent mehr zu geben.“ Selbst wirkt er zwar nicht mehr aktiv an den Choreographien mit, aber der Fanbeauftragte spricht aus langjähriger Erfahrung, wenn er sagt: „Ich ziehe vor allen Leuten den Hut, die sich nachts in einer kalten Halle die Finger abfrieren, um sich für den Verein und die Fanszene kreativ zu beteiligen.“ Und damit sicher auch die Tradition eindrucksvoller schwarz-roten Inszenierungen fortzuführen.

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