„Ich wollte die Atmo­sphäre und Frei­heit“

35 Jahre Deut­sche Ein­heit: Falko Götz über seine Flucht, DDR-Ver­gan­gen­heit und über seine Ver­bin­dung zu Bayer 04

Den Tag der Deutschen Einheit und das Jubiläum nehmen wir zum Anlass, eine Geschichte passend zum Thema zu erzählen – die von Falko Götz. Mit Bayer04.de hat der langjährige Profi, der aktuell im Scouting von Bayer 04 beschäftigt ist, über seine Jugend in der DDR, seine Flucht bei einem Auswärtsspiel in Belgrad sowie über seine Identifikation mit Bayer 04 gesprochen.

„Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit“, sagt Falko Götz rückblickend über die ersten Jahre seines Lebens in der DDR. In den 1960ern in Berlin aufgewachsen, profitiert er von der umfassenden Kinderbetreuung des sozialistischen Staates und genießt gleichzeitig die weltoffene Erziehung seiner Eltern. Seinem Vater gehören mehrere Bäckereien, somit gilt dieser im politischen System der DDR als Grundversorger. In Götz' eigenem System geht es schon sehr früh in eine Richtung: „Ich hatte immer schon einen großen Bewegungsdrang.“

Aufstieg beim BFC Dynamo

Bereits im zarten Alter von neun Jahren wechselt Götz 1971 als junger Nachwuchskicker zum BFC Dynamo. Für den zunehmenden Erfolg des BFC ist Götz, der seit 1979 im Profi-Team spielt, mitverantwortlich. Neben drei Oberliga-Meisterschaften mit den Berlinern, läuft er auch für die U18- und die U21-Auswahl des Landes auf. „Bevor ich zu Spielen in den Westen reisen durfte, hat die Stasi natürlich mein Umfeld und das meiner Eltern überprüft.“

Trotz Top-Leistungen beim BFC wird Götz aber in der Sportförderung aufgrund der Verwandtschaft seiner Mutter in der BRD oft übergangen: „Ich fühlte mich benachteiligt. Ich wollte gerne Abitur machen, mir blieb aber nur eine Ausbildung. Ich bekam keine Wohnung, kein Auto, musste immer länger warten als alle anderen.“ Zudem will der BFC international um jeden Preis erfolgreich sein: „Bei den ersten Spielen im Europapokal wurden uns aufputschende Mittel ins Getränk geschüttet, ohne dass wir davon wussten.“ Götz trägt keine bleibenden Schäden davon, schließt sich aber 2004 einer Sammelklage gegen seinen früheren Klub an.

Falko Götz und Dirk Schlegel im Trikot von BFC Dynamo
Seltenes Foto aus BFC Dynamo-Tagen: Falko Götz (l.) und Dirk Schlegel

Wunschtraum Bundesliga: „Wollte sehen, ob ich da mithalten kann“

„Von klein auf lief bei mir regelmäßig die Sportschau“, erinnert sich Falko Götz. Schon in jungen Jahren träumt der aufstrebende Fußballer davon, in der Bundesliga zu spielen, die Erfolge in der DDR-Oberliga ändern nichts an diesem Wunsch: „Die Oberliga war gut, aber die Bundesliga nochmal ein anderes Kaliber. Ich wollte die Atmosphäre, dieses Leben als Profifußballer und natürlich auch diese Freiheit. Mir war auch sehr wichtig, dass deine Leistung bestimmt, für welchen Verein du spielst. Ich wollte sehen, ob ich in der Bundesliga mithalten kann.“

Flucht in den Westen: bekomme heute noch Gänsehaut

Seine Situation in der DDR stört ihn, am Ende ist es jedoch der Traum von der Bundesliga, für den sich Falko Götz zur Flucht entschließt. Zunächst wartet er aber ab: „Ich wollte nicht mit 18 Jahren gehen, sondern mir erst einen guten Ruf aufbauen, Oberliga- und Länderspiele machen.“ 1983 sieht er seine Chance und nutzt gemeinsam mit seinem Teamkollegen und Freund Dirk Schlegel ein Europapokalspiel bei Partizan Belgrad, um den Wunsch nach mehr Entscheidungsfreiheit und Bundesligafußball zu erfüllen. Bei einem Stadtbummel schütteln die beiden über einen Seiteneingang eines Schallplattenladens ihre Stasi-Bewacher ab und nehmen ein Taxi zur westdeutschen Botschaft. Mit dem Auto und dem Nachtzug geht es dann mit gefälschten Papieren über Zagreb und Ljubljana nach München – eine Flucht wie aus einem Hollywood-Blockbuster.

„Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Das Ganze hat 25 Stunden gedauert und ich bin froh, dass ich so jung war und damals noch nicht über alles, was passieren kann, nachgedacht habe.“ Götz‘ Familie bleibt im Osten, seine Mutter wird von der Stasi stundenlang in der Zentrale in Berlin-Hohenschönhausen verhört. „Meine Eltern wussten Bescheid, haben mich aber bei allem unterstützt. 'Mach dir keine Sorgen, wir stehen hinter dir', haben sie gesagt“, erzählt Götz gerührt. „Ich bin unglaublich dankbar, dass alles gutgegangen ist“, sagt er heute über seine Flucht.

Falko Götz trifft für Bayer 04

Wechsel zu Bayer 04: „Hat uns sehr beim Einleben geholfen“

In der Bundesrepublik angekommen bekommt Götz Angebote von elf Bundesligisten, gemeinsam mit Schlegel entscheidet er sich für Leverkusen. „Zum einen, weil Bayer 04 mich und Dirk Schlegel zusammen wollte, zum anderen, weil der Klub uns nicht unter Druck gesetzt hat und uns sehr dabei geholfen hat, uns einzuleben. Besonders der damalige Trainer Dettmar Cramer hat uns unheimlich unterstützt, uns regelmäßig besucht und auch zum Essen eingeladen, wenn mal wieder nichts im Kühlschrank war.“ (lacht)

Damals ist es üblich, dass DDR-Flüchtlinge von der FIFA für ein Jahr gesperrt werden. Neben den Trainingseinheiten jobben Götz und Schlegel in einem Kaufhaus, um sich etwas dazuzuverdienen. Als die beiden wieder spielberechtigt sind, zögert Cramer keine Sekunde, bringt Schlegel im Spiel gegen den DSC Arminia Bielefeld von Beginn an und Götz zur zweiten Halbzeit: „Das war einer der entscheidenden Momente in meiner Laufbahn. Du hast ein Jahr lang nur trainiert und der Trainer bringt dich direkt im ersten Spiel.“

Nicht alles im Westen konnte mir den Osten ersetzenFalko Götz

Während Götz bei der Werkself schnell zum Stammspieler reift, lässt ihn die Stasi noch nicht ganz aus den Augen. Vereinzelt observieren Agenten ihn und sein Haus, einmal zieht er sogar für ein paar Tage in ein Hotel. „Wir haben versucht, unsere Flucht sportlich zu begründen. Sonst hätten wir auch unserer Verwandtschaft im Osten möglicherweise Probleme bereitet“, erklärt Götz. Weil er sich nicht negativ über seine ehemalige Heimat äußert, enden die Rückholversuche schnell. Trotzdem sind Auswärtsspiele im Ostblock für ihn unmöglich. Im Oktober 1986 reist er nicht mit zur Partie bei Dukla Prag, weil die Behörden der Tschechoslowakei keine Sicherheitsgarantie für ihn abgeben.

Erfolg hat Falko Götz bei Bayer 04 dennoch. 1988 gewinnt er den UEFA-Cup und erzielt nach dem 0:3 im Hinspiel bei der legendären Aufholjagd gegen Espanyol Barcelona aus Spanien sogar das Tor zum 2:0. Einen Elfmeter muss er nicht schießen: „Ich war als fünfter Schütze vorgesehen, aber bin sehr froh, dass Rudi Vollborn im Tor das Spiel schon vorher für uns gewonnen hat.“ In 140 Partien für Bayer 04 trifft Götz insgesamt 33 Mal.

Mauerfall 1989: „Jedes Hindernis war beiseite geräumt“

„Nicht alles im Westen konnte mir den Osten ersetzen“, resümiert Falko Götz die Zeit bis zum Mauerfall am 9. November 1989. „Ich hatte natürlich noch viele Freunde und meine Familie in der DDR. Nur mein Vater konnte mich mal allein besuchen.“ Er selbst durfte die Mauer dagegen bis zu deren Ende nicht mehr passieren: „Als ich im Osten war, wollte ich in den Westen, aber als ich dann im Westen war, wollte ich natürlich ab und zu wieder in den Osten. Mit dem Mauerfall war dann aber jedes Hindernis zwischen mir und allen Personen, die mir drüben am Herzen lagen, beiseite geräumt.“

Seine riskante Flucht sechs Jahre zuvor bereut Götz deshalb aber nicht: „Die Entwicklung hat mir Recht gegeben. Wenn ich 1989 erst den Osten verlassen hätte, wäre ich 27 gewesen. Meine Karriere wäre schon auf ihr Ende zugegangen und in der Bundesliga wäre es sehr schwierig geworden.“

Falko Götz macht ein Selfie

Rückkehr zu Bayer 04: „Immer hohe Identifikation gehabt

2019 kehrt Falko Götz – 31 Jahre, nachdem er Bayer 04 1988 verlassen hatte – als Scout zu seinem Herzensklub zurück. „Ich habe immer eine hohe Identifikation mit Bayer 04 gehabt und auch über die Traditionsmannschaft den Kontakt zum Klub gehalten. Nachdem ich ab und zu mit Rudi Völler zu tun hatte, habe ich Fernando Carro bei einem Traditionsturnier kennengelernt. Mit ihm und Simon Rolfes ist dann die Idee entstanden, meine Erfahrung als Scout für diesen tollen Verein zu nutzen und die erfolgreiche Entwicklung seit 2019 hat uns ja auch Recht gegeben. Ich bin dankbar dafür, dabei mitgearbeitet zu haben.“

Auch zu vielen Wegbegleitern aus seiner Zeit als Spieler bei Bayer 04 hat Götz noch heute Kontakt: „Mit Rudi Vollborn tausche ich mich wöchentlich aus, auch mit Christian Schreier (ehemaliger Bayer 04-Spieler, Anm. d. Red.) und vielen anderen bin ich noch in Kontakt.“ Mit dem, der ihn damals nach Leverkusen geholt hat, verbindet ihn ein besonderes Band: „Reiner Calmund ist für mich ein Lebensfreund. Es macht Spaß, mit ihm die vielen gemeinsamen Geschichten durchzugehen, auch wenn er die meiste Zeit erzählt.“ (lacht)

Aus familiären Gründen will Falko Götz im Scouting in Zukunft etwas kürzertreten, steht der Werkself aber auch in anderen Bereichen zur Verfügung. Dass er dies in einem geeinten Deutschland tun kann, freut ihn: „Die Einheit hat einen großen Anteil an der positiven Entwicklung von Deutschland und Europa. Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Land leben darf.“