Ein Tag zum Nie­der­knien

Ein Jahr „Deut­scher Meis­ter SVB!“

Wo warst du am 14. April 2024? – Diese Frage wird heute in Leverkusen wohl oft gestellt werden. Und kann es Menschen in dieser Stadt geben, die darauf nicht sofort eine Antwort parat hätten? Kaum vorstellbar. Zu besonders war dieser Sonntag vor exakt einem Jahr. Zu groß. Zu aufwühlend. Zu unglaublich. Jeder wird seine persönliche Erinnerung an den historischen Tag haben. Denn irgendwie waren ja auch alle dabei. Selbst die, die unglücklicherweise kein Ticket hatten für das Spiel der Spiele gegen den SV Werder Bremen.

Wer nicht in der BayArena mitfiebern konnte, kam zumindest an die BayArena. Zum überwältigenden Empfang des Mannschaftsbusses auf der Bismarckstraße mit Pyrotechnik, Fangesängen und Konfettiregen. Oder zum Public Viewing am Konrad-Adenauer-Platz, das der Fanclub Lev-Szene 86 organisiert hatte. Wen hielt es schon zu Hause an diesem Tag, der der größte in der 120-jährigen Klubhistorie zu werden versprach? Vielleicht auch der größte in der knapp 100-jährigen Stadtgeschichte. Nein, da gab’s nur eins: Raus in Richtung Stadion. Mittenrein ins Geschehen. Die ganz besondere Stimmung aufsaugen, die in der sommerlichen Luft lag. Dabei sein. Und diese unglaubliche Vorfreude spüren. Wir.FÜR.UNSEREN.TRAUM.

Schon in den Tagen zuvor hatte sich Leverkusen herausgeputzt und in allen Stadtteilen Farbe bekannt. Fahnen, Wimpel, Spruchbänder, Luftballons, Aufkleber, Trikots – schwarz-rote Liebesbekundungen allerorten: auf Fenstern, Balkonen und Kreisverkehrinseln, in Schulen und Kindergärten, an Autos, Lkws und Fahrrädern. Erstaunlich, was in jenen Tagen in dieser Stadt passierte. „König“ Xabi Alonso und die Seinen weckten mit ihrem Fußball und ihrem Auftreten ein Gemeinschaftsgefühl, dass es so in Leverkusen noch nie gegeben hatte. Plötzlich interessierten sich überregionale Medien für die Stadt zwischen Bayer-Werk und Wasserturm. Der Spiegel, die Welt, die Zeit, Süddeutsche Zeitung, auch Fernsehsender wie ARD, ZDF, Sky, RTL – alle berichteten über Leverkusen. Und wollten hier die offenbar nicht für möglich gehaltene Euphorie schon im Vorfeld des ebenfalls nicht für möglich gehaltenen Titelgewinns einfangen.

Und nun, an diesem 14. April, ist die ganze Stadt auf den Beinen. Machen sich Zehntausende bereit für die größte Open-Air-Party, die Leverkusen jemals erlebt hat. Denn wer wollte noch bezweifeln, dass es diesmal wirklich was werden würde mit der Meisterschaft. Ja, manche sagen, sie hätten in Leverkusen schon Pferde vor der Apotheke … – na, ihr wisst schon. Aber 16 Punkte Vorsprung vor den Bayern und Stuttgart bei noch sechs ausstehenden Spielen? Was sollte da, bitteschön, noch passieren. Nein, das Ding war durch. Jetzt musste gleich nur noch der erste Matchball genutzt werden.

Busempfang am 14. April 2024

Die letzten Minuten vor dem Anpfiff – kaum noch auszuhalten. In der BayArena recken die Fans der Werkself hunderte silberne Meisterschalen in die Höhe. Wie zur Beschwörung. Lässt die Anspannung auf den Rängen nach, als der Ball endlich rollt? Nein. Erstmal gar nicht. Xabi Alonso hat nach dem 2:0-Sieg in der Europa League gegen West Ham United sieben Wechsel vorgenommen. Die übliche Rotation. Granit Xhaka – natürlich wie immer in der Startelf – und Co. lassen es erst einmal ruhig angehen. Gut so. Zumindest für alle, die ein bisschen Zeit brauchen, um nervlich runterzukommen. Und doch ist die Sehnsucht nach dem ersten Tor spürbar im Stadion, fast greifbar. Macht es endlich. Bitte nicht wieder diesen Last-Minute-Wahnsinn. Nicht heute.

Und die Mannschaft hat ein Einsehen. Victor Boniface sorgt nach 25 Minuten mit seinem verwandelten Elfmeter für Jubel und Erleichterung. Die BayArena bebt. Das 1:0 zur Pause beruhigt etwas. Mehr aber auch noch nicht. Dann kommt Florian Wirtz zur zweiten Hälfte aufs Feld – das Märchen nimmt seinen Lauf. Granit Xhaka zirkelt nach genau einer Stunde einen Distanzschuss ins Netz. Und löst damit die letzten Bremsen. „Deutscher Meister wird nur der SVB“, singen die Fans. Und es steckt so viel Gewissheit in diesem wundervollen Lied. Immer und immer wieder wird es angestimmt. „Deutscher Meister wird…“ Noch mitten hinein in die Gesänge legt Flo Wirtz auf einmal den dritten Treffer nach. Und als der Zehner der Werkself in der 83. Minute nach einem herrlichen Solo zum 4:0 trifft, gibt es noch so einen Moment für die Ewigkeit. Wirtz bremst mit einer deutlichen Geste die Fans, die schon auf den Platz strömen wollen. Es ist ja auch fast nicht mehr zum Aushalten. Der Fotograf Ralf Ibing hält die Szene fest, sein Bild „Zurückhaltender Jubel“ wird einige Monate später zum Sportfoto des Jahres 2024 gewählt. Ja, es ist ein Foto, das wirklich mehr aussagt als tausend Worte.

Sportfoto des Jahres 2024

Der Schlusspfiff rückt näher, der Druck auf dem Kessel wird immer größer. Auf den Rängen macht man sich für den Platzsturm bereit, auf der Bank werden Meistershirts verteilt. Aber Wirtz hat noch nicht genug. Schnürt in der 90. Minute mit dem 5:0 seinen Hattrick. Und jetzt gibt’s keine Zurückhaltung mehr. Jetzt brechen alle Dämme. Rasend schnell zieht es die schwarz-rote Masse auf den Rasen. Der Schiedsrichter pfeift ab, man hört es kaum. Bayer 04 Leverkusen ist Deutscher Meister. Zum ersten Mal in seiner 45. Bundesliga-Saison. Wirklich! Wahnsinn! Freunde und fremde Menschen liegen sich in den Armen. Jeremie Frimpong wird von den Fans auf Händen getragen. Tränen fließen. Auch bei Robert Andrich. „Am Ende komplett zusammengebrochen. Keine Worte so richtig“, stammelt unser Mittelfeld-Abräumer freudetrunken. Auch Jonathan Tah ist angefasst: „Schwer in Worte zu fassen, was mir das bedeutet. Es war sehr harte Arbeit. Die Fans haben in jedem Spiel die Bude abgerissen. Ich bin sehr stolz auf das, was wir heute geschafft haben.“

Wohin mit all den Gefühlen? Jeder erlebt diese Minuten auf seine Art. Viele schreien ihre Freude hinaus, andere berühren für einen Moment den Rasen oder lächeln versonnen in sich hinein.

Fernando Carro, Vorsitzender der Geschäftsführung, erinnert sich: „Es gab an dem Tag einen ganz besonderen Augenblick. Als klar war, dass wir gewinnen werden, habe ich mich innerlich plötzlich gefragt: Wo will ich diesen Moment jetzt gleich erleben? Gehe ich runter direkt in die Mitte des Trubels oder schaue ich mir das Ganze von oben an? Ich bin normalerweise jemand, der in solchen Momenten keine Sekunde zögern würde und nah am Geschehen sein will. Aber dieses eine Mal bin ich oben stehen geblieben und habe den Moment auf diese Art und Weise wirklich genossen.“

Dieses eine Mal bin ich oben stehen geblieben und habe den Moment auf diese Art und Weise wirklich genossenFernando Carro über den Augenblick am 14. April 2024, als klar war, dass die Meisterschaft perfekt ist

Auch Simon Rolfes, Geschäftsführer Sport, wird diesen 14. April und einen innigen Moment nie vergessen: „An diesem Tag war alles perfekt. Es war fantastisches Wetter, beim Busempfang standen meine Familie und ich oben in Ost und jeder hat gespürt: Heute wird es passieren. Dann das Spiel, die fünf Tore, der Hattrick von Flo, die Kulisse... Xabi und ich sind mit Abpfiff dann sofort rein in die Kabine. Und dann standen wir da – allein. Sonst war kein Mensch da, nur wir zwei. Das war schon etwas skurril. Wir haben uns umarmt und uns gratuliert. Und dann haben wir uns gefragt: Wie geht der Fernseher hier eigentlich an? (lacht) Das Gefühl von diesem Tag wird für immer bleiben. Und ich glaube, je weiter diese Saison zurückliegt, umso mehr werden wir merken, wie besonders sie war.“

Es wird eine lange Nacht in Leverkusen an diesem 14. April. Die Spieler feiern sich und später ihren Trainer (während der Pressekonferenz) mit Bierduschen. Xabi Alonso singt und tanzt in der Kabine. Die Fans warten auf dem Rasen und wollen noch einmal die Mannschaft sehen. Das ganze Team zeigt sich auf einem Balkon auf der Südtribüne. Und Fernando Carro ruft der beseelten Menge zu: „Die Geschichte hat uns auch noch eine Schale geschuldet. Wir haben die besten Fans Deutschlands, die beste Mannschaft, die besten Spieler, den besten Trainer, den besten Verein, die besten Mitarbeitenden!“

Feierlichkeiten nach Abpfiff

Anschließend geht die Party weiter. Für die Fans auf den Straßen rund um die BayArena und in den Kneipen und Bars dieser Stadt. Für die Spieler und ihre Familien zunächst im Business-Bereich des Stadions, wo sich Rudi Völler und Xabi Alonso unter dem Jubel der Gäste umarmen. „Den Begriff ‚Vizekusen‘ habe ich noch nie leiden können – jetzt ist er Geschichte. Und das absolut zurecht“, sagt Völler später. Und natürlich ist auch Reiner Calmund dabei, der ehemalige Bayer 04-Manager und -Geschäftsführer. „Xabi Alonso ist für mich nicht nur der König von Leverkusen, sondern von der ganzen Bundesliga“, sagt der sichtlich berührte Calli. Es bleibt für noch viele weitere Stunden ein hoch emotionaler Abend. In der BayArena. Und draußen in der Stadt. Ein Tag, den niemand jemals vergessen wird, der ihn erleben durfte.

Und wo warst du am 14. April 2024?

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